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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


unter Deiner Adresse hierherschicke, und wirst mir Nachrichten von ihr vermitteln?“

„Neue Ehre! Bureau für Liebesbriefe!“ Der Galgenhumor sprühte dem alten Seebären nur so aus den Augen. „Sonst noch etwas gefällig? Steh’ zu Diensten!“

„Nur das eine noch: daß Du alles, was in Deiner Macht steht, dazu thust, Ilse in der Treue zu mir zu bestärken. Ich vertraue ihr ganz, aber sie ist ein zartes Mädchen und wird um meinetwillen dem Ansturm der ganzen Familie standhalten müssen. Sorge Du dann dafür, Kapitän, daß sie da nicht allein steht, sprich für mich, handle für mich, sieh zu, daß sie fest und treu bleibt –“

Er kam nicht weiter. Der alte Kapitän legte seine Hand schwer auf die Schulter seines Gastes und lachte – ein schneidendes, beinahe böses Lachen war’s. „Wenn man Dich so ansieht, man sollt’s nicht glauben! Sechs Fuß Höhe, einige dreißig Jahr’ alt und ’n gut Stück Welt gesehen, kein Dummkopf – und dabei so kindisch wie ein achtjähriger Schuljunge! Will ’nen andern zum Hüter eines Frauenzimmers machen! Und der andere heißt Erich Leupold! Wenn das nicht zum Lachen ist!“

Albrecht schüttelte die Hand des Alten mit einer raschen Bewegung von seinen Schultern ab und richtete seine stattliche Gestalt zu ihrer ganzen Höhe auf. „Ich muß annehmen, Du willst mich verletzen, Kapitän! Wodurch ich das verdient habe, weiß ich nicht. Wir zwei, Du und ich, sehen die Welt aus verschiedenen Augen an – und laß’ mich Dir bekennen, daß ich lebhaft wünsche, sie niemals mit Deinen Augen zu sehen!“

„Amen! Das ist auch mein Wunsch! Und faß’ mein Lachen nicht tragisch auf, Albrecht! Nimm Du den alten Leupold, wie er nun ’mal ist, und ich will den jungen Kamphausen meinerseits auch nehmen, wie er ’mal ist – mit heimlicher Brantschaft und allem, was drum und dran hängt. Also kommt und nehmt Abschied voneinander bei mir, solang’ Ihr wollt, schickt mir Eure Liebesbriefe und degradiert mich zum Liebesboten – ich will alles thun, obgleich ich mir so ’was nicht hätt’ träumen lassen. Und wenn während Deiner Abwesenheit Deine Auserwählte zu mir kommt, dann will ich sie willkommen heißen und sogar mit ihr von Dir reden. Zufrieden?“ Der Alte hielt seine breite kurze Hand hin.

„Zufrieden, Kapitän! Ich danke Dir! Aber verzeih’, daß ich jetzt gehen muß! Du erhältst noch Nachricht, wann ich mich mit Isolde bei Dir treffe. Gehst Du auch gleich ins Haus zurück?“

Ja, der Alte that das. Und während Kamphausen seinem Hund pfiff und durch die sonnige Schiffstraße davonging, schritt Leupold durch seine „Kabinen“ bis ins „Achterdeck“, stellte sich, breit aufgepflanzt, die Hände in den Rocktaschen vergraben, vor das Bild der büßenden Magdalena und musterte das schöne Weib mit so herausforderndem Hohn, als sollte es aus dem Rahmen treten und vor ihm Rechenschaft ablegen über alles, was es gesündigt hatte.




3.

Schön und sommerlich warm war der junge Tag heraufgestiegen. So festlich sah er aus, als wüßte er genau, daß er ein Maientag sei; mit lachendem Grün geschmückt, trug er stolz auf dem Haupt die goldene Strahlenkrone. Und die Lerchen stiegen mit trillernden Jubellauten empor, als fühlten auch sie die Auferstehungswonne in der kleinen Vogelbrust; schwirrend flogen die Schwalben um die altersgrauen Dachfirste und Türme von Schloß „Perle“, wo sie den bequemsten Unterschlupf fanden. Im Schloß schien noch alles zu schlafen. Der alte charakteristische Steinbau lag da, so plump und trotzig, wie Herr Hans Gottfried, der erste Baron Doßberg, ihn anno Domini 1586 erbaut hatte, mit den stillosen Seitenflügeln und dem breiten hübschen Altan, den die Nachkommen angefügt hatten. Die zwei runden Ecktürme mit kleinen, in Blei gefaßten Fensterscheiben wuchsen rechts und links an dem langgestreckten Mittelbau empor, und über das ganze Bild war eine Flut von Epheu und Kletterrosen ausgegossen, als hätte selbst das alte Schloß ein Festgewand übergeworfen.

Eines Steinwurfs Weite davon, jenseit der Rampe, stand zwischen hohen Kastanien- und Ahornbäumen ein freundliches, altmodisch aussehendes Gebäude, das Haus des Verwalters. Bis vor kurzem hatte hier der „Administrator“ mit seiner alten Mutter gehaust, ein feiner Herr, der einen ansehnlichen Gehalt bezog, in seinem Fach auch eifrig und tüchtig war. Aber die Verbesserungen und Anschaffungen, die nach seiner Ansicht gemacht werden mußten, konnten nicht zustande kommen, weil es am Besten fehlte, an Geld – schließlich reichten die Mittel des Freiherrn nicht einmal mehr aus, dem Administrator seinen Gehalt zu zahlen, und da der junge Mann zudem die Tollkühnheit besaß, sich leidenschaftlich in Ilse zu verlieben, so mußte man ihm kündigen; seitdem stand das hübsche Haus leer.

Unter der breiten Thür des Schlosses, deren hohes Gesims das in Stein gemeißelte Wappen der Doßbergs trug: zwei auseinanderklaffende Muschelschalen, in deren einer eine große Perle ruhte – zeigte sich die hohe kräftige Gestalt eines Mannes mit grauem Haupt- und Barthaar. Er hatte ein gut geschnittenes Aristokratengesicht mit einem auffallenden Zug von Weichheit, ja beinahe von Schwärmerei um Augen und Lippen. Ein angehender Fünfziger, alles in allem eine angenehme vornehme Erscheinung. Baron Hans Gottfried von Doßberg – er war es – trug eine leichte Schirmkappe, Sporenstiefel mit hohen Schäften und eine Reitpeitsche unter dem Arm. Er ging bis zur Rampe vor, hob den Knopf der Peitsche an seine Lippen und pfiff. Aus einem der Ställe kam ein gutgewachsener Bursche in feuerroter Jacke gelaufen und stellte sich in strammer Haltung vor seinem Herrn auf. „Du kannst das Pferd satteln!“

„Zu Befehl!“

Früher hatte es fünf, sechs solcher Rotjacken in den Ställen drüben gegeben, und wenn es geheißen hätte, man solle „das Pferd“ satteln, so wäre das ein ganz unverständlicher Befehl gewesen, denn damals hatte man eine reiche Auswahl. Jetzt verfügte der Baron nur noch über einen starkknochigen Braunen, der sich weder durch Schönheit noch durch Rasse, sondern einzig und allein durch Kraft auszeichnete, so daß er imstande war, seinen Herrn vormittags durch Wald und Feld zu tragen und nachmittags noch „in der Wirtschaft“ Dienste zu thun.

Doßberg stand, in Gedanken verloren, an der Rampe und klopfte in regelmäßigen Pausen mit seiner Reitpeitsche gegen die hohen Stiefel. Seine Brauen waren finster gefurcht und sein Blick sah trübe. Da klirrte hinter ihm ein Fenster; hastig wandte er sich um, und seine Augen glänzten. Kein Wunder das! Die, welche goldhaarig, rosig wie ein Abbild des frischen Maimorgens selbst, im Rahmen des steinernen Bogenfensters erschien und ihm zulächelte – das war ja seine Jugend, sein Sonnenschein, sein Glück.

„Guten Morgen, Papa!“ Die frische junge Stimme klang gedämpft, wie in Besorgnis, jemand zu stören.

„Guten Morgen, Ilse! Wie ist’s gegangen?“

„O, ganz gut – ganz leidlich! Mama hat eine ruhige Nacht gehabt und ist vorhin noch ein bißchen eingeschlafen; ich denke, sie kann es wagen, heute ein Stündchen aufzustehen. Himmlisches Wetter! Ein wunderbarer Mai!“ Unter dem leichten weißen Morgenkleid hob sich die junge Brust in tiefen wohligen Atemzügen und die warmen dunklen Augen leuchteten.

„Kommst Du nicht heraus, Ilse?“

„Kann nicht! Muß Mamas Erwachen abwarten! Du reitest aus?“

„Ja, und weit! Ich bleibe ziemlich lange fort. – Mamsell hat mir einen Bissen Frühstück mitgegeben.“

„Vielleicht triffst Du Armin unterwegs. Der ist schon eine ganze Weile fort; er war leise wie eine Maus an unserer Thür, mir Guten Morgen zu sagen. Der arme Schlingel ist ganz unglücklich darüber, daß der Pony so faul und steif und bockbeinig geworden ist in seinem hohen Alter. Kauf’ ihm einen neuen, Papa!“

Es zog wie ein Wolkenschatten über des Barons freundliches Gesicht. „Ich muß fort,“ sagte er hastig, „dort kommt Philipp mit dem Braunen!“

„Warte noch eine Sekunde! Ich hab’ was für Dich!“

Aus dem Fenster flog eine schöne frische Malmaisonrose, so geschickt geworfen, daß sie dem Baron gerade auf die Mütze fiel. Er dankte mit einer anmutigen Handbewegung. „Adieu, Burgfräulein!“

„Adieu, Herr Burggraf!“

Das Fenster wurde geschlossen, die helle Gestalt verschwand. Mit einem Seufzer steckte Doßberg die Rose in sein Knopfloch. Dann bestieg er sein Pferd und trabte rasch hinaus in die lachende Landschaft.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_035.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)