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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

es ist treuloser und fahnenflüchtiger als irgend ein Ding in dieser Welt. Spielgeld hat auch für den Spieler ein völlig anderes Gesicht als durch Arbeit erworbenes. In den Spielbädern hatte seiner Zeit das Geld fast keinen Wert. Wenn man von einem bescheidenen Abendessen aufstand, so hatte es ein kleines Vermögen gekostet. Haarsträubende Preise standen auf den Speisekarten.

Ich schließe die kurze Betrachtung mit einem eigenen Erlebnis, so wie es in der Erinnerung vor mir aufsteigt. Es mag allen denen zur Abschreckung dienen, die jemals die Lust anwandelte, einen der geheimen Spielsäle zu besuchen, denen gründlich den Garaus zu machen die Behörden mit unerbittlicher Strenge bestrebt sein sollten.

*  *  *
Bekenntnisse eines Spielers.

Es war weit nach Mitternacht, vor einer langen Reihe von Jahren. Schon seit geraumer Zeit stand ich auf dem Nauheimer Bahnsteig und wartete auf den von Frankfurt a. M. kommenden Zug.

Endlich tauchte die Lokomotive mit ihren roten Augen wie ein schreckhaftes Ungetüm aus der Finsternis auf.

Das immer stärker werdende brausende Geräusch wirkte auf die Nerven und schuf eine fieberhafte Spannung, und erst nachdem ich hastig eingestiegen war und die Thüre hinter mir geschlossen hatte, schlug das Herz wieder ruhiger. Die Lampe war verlöscht und alles lag im Dunkel. Ich suchte mich zurechtzufinden. Aus einer Ecke drüben drang Schnarchen an mein Ohr, und jetzt eben rührte sich auch in meiner Nähe ein Passagier und redete mich ohne Einleitung an.

„Nicht einmal Licht machen die Kerle! Nicht wahr, es war erst Nauheim, wo wir eben hielten?“

Ich bestätigte kurz.

„Ist schon, mit Verlaub zu fragen, etwas dort los? Waren Sie im Spielsaal?“

In meine bejahende Antwort warf der Fremde einen Fluch.

„Niederträchtiges Räuberpack!“ stieß er hervor und holte unter tiefer Erregung Atem.

„Sie meinen?“

„Ich meine das Volk da in Homburg, die Gauner, die einem das Geld aus der Tasche reißen. Ich meine das Spiel – die ganze gemeine Wirtschaft, die öffentliche, welche die Menschen verführt, ruiniert und ins Elend treibt!“

Ich muß gestehen, dieser Ausbruch stieß mich zunächst eher ab, als daß ich mehr zu hören wünschte. Zu unvermittelt eröffnete der Fremde sich mir, dem Fremden. So gab ich denn keine Antwort und eine Pause trat ein, in der jener allerlei Unverständliches vor sich hinmurmelte. Dann aber nahm er von neuem das Wort und sagte in einem weichen Ton:

„Entschuldigen Sie, daß ich mich so ausließ, aber mir ist wie einem Verurteilten zu Mute, und alles einmal vom Herzen herunterzusprechen, was mir fast die Seele abdrückt, ist mir ein Labsal.“ Und dann, als ich etwas entgegnet hatte, was er als eine Ermunterung zum Weiterreden auffassen konnte, sprach der Mann mit gedämpfter Stimme wie folgt:

„Sie hören den drüben schnarchen. Es ist mein Reisekamerad. Er ist’s, der mich vor Jahren zum ersten Mal zum Spiel verführt hat, er ist’s, dem ich all mein Elend verdanke.

Ich bin Kaufmann, lebe in C., habe eine liebe Frau und vier Kinder und gelte in meiner Heimat als ein gutgestellter solider Mann. Ich galt wenigstens als solcher. Die Geschäftsreisenden spüren schon seit Jahren, daß es übel mit mir steht.

Eines Tages lud mich der“ – er zeigte in die Dunkelheit – „mit andern Bekannten in sein Haus und legte nach dem Abendessen ein Spiel auf. Ich weigerte mich, teilzunehmen, aber schließlich ließ ich mich doch überreden und hatte das Glück, mit hundert Thalern nach Haus zu gehen. Als er mich wieder aufforderte, blieb ich fest, einmal, zweimal – endlich gab ich doch wieder nach.

Er hielt wieder eine Gesellschaft – er ist Privatbaumeister und verdient sehr viel – und wieder wurde ein ‚Jeu‘ gemacht. Abermals war mir das Glück hold, und von Stund’ an war ich verloren und verkauft, dem Spiel mit Leidenschaft ergeben. Aber fragen Sie mich nur nicht, wie ich diese sechs Jahre verlebt habe!

Mitten in der Arbeit zog’s mich zu den Karten. In der Nacht träumte ich von Spiel und von Gewinnen. Gespräche, die einen anderen Inhalt hatten, besaßen keinen Reiz mehr für mich, das Interesse für meine Familie, meine Frau, meine Kinder, mein Fortkommen trat in den Hintergrund. Nur möglichst viel Geld für den einen Zweck, für das Spiel, zur Hand zu haben, war mein fortwährender Gedanke. Um dafür größere Summen anzuschaffen, legte ich mich auf Spekulationen. Ich spekulierte in Federn, Wolle, und wiederholt kaufte ich große Posten Nutzholz, obschon ich mich früher nie damit befaßt hatte. Einmal gewann ich durch rechtzeitigen Einkauf von mehreren tausend Faß Sardellen ein erkleckliches Stück Geld, konnte dadurch einen großen Spielverlust decken, hörte aber nicht auf, sondern ging nun zum ersten Mal mit ihm – dem da – auf Reisen – nach Wiesbaden.

Nachdem ich erst am öffentlichen Spieltisch Blut geleckt hatte, war ich ganz verloren. Nur mein Geschmack änderte sich. Das Kartenspiel im Privatkreise übte keinen Reiz mehr auf mich aus. Immer zog’s mich in die funkelnden Säle nach Wiesbaden und Homburg. Das Rollen der Roulettekugel war für mich Musik und die Aufregung des Gewinnens und Verlierens süßeste Kost für meine Sinne.

Ich erinnere mich noch meiner Gefühle und Gedanken, als ich die erste Hypothek auf mein Haus aufnahm – tausend Thaler. Ich wollte damit in Homburg spielen, um, wie ich hoffte, meine bereits nach vielen Tausenden sich beziffernden Verluste zu decken. Da raunte mir eine innere Stimme zu: ‚Thu’s nicht! Noch kannst Du alles allmählich begleichen, noch ist nicht alles verloren. Einige Jahre einigermaßen erfolgreicher Arbeit, und das ins Wanken geratene Gebäude steht wieder fest.‘ Aber wie mit Magneten zog’s mich fort und meine ‚kinderhaften Bedenken‘ schlug der, der da jetzt so ruhig schlafen kann, rasch zu Boden. Ich war ihm bequem. Ich war sein Sündenbruder, er mochte nicht allein reisen. Natürlich verlor ich die tausend Thaler und – lieh mir nun von ihm noch sechshundert. Die gingen auch fort.[1]

Wie vernichtet reiste ich damals zurück und schwur mir, nun nicht wieder zu spielen. Nie, niemals!

Es ging auch längere Zeit. Freilich, das Groschenverdienen, wo es solche Ausfälle zu decken gab, war eine harte, schwere Probe! Und wieder kamen die Furien. Wieder gaukelten sie meinem Gehirn heiße Bilder vor von raschem mühelosen Gewinnen in großem Stil. Ein guter Griff und ich konnte gerettet sein!

So nahm ich denn weitere dreitausend Thaler auf meinen Besitz auf.

Diesmal reiste ich allein in aller Stille. Meine Glieder zitterten, als ich in den Spielsaal trat, meine Hände flogen, als ich zum ersten Mal wieder auf eine Nummer im Roulette setzte. Ich setzte auf einundzwanzig, auf meinen Geburtstag. Die Kugel rollte, ich hörte den Croupier rufen, die Harke erschien – mein Einsatz ging dahin. Und so fort und so fort, bis das Letzte verloren war. Die Bank gab mir damals Geld, damit ich zurückkehren konnte. Dennoch und trotzdem hätte ich mich retten können, wenn ich jetzt innegehalten hätte.

Da kam aber der da drüben wieder mit hundert Worten und Einreden. Und wiederum ergab ich mich dem alten Teufel, nun merkwürdigerweise mit ziemlich bedeutendem Gewinnüberschuß herauskommend. Viermal im Jahre war ich fort. Ich probierte wechselnd das Glück, bald da, bald dort, bald mit dem einen, bald mit dem andern Spiele. Jetzt aber – ich habe diesmal in Homburg nicht einen einzigen Treffer, sondern nur Verluste gehabt – bin ich so weit, daß ich nicht nur keinen Pfennig mehr besitze, sondern 26000 Thaler Schulden habe, nicht zu rechnen das, was der da mir geliehen hat. Er war auch schon mehrere Male völlig ruiniert, hat sich aber im letzten halben Jahre durch eine Erbschaft wieder in die Höhe gebracht und diesmal sehr viel gewonnen.

Von diesen 26000 Thalern sind 6000 Thaler in den nächsten Tagen auf Wechsel fällig, und wenn er, der es kann, mir morgen früh sie nicht giebt – bis jetzt weigert er sich – dann – –“ Er hielt inne, fast atemlos. Gerade in diesem Augenblicke erwachte der Schläfer, aber auch der Tag war erwacht, und als ich die Gardinen lüftete, brach eben wie ein reiner unschuldiger Engelsblick die Sonne hervor.

Noch schaudernd über das, was ich gehört hatte, wandte ich

  1. WS: Fehlender Punkt ergänzt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_050.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)