Seite:Die Gartenlaube (1894) 066.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Heimlich, ohne Wissen der Eltern, trat sie mit dem Schauspieler La Roche in Verbindung, der ihre Begeisterung für die Kunst nährte und ihren Eltern riet, sie die Theaterschule besuchen zu lassen. Ihre erste Anstellung war in Frankfurt a. M.; dann gehörte sie der Hamburger Bühne an, später dem Königlichen Schauspielhause in Berlin. Nach Hülsens Abgang trat sie von dieser Bühne zurück und begab sich auf Gastspielreisen, die nur noch einmal durch eine kurze Verpflichtung für das Lessingtheater in Berlin unterbrochen wurden. Marie Barkany hat den Typus einer feurigen Südländerin, große dunkle Augen und rabenschwarzes Haar, dabei eine elegante schlanke Erscheinung, die sie durch geschmackvolle und glänzende Toiletten zu heben weiß. Der berühmte Maler Adolf Menzel nannte sie die „redemächtige Muse“; sie beherrscht das Wort mit feinem Verständnis, aber auch die Gebärde ist stets im Einklang mit dem Worte, und ihr Spiel hat etwas Innerliches und Seelenvolles.

Auch Amanda Lindner ist in vielen deutschen und russischen Städten aufgetreten; aber sie hat diese Wanderschaft nicht allein unternommen, sondern als ein Mitglied des Meininger Hoftheaters, jener vielgerühmten Wandergesellschaft, deren Einfluß auf die deutschen Bühnen, besonders auf die Regiethätigkeit derselben, nicht hoch genug geschätzt werden kann. Jetzt freilich ist Fräulein Lindner wie alle die andern Künstlerinnen, die wir noch besprechen werden, fest angestellt und an eine hervorragende Bühne gebunden. Amanda Lindner ist ein Leipziger Kind und aus dem Ballett des Leipziger Theaters hervorgegangen. Die Ballettschulung hat sich für mehrere namhafte Künstlerinnen sehr vorteilhaft erwiesen, besonders was Grazie und Anmut des Gebärdenspiels betrifft. Wer Amanda Lindner als Preciosa, wer ihren Herodiastanz in der „Rose von Tyburn“ gesehen hat, der wird zugeben, daß es Rollen giebt, für welche jene Vorschule von großer Wichtigkeit ist. Von Leipzig kam die Künstlerin nach Koburg und von dort nach Meiningen, wo sie eine ausgezeichnete Lehre durchmachte; der Herzog und seine Gemahlin, welche, selbst früher Künstlerin, den Anfängerinnen die wichtigeren Rollen einzustudieren pflegte, ein Bühnenleiter wie Chronegk förderten die junge strebsame Kraft, die sich an den Triumphen der „Meininger“ bei ihren Gastreisen beteiligte und selbst wesentlich zu ihrem Glanze beitrug. Neben der Jungfrau von Orleans und dem Klärchen im „Egmont“, das besonders in der Marktscene eine hinreißende Wirkung ausübte, spielte sie auch jene zarteren Shakespeareschen Rollen wie Desdemona und Ophelia, Lustspielrollen wie die geistreiche Porzia und die trotzige Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“, auch Luise in „Kabale und Liebe“, Thekla im „Wallenstein“, sowie die verführerische Magdalena in der „Rose von Tyburn“. Ihre so erfolgreiche Darstellung der Jungfrau von Orleans bei Gelegenheit des Berliner Gastspiels der „Meininger“ hatte die Aufmerksamkeit der Berliner Hoftheaterleitung auf die Künstlerin gelenkt; nachdem die „Meininger“ ihre Rundreisen eingestellt hatten, wurde sie auf eine lange Reihe von Jahren für das Königliche Schauspielhaus gewonnen. Amanda Lindner ist eine durchaus sympathische Künstlerin, ihr Gesicht hat eingeschnittene Züge, ihre Gestalt ist schlank und anmutig, ihr Organ, obschon ursprünglich mehr für das Kräftige als für das Zarte angelegt, ist biegungsfähig und sie weiß damit ebenso das Milde, Weiche, Mädchenhafte auszudrücken wie den begeisterten Aufschwung.

Ebenfalls aus dem Leipziger Ballett ist Anna von Hochenburger hervorgegangen, jetzt wie Amanda Lindner eine Zierde des Berliner Hoftheaters. Dr. Förster entdeckte als Direktor des Leipziger Stadttheaters die Anlagen des Fräulein Jürgens und übernahm die Leitung ihrer ersten schauspielerischen Ausbildung. Sie trat zuerst als Luise in „Kabale und Liebe“ mit vielem Beifall auf und dann in anderen kleineren Rollen. Im Jahre 1883 ging sie an das Deutsche Theater in Berlin und errang sich namentlich als Julia die volle Gunst des Publikums, die ihr auch treu blieb, als sie 1887 an das Königliche Schauspielhaus übersiedelte. Die Anmut ihrer Erscheinung, das sinnlich Frische und doch Seelenhafte ihres Wesens machten sie zu einer hervorragenden Darstellerin der lieblichen Mädchengestalten Shakespeares. Die Julia war und blieb ihr großer Treffer auch am Hoftheater; ihr schlossen sich die Miranda in „Sturm“, die Desdemona in „Othello“ würdig an. Die Hero in „Des Meeres und der Liebe Wellen“, die Sulamith in Heyses „Die Weisheit Salomos“, die Nausikaa in dem Schreyerschen Drama, die Katharina in Doczis „Letzte Liebe“ fanden ebenfalls viel Beifall. In der letzteren Rolle tritt sie anfangs als junger Ritter auf, und Karl Frenzel rühmt ihr nach, sie habe ausgesehen wie eine von Ariostos Heldinnen, voll Jugendfrische und Lebendigkeit und Schwung in Sprache und Bewegung. Als Vasantasena hat sie dem altindischen Drama gleichen Namens vorzugsweise durch ihr Spiel einen schönen und nachhaltigen Erfolg auf der ersten Bühne des Deutschen Reichs gesichert.

Die Vertreterin des Fachs der ersten Liebhaberin am Stuttgarter Hoftheater, Luise Dumont, stammt aus einer ursprünglich in Italien, später in Südfrankreich ansässigen Familie. Sie wurde 1865 in Köln geboren; schon stand sie im Begriff, den Schleier der Karmeliterinnen zu nehmen, als ein plötzlicher Glückswechsel in ihrer Familie sie zwang, diesen Vorsatz aufzugeben, und sie von der Schwelle des Klosters auf die Bretter des Deutschen Theaters in Berlin führte. Hier sowohl wie in Reichenberg und Graz machte sie ihre ersten Studien, ohne geeignete Beschäftigung zu finden. Das wurde besser, als sie durch Adolf Wilbrandt für das Burgtheater gewonnen worden war; dort konnte, von ihm und Sonnenthal gefördert, ihr Talent sich freier entfalten. Immerhin wurde sie hier von einer Charlotte Wolter und den anderen Größen noch zu sehr in Schatten gestellt. Erst als sie nach Wilbrandts Rücktritt von der Leitung des Burgtheaters, nach Stungart übersiedelte, fand sie einen Spielraum für den ungehinderten Aufschwung ihrer Begabung. Eine glänzende Bühnenerscheinung, ein südliches Temperament, ein das Feuer desselben regelndes gründliches Verständnis ihrer Aufgaben sind die Vorzüge der Künstlerin, die in den Rollen des klassischen Repertoires wie Julia, Maria Stuart, Hero u. a. ebenso hervortreten wie in denen der modernen Dramatik eines Ibsen, Voß, Sardou, Sudermann, denen sie sich mit Vorliebe zuwendet.

Ebenfalls in Süddeutschland, am Münchener Hoftheater, hat eine andere Darstellerin ihr künstlerisches Heim gefunden, Clara Heese. In Dresden am Elbstrom erblickte sie das Licht der Welt als Tochter des verstorbenen Hofschauspielers Rudolf Heese, und nachdem sie die Schule der vortrefflichen Bayer-Bürck besucht, hat sie in Dresden selbst den ersten theatralischen Versuch gemacht. Von dort kam sie nach Hamburg ans Thaliatheater, wo ihr Maurice ein sehr wohlgesinnter liebenswürdiger Direktor war, dem sie sich zu dauerndem Dank verbunden fühlt. Im Jahre 1877 gab sie mit schönem Erfolg ein Gastspiel am Wiener Hofburgtheater, wo sie 1879 angestellt wurde und alsbald sich die Gunst des Publikums erwarb. Doch wurde ihr Vertrag nicht erneuert; sie kehrte 1882 Wien den Rücken, um von da ab dem Münchener Hoftheater anzugehören, dessen Zierde sie noch heute ist. Sie spielt mit Vorliebe Shakespearesche Lustspielrollen, doch ebenso die Claire in Ohnets „Hüttenbesitzer“, eine Dora und Fedora, eine Eva und eine Alexandra in den gleichnamigen Dramen von Sardou und Voß. Ihr letzter großer Erfolg war die Magda in Sudermanns „Heimat“. Die Kritik rühmt ihre herrliche Bühnenerscheinung, ihre Meisterschaft im Mienen- und Gebärdenspiel, die tragische Wucht der Rede, den aus dem Herzensgrunde heraufgeholten Ton der Empfindung.

Kehren wir von der Isar zurück an die Ufer der Spree! Hier finden wir in Teresina Geßner-Sommerstorff eine ebenso begabte wie liebenswürdige Darstellerin, welche seit 1885 dem Deutschen Theater angehört. Teresina Geßner wurde als die Tochter eines österreichischen Offiziers in Oberitalien zu Vicenza geboren; im Alter von zehn Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Wien. Bis dahin hatte sie sich mit der deutschen Sprache wenig vertraut gemacht, denn ihre Mutter war eine Italienerin. In Wien erhielt sie eine sorgfältige Erziehung, und da sie Neigung und Talent für die Bühne zeigte, so ließen ihre Eltern sie vom sechzehnten Jahre an die Schauspielschule des Wiener Konservatoriums besuchen. Darauf wurde sie zuerst in Brünn, später in Innsbruck und Graz angestellt, dann für das Deutsche Theater in Berlin gewonnen. Vorher trat sie mehrmals im Hofburgtheater auf, ohne ein Engagement im Auge zu haben, da sie schon in Berlin gebunden war. In Berlin vermählte sie sich 1888 mit dem tüchtigen Darsteller Otto Sommerstorff. Als Künstlerin vereinigt sie Innigkeit des Spiels mit südlicher Glut – Rollen wie Hero in „Des Meeres und der Liebe Wellen“, wie Julia in „Romeo und Julia“, wie Parthenia im „Sohn der Wildnis“ weiß sie mit einem Zauber

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_066.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)