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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


erzählen konnte. Der Oberbau, den ein steiles, gebrochen vorspringendes Schindeldach bedeckte, war aus Balken gefügt. Eine hölzerne Freitreppe führte in eine Vorhalle; hier standen zwei lange Tische mit Holzbänken und dreibeinigen Stühlen; Jagdnetze, Schneereifen und eiserne Raubtierfallen hingen an der Wand. Saufedern und Grießbeile lehnten in den Ecken, und an den höheren Balken reihte sich eine Trophäe an die andere. Eberköpfe, Bärenhäupter, Hirschgeweihe und Luchsköpfe. Von dieser Halle führten zwei niedere Thüren in das Haus, und aus der einen, welche offen stand, hörte man zwei Stimmen, rauh und zornig die eine, die andere scheu und stammelnd.

„Der Herr ist drin, geh’ nur hinein!“ sagte der Knecht zu Sigenot, nickte und ging davon.

Der Fischer trat über die Schwelle. Der Raum vor ihm, das war die Herrenstube in Wazemanns Haus; sie hatte vier Fenster, aber der Schliem[1], mit dem die Fensterrahmen überzogen waren. ließ vom späten Licht des Abends nur noch eine trübe Helle ein. Gebräunte Balken bildeten die Decke, von welcher an Ketten ein eiserner Reif mit aufgesteckten Hirschtalgkerzen niederhing. Darunter ein Tisch mit Stühlen; in einer Ecke der massige Lehmofen. Die von Geweihen starrenden Balkenwände waren rauh mit Mörtel beworfen und geweißt. Entlang der Mauer liefen Holzbänke. unterbrochen von Truhen und drei niederen Thüren. Hier ein Sattelbock, dort ein Gestell mit Waffen und Jagdgerät, und dazwischen in der Wand ein alkovenartiger Ausbau mit dem Spanbett, in welchem Herr Waze die Nachtruh’ zu halten pflegte, seit Frau Friderun, sein Eheweib, das Zeitliche auf blutigem Weg gesegnet hatte.

Heute aber schien die Stunde, um welche sich Herr Waze nach Schlaf und Ruhe sehnte, noch lange nicht gekommen. Seine Stimme klang in dem Raum wie Bärengebrüll in der Grube; mit beiden Fäusten hielt er den Bauer, welcher stotternd vor ihm stand, am Bart gefaßt, rüttelte und schüttelte ihn und schrie ihm ins Gesicht. „Wart’, Du, wart’! Dir will ich zeigen, wer Dein Herr ist! Du sollst mir den Zinstag merken! Dir will ich’s einbläuen!“ Mit der Fanst holte er zum Schlag aus.

Da faßte Sigenot seinen Arm. „Aber Herr, lasset doch den Bauer aus! Ihr redet ein lützel gar zu grob! Wenn Ihr ihm das Hirn in die Ohren beutelt ... wie soll er denn hören?“

Herr Waze ließ den Bauer fahren und schrie: „Wer untersteht sich denn ...“ da verstummte er wieder. Er hatte den Fischer erkannt und schien Ursache zu haben, seinen Zorn gewaltsam zu bezwingen. Er packte die Säume seines langen Hausrockes, schlug sie über dem Leib zusammen und brummte: „Du? So? Du bist da?“

Sigenot wandte sich an den Bauer, in welchem er seinen Nachbar erkannte, den Marderecker. „Was hast denn angestellt?“

„Der Lump und Gauchdieb!“ schrie Herr Waze. „An Sonnwend’ hätt’ er zinsen sollen – und heut’, im halben Augst[2], kommt er und heult, ich soll noch warten bis nach der Albenzeit.“

„Aber guter Herr, habet doch Einsicht!“ stammelte der Bauer mit halb erstickter Stimme. „Wie hätt’ ich denn käsen sollen? In sechs Wochen hat mir der Bär vier Geiß’ gerissen, meine besten Milchgeiß’.“

„Freilich! Steiner frißt halt der Bär nicht.“

„Aber ich kann doch aus Steiner auch kein Schmalz machen!“

„Schau den an!“ schrie Herr Waze. „Spitzwörteln will er auch noch!“ Und wieder wollte er mit beiden Fäusten zugreifen.

Sigenot trat dazwischen. „Lasset ihn doch in Ruh’, Herr, der arm’ Hascher hat ja eh’ keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht. Und daheim bei ihm schaut’s grausig aus. Eine Kuh ist ihm umgestanden, und sein Weib kann nimmer schaffen.“

Herr Waze that einen langen Fluch, spuckte aus und griff nach der Metbitsche auf dem Tisch. Als er sie leer fand, klapperte er mit dem Deckel und schrie. „Ulla! Ulla!“ Eine greise Magd erschien, um den Krug zu holen.

Inzwischen fragte Sigenot den Bauer. „Wie viel macht Dein Zins?“

„Auf Sonnwend’ zwanzig süße Geißkäs’.“

„So komm’ halt morgen zu mir. Ich red’ mit meiner Mutter – die leiht Dir den Zins. Kannst ihn ja wieder heimgeben, aber Eil’ hat’s keine. Und wenn’s halt gar nimmer sein kann ... liegt auch nichts dran!“

Der Bauer fand kein Wort des Dankes, aber seine Augen redeten. Herr Waze lachte. „Die Käs’, Fischer, die hast gesehen! Aber thu’, was Du magst, es geht ja um Dein’ Sach’, nicht um das meinig’! Und Du“ – das ging den Bauer an – „Du mach’, daß Du weiter kommst!“ Ein Tritt, und der Marderecker brauchte die Thür nicht mehr zu suchen.

Die Magd brachte den Krug. „Steck’ die Kerzen an!“ brummte Herr Waze und wandte sich wieder zum Fischer. „Was ich sagen will ... die Ferchen sind sauber gewesen. Was willst denn haben dafür?“

„Stahlsteften könnt’ ich wieder brauchen auf Angelhaken.“

„Die sollst haben. Und meine Dirn’ hat einen Hirsch geworfen; von dem schick’ ich Dir eine Keul’.“

Sigenot schüttelte den Kopf. „Nicht von dem! Ich hab’ ihn sterbem sehen.“

Herr Waze stieß einen schmerzvollen Laut aus, als hätte er einen Stoß auf den Leib bekommen. „Die Leut’ sterben,“ schrie er, „die Hund verrecken ... aber der edle Hirsch verendet! Ein Fischer! Soll ein halber Jäger sein und kann nicht einmal reden! Und grausen thut ihm vor Wildpret! Meinetwegen!“ Er schüttelte den Kopf, und um seine Fassung wiederzufinden, griff er nach der Bitsche.

Auf dem Eisenring brannten die Kerzen, und ihr rötlicher zuckender Schein beleuchtete den Trinker. Der lange aus Hirschleder genähte Hausrock umhüllte eine klobige, vom Alter schon etwas gebeugte Gestalt, ein grauer langsträhniger Bart umrahmte die von Zeit und wüstem Leben zerstörten Züge; alles an diesem Gesicht war welk und schlaff, nur die grauen Augen hatten noch Glanz und festen Blick. Straffes Haar hing an den Schläfen und im Nacken, das Oberhaupt war kahl, doch über der Stirne sträubte sich ein vereinsamter Haarbusch, als hätte die Zeit ihn eigens verschont, damit ihn ein zausendes Schicksal doch endlich noch zu fassen bekäme.

Herr Waze hatte einen tiefen Zug gethan und stellte die Bitsche nieder; mit einem Augenwink wies er die Magd aus der Stube. „So, Fischer, jetzt laß uns reden miteinander! Komm’ her, hock’ Dich nieder!“ Sie setzten sich. „Und fürs erste ... da, trink!“ Herr Waze schob seinem Gast die Bitsche hin.

„Ich hab’ keinen Durst,“ sagte Sigenot und steckte seine Kappe hinter den Gürtel.

Herr Waze schielte den Fischer von der Seite an. „Meinetwegen!“ brummte er; dann legte er die Arme über den Tisch, blickte eine Weile schweigend mit spähendem Blick in Sigenots Gesicht, als prüfe er seinen Mann, und sagte: „Also, jetzt red’! Was meinst denn Du dazu.“

„Wozu? Ich versteh’ nicht!“

„Hast sie doch auch schon gesehen heut’!“

„Wen, Herr?“

„Die Kuttenlupfer! Bist ja dazugekommen, wie meine Dirn’ mit ihnen zusammengeraten ist.“

Langsam hob Sigenot die Augen; aber keine Miene zuckte in seinem Gesicht. „Wohl wohl!“

„Also! Jetzt red’! Was sagst dazu?“

„Ich? Und sagen? Was gehen denn mich die fremden Leut’ an?“

„Fremde Leut’?“ Herr Waze blinzelte. „So? Du bist aber schnell fertig.“ Er lachte und legte die unruhigen Hände um die Bitsche. „Wenn aber der Oberste von ihnen morgen kommt und sagt zu Dir: ‚Du, Fischer, jetzt paß’ auf, jetzt bin ich der Herr im Gadem, und Ihr all’ seid Kirchenknecht’, da giebt’s keinen Unterschied – und Fron und Zins und Steuer, alles gehört mir, mein ist der Wildbann, und das Fischrecht über Bach und See, das laß’ ich auch nicht aus, her damit!‘ Was sagst denn nachher, Fischer?“

Sigenot lächelte. „Da könnt’ ein jeder kommen und könnt’ so reden. Es fragt sich nur, wie viel er ausricht’ bei mir.“

„Gelt, ja? Gelt?“ lachte Herr Waze. Die Antwort schien ihm zu taugen. „Also? Was wirst denn sagen, wenn er kommt?“

„Da müßt’ ich mich erst besinnen. Aber ich mein’, ich find’ schon die richtige Red’.“

„Hast recht! Laß’ Dir nur nichts gefallen! Und wenn

  1. Dünn gegerbte Netzhaut.
  2. August.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_070.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2019)