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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Briganten. Dem Inspektor wurden die zwei Gewehre, die er über der Schulter trug, abgenommen, dann ward er geknebelt. Einer der falschen Carabinieri ergriff das Pferd des Herrn beim Zügel, und vorwärts ging’s. Der Sohn, der die Lage seines Vaters vollständig begriff, begann bitterlich zu schluchzen. An Flucht war nicht zu denken. Ein Bauer, der seines Weges kam, wurde gleichermaßen geknebelt mitgenommen. Dasselbe Schicksal hatten die beiden Jäger, denen Signor Arrigo kurz vorher begegnet war. Bei einer Strohhütte wurde Halt gemacht. Die drei zuletzt Aufgegriffenen, ferner der Inspektor und Arrigos Sohn mußten eintreten. Diesem hatte der Wachtmeister noch in drohendem Tone gesagt. „Ich bin Giorgio Bruno (ein landein, landaus wohlbekannter Bandenführer), sage Deiner Mutter, daß sie so rasch als möglich dreißigtausend Onzen[1] flüssig mache und mir schicke; sage ihr aber auch, daß sie das fein stille abmache und nicht etwa die Gewalt aufbiete, da Ihr sonst Euren Vater nicht wiederseht.“

Herzzerreißend war der Abschied zwischen Vater und Sohn. Der Vater wurde weiter dem Gebirge zugeführt, bei der Strohhütte blieben als Wache bis zu hereinbrechender Dämmerung jene drei vermummten Bauern zurück. Nach deren Entfernung flohen die Eingeschlossenen nach Termini, wo die Sache bald ruchbar wurde. Die erschreckte Familie Arrigo that, wie es bisher ohne Ausnahme alle gethan, sie schwieg der Obrigkeit gegenüber und begann insgeheim durch Zwischenträger, die sich rasch anboten, mit den Briganten zu unterhandeln. Die Behörden in Anspruch nehmen, würde heißen, das Todesurteil des Gefangenen unterschreiben. Aber auch so ist der Ausgang immerhin zweifelhaft. Denn wenn die „Sequestration“ – so nennt man die Aufhebung einer Persönlichkeit durch die Briganten – aus Rache erfolgte, so verliert die Familie das Geld und dazu die geliebte Person. Der Gefangene wird unterdessen aufs strengste bewacht, erfährt aber meist eine rücksichtsvolle Behandlung, die Räuber sind um ihn herum wie treue Diener.

„Ew. Excellenz möchte rauchen? Wir haben hier ‚Minghetti‘, denn wir wissen, daß Sie nur diese Sorte lieben.“

„Excellenza möchte einen Bissen essen? Es thut uns unendlich leid, daß wir nichts Ihrer Würdiges haben, aber in der Campagna muß man die Dinge nehmen, wie sie sind.“

Und doch wird zumeist eine Tafel bereitet, auf der weder das Weißbrot, noch ein wohlgebratenes Huhn, noch ein guter Wein fehlen. Ja, oft giebt es silberne Bestecke und ein feines Kaffeeservice. Die Herren Wächter erlauben sich dabei nicht, mit „Sr. Excellenz“ zusammen zu essen, sie verkennen den socialen Abstand durchaus nicht und tragen ihm Rechnung, trotzdem sie eben das Heft in Händen haben.

Alongi erzählt eine Anekdote von einem jungen Baron S., der bei seiner Sequestration gegen 150 Lire in der Tasche hatte. Davon bereiteten die Briganten dem Herrlein ein prächtiges Mahl und übergaben ihm am Schlusse, genau wie in einem Speisehause Neapels oder Palermos, auf einem Teller die Rechnung, in welche natürlich auch das abseits von den Briganten verzehrte Essen einbegriffen war. So gut wurde es dem Cavaliere Arrigo nicht, und zwar aus dem Grunde nicht, weil die Soldaten und Gendarmen den Räubern auf den Fersen waren und ihnen nirgends lange Rast zu machen erlaubten. Oft ward der Gefangene mit verbundenen Augen geführt, oft in Höhlen versteckt, oft fehlte es an einem Bissen Brot. Vier bis fünf Tage lag er unter einem Treppenabsatz in irgend einer Behausung und ward mit dem Tode bedroht, weil Nachrichten von den Seinen ausblieben. Hierauf mußte er einen neuen dringlichen Brief nach Hause schreiben.

Endlich kam einiges Geld (man braucht bei diesen Gelegenheiten die Vorsicht, nur wenig auf einmal zu schicken, um die Mühsal des Herbeischaffens deutlich zu machen), den nächsten Tag mehr, und als 120000 Lire beisammen waren, wurde der Cavaliere Arrigo eines Abends in die Felder hinabgeführt und seinem Schicksal überlassen. Nach einer Abwesenheit von drei Wochen traf er, schwer an der Gesundheit geschädigt, bei den Seinigen ein. Die Gattin fand er sterbend.

Was hatte die Maffia bei diesem Fall zu thun?

Es ist natürlich, daß ein so gewichtiger Streich wie ein „Sequester“ nicht im Handumdrehen gemacht werden kann, er wird von lange her vorbereitet und verlangt die höchste maffiose Technik. Die Briganten sind dabei nichts als der Arm, das Werkzeug, alles andere ist Werk der unbekannten Verbrecher und Hehler. Von diesen studiert eine Gruppe lange und genau die Gewohnheiten des auserlesenen Opfers und der es umgebenden Personen. Zu diesem Zwecke wird einer der Knechte oder Campieri gar leicht gewonnen. Dieser treulosen Diener einer ist es auch immer, der sich zum nachherigen Vermittler beim Loskauf anbietet. Die Familie weiß genau, wes Geistes Kind der Mann ist, der ihr diesen Dienst leistet; sie nimmt aber dennoch gern und dankbar seine Hilfe an. So kommt es, daß der Gefangene draußen in irgend einer Schlucht seine Cigarrensorte, seinen Lieblingswein findet. Ebenso peinlich genau wird der zur Ausführung bestimmte Platz studiert. Eine zweite Gruppe, aus Bauern, Winzern, Hirten, Feldhütern, Hausierern und Bettlern bestehend, bildet die Gegenpolizei. Sie beschäftigt sich mit steter Berichterstattung über die Bewegungen der wirkliche Polizei und bestimmt die Wege der ihr Opfer führenden Briganten.

Zuletzt wird der Bergungsort ausgewählt. Ein Häuschen, ein Stall inmitten der zahlreichen Baulichkeiten eines großen Besitztums, eine von außen nicht sichtbare Höhle, meist in größter Nähe des Schauplatzes der That, oft auch ein Haus mitten in einem Dorfe. Alle diese Orte werden schon vorher reichlich mit Lebensmitteln versehen. Sind diese, wo sich die Dinge in die Länge ziehen, aufgezehrt, so finden sich auf verabredete Zeichen Lieferanten genug, die das Nötige an vorher bestimmten Stellen niederlegen. Verräter kommen hierbei fast nie vor und wenn dennoch, so sind sie früher oder später sicherem Tode verfallen.

Der Befreiung Arrigos folgten zahlreiche Verhaftungen. Der erste, der festgenommen wurde, war der Vermittler zwischen der Familie und der Bande. Der aber schwieg. Ein anderer jedoch, der lange im Kerker gesessen hatte und inzwischen von seinem Weibe verraten worden war, hatte sich, um Rache an diesem und dem Schädiger seiner Ehre zu nehmen, in die Bande Giorgio Brunos aufnehmen lassen; und durch diesen erfuhr man nun, daß Bruno einen großen Streich hatte ausführen wollen, daß die Uniformen seit langem bereit gelegen waren im Hause des Apothekers Pasquale Quattrocchi in Termini Imerese, der zusammen mit seinem Bruder Liborio, Seelsorger der Gemeinde, Haupt und Leiter des Unternehmens gewesen sei.

Inzwischen hatte auch ein auf den Feldern aufgefundener Knopf einer Carabinieri-Uniform Licht in die Dinge gebracht. Der Knopf trug die Firma eines Schneiders von Novara und dieser gab die Adresse des Bestellers in Termini an. Alle Fäden liefen in dem Hause des Seelsorgers Don Liborio Quattrocchi zusammen, der, wie sich im Verlaufe des Prozesses durch Zeugen, durch sein und fast aller Mitschuldigen Geständnis herausstellte, der „Capo assoluto“, das gebietende Haupt der Maffia war und bereits gegen acht „Se- questrationen“ geleitet hatte. Sein Bruder, der Apotheker, und sein Neffe, Giuseppe Giulio, waren Helfershelfer gewesen. Der Großrat der massiosen Verbrüderung versammelte sich abends unter dem Vorwand eines Spielchens in dem Laboratorinm der Apotheke.

Das Geschäft war einträglich, denn der Kassierer der Maffia zahlte von Arrigos Gelde dem Priester allein 30000 Lire aus; 10000 erhielt dieser für gehabte Auslagen, 20000 als Direktor der Maffia. Der Prozeß konnte wegen Bedrohung der Richter und Geschworenen durch die Maffia nicht auf Sicilien geführt werden, er wurde vor das Tribunal von Trani in Apulien verwiesen.

Bis zu welchem Grade von Frechheit, meinetwegen Tollkühnheit, die Hehler der Maffia gelangen, ist aus folgendem Geschichtchen, das in dem Büchelchen „I Masnadieri Giulianesi“ (die Räuber von Giuliana) erzählt wird, zu ersehen.

Ein gewisser Signorelli war von der Bande, die in Giuliana, Kreis Corleone, „ansässig“ war, sequestriert worden. Er wurde eifrig gesucht, war aber nirgends aufzufinden. Eines Tages rückt ein Trupp von fünfunddreißig Soldaten unter Führung des Kommandanten von Mazzara dem stark anrüchigen „Gevatter“ Castrenze Tamburello vors Haus. Der Kommandant tritt ein und findet den Mann „schwerkrank“ zu Bett. „Wie geht’s, Gevatter Castrenze?“

„Wie’s eben mag, teurer Herr Kommandant. Schlecht, in Monreale hab’ ich mir ’s Fieber geholt.“

„Das thut mir leid, und um so mehr, als ich Euch einen guten Vorschlag zu machen hätte.“

„Das ist gleich. Sagen Sie, Herr Kommandant, womit ich Ihnen dienen kann!“

„So hört, Gevatter Castrenze, ich habe einen guten Platz

als Flurschütze zu Eurer Verfügung, und das ist nicht alles.

  1. Onze, eine sicilianische Rechnungseinheit alten Stils = drei neapolitanische Ducati = 10 Mark unseres Geldes; 30000 Onzen also = 300000 Mark.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_094.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2020)