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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


7.

Es ging heute lebhaft zu im Garten des Offizierskasinos zu St. Fortwährend kam frischer Zuzug, die Offiziere schwärmten ein und aus, die Ordonnanzen liefen mit roten heißen Gesichtern herum. Man hatte eine Erdbeerbowle angesetzt – aber keine so schwache süße, bei der auch Damen mithalten könnten, diese hier war für stärkere Nerven, Baron Mock von Mockshausen hatte sie eigenhändig gemischt, und was der braute – alle Achtung! Ein bißchen heiß machte der „Stoff“, und heiß war’s ohnehin – na, das that nicht viel zur Sache! Die Uniformröcke wurden aufgeknöpft, die Halsbinden locker gemacht, man war ja „unter sich“, und „Ordonnanz, frisches Eis her!“ hieß es, sobald in der Kühlwanne der blinkende Wall, der die Bowle umschloß, zu schmelzen begann.

Ein neu in die Garmison versetzter Lieutenant, schon längere Zeit Premier, auf dem Sprung zum Hauptmann, sah sich mit vergnügten Augen im Kreise um und wirbelte unternehmend seinen Schnurrbart, ein wahres Prachtstück von einem Schnurrbart, rotbraun, lang und weich, der reine Staat. Wetter noch eins, hier kann es einem gefallen, dachte der Lieutenant, das hab’ ich nicht schlecht getroffen! Daß St. eine angenehme Garnison war und schön lag, das natürlich hatte Kurt von Oesterlitz längst gewußt und war daher recht gern hierher gegangen, aber daß die Kameraden ihm so „passen“ würden, daß der ganze Ton so ausbündig „sein eigenstes Genre“ sei – nein, das hatte er sich nicht vorgestellt. Wenn es nun hier noch hübsche Mädchen gab – der Sport konnte sich sehen lassen, das hatte er gleich herausgebracht – dann würde das ein verteufelt lustiges Leben geben.

„Hm, Kamerad, hübsch bei uns, nicht?“ fragte Baron Mock, genannt „der dicke Mock“, sein kupfrig rotes Gesicht nahe zu dem Neuling hinüberbiegend, während sein linkes Auge verschmitzt zwinkerte.

„Denk’ ich just!“ gab der Angeredete mit Nachdruck zurück, trank sein Glas leer und wischte sich die Weinperlen vom Bart. „Und Sie, Kamerad, sind ein Arrangeur ersten Ranges. Schneid’ und Gemütlichkeit, sehen Sie, das ist’s! Schneid’ und Gemütlichkeit – beides muß zusammengehen, eines ohne das andere ist fauler Zauber. Wenn Sie mich nur noch über einen Punkt beruhigen wollten, der mir nicht wenig am Herzen liegt, dann erklär’ ich Ihre Garnison für mein Ideal!“

„Na, los damit! So ein paar Punkte hätten wir heut’, sollt’ ich denken, schon durchgesprochen –“

„Aber nicht diesen einen! Und, wie gesagt –“

„Mock, was soll das heißen? Kamerad Oesterlitz hat ein leeres Glas vor sich!“ – „Darf überhaupt gar nicht vorkommen!“ – „Infamer Anblick!“ – „Ordonnanz! Ordonnanz!“ – „Sparen Sie doch Ihre schöne Stimme, Zeno, da ist ja schon die Ordonnanz und thut ihre heilige Pflicht!“ – „Zum Wohl, Kamerad Oesterlitz!“

In dem Durcheinander von Stimmen vernahm niemand sein eigenes Wort. Mock machte einen langen Hals und sah in die Bowle hinein, ob man ihr noch einiges zumuten könne. Er klopfte liebkosend gegen die dicke Wand des mächtigen Gefäßes, wie wenn er ein braves Pferd loben wollte – sie hielt noch aus.

„Sie haben Glück, Kamerad,“ wandte er sich zu Oesterlitz zurück, „daß Sie so mitten in die Fidelität hineingekommen sind – alle Tage klappt’s nicht so schön. Aber jetzt schweben die Beförderungen und der Urlaub in der Luft, das giebt dann so ’ne angenehme Spannung und eine allgemeine Beteiligung. Sie finden heute alles, was bei uns mitzureden hat, in gedrängtem Auszug beisammen –“

„Aber Mock, Mock! Redet der Mensch von ‚gedrängtem Auszug‘, wenn Montrose und Jagemann fehlen!“

„Also zwei Kameraden?“ fragte Oesterlitz dazwischen. „Wollen die Herren mich freundlichst au fait setzen?“

„Natürlich! Zeno – wo ist er hin?“ – „Zeno, heran!“ – „Kamerad,. Sie müssen wissen, dies ist die Scheherezade des Regiments – Zeno, machen Sie Ihren Knix!“

Zeno, ein schmächtiges blasses schwarzes Kerlchen mit einem klugen Fuchsgesicht, zündete sich gleichmütig eine Cigarette an. „Man erhitze sich nicht! Bei dem Gebrüll red’ ich keinen Ton.“

„Pst, pst! Ruhe!“ – „Wind, hör’ auf zu säuseln, Blätter, wollt ihr wohl euer Geflüster bleiben lassen, merkt ihr denn nicht: der Zeno will reden!“ – „Wohin mit ihm? Keine Tribüne da? Mock, gieb’ mal den Ehrensessel her!“

Der Ehrensessel war ein weißangestrichener Gartenstuhl, der etwas breiter und bequemer als die übrigen Sitze gebaut und mit einem rot und schwarz gestreiften Polster belegt war. Zeno nahm ohne weiteres auf diesem Prunksitz Platz, winkte der Ordonnanz, in gemessener Entfernung zu bleiben, und wendete sich verbindlich an Oesterlitz. „Sie wünschen, Herr Kamerad, von mir einiges Nähere über die Herren von Montrose und Jagemann zu hören?“

„Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen!“

„Gern! Da muß ich aber erst ein paar Worte von Montroses Familie sagen, wenigstens, was man sich da so erzählt. Verbürgen kann’s keiner, aber geredet wird, Ihnen muß es auch zu Gehör kommen, wie uns allen – besser also, Sie erfahren es durch uns, damit Sie gleich Stellung nehmen können.“

„Sehr hübsch, Zeno! Guter Anfang! Das nennt man Stimmung machen!“

Zeno zuckte mit einem kleinen spöttischen Lächeln die Achseln. „Die Montroses sind ein sehr altes Geschlecht – der Kamerad, den wir hier haben, hat so oft erzählt, seine Vorfahren hätten schon unter Heinrich dem Vierten eine Rolle in Frankreich gespielt, daß ich es schon erwähnen muß. Sie führen eine Rose im Wappen, es soll da vor ein paar Jahrhunderten eine bedeutungsvolle Geschichte mit einer schönen Dame und einer Rose gespielt haben –“

„Die Montroses sind überlieferungstreue Leute,“ fuhr Mock mit einem listigen Augenzwinkern dazwischen. „Noch heutigestags spielen bedeutungsvolle Geschichten mit schönen Damen bei ihnen ... mit und ohne Rosen.“

Oesterlitz hob den Kopf. „Damen? Ein Thema, das mich interessiert. Sie wissen, Herr Kamerad, ich hatte da noch eine Frage –“

Zeno schnitt mit der Hand durch die Luft. „Zu den Damen kommen wir später, für jetzt sind wir bei der Familie. Ja, also, die Familie wanderte aus, als die große Revolution kam, und zog zuerst nach Belgien, dann nach Deutschland. Der Vater des jetzigen Herrn von Montrose, der Großvater unseres Kameraden, war – das ist eine Thatsache – ganz arm nach Belgien gekommen und wurde dort in verhältnismäßig kurzer Zeit reich; hier in Deutschland wurde er noch reicher.“

„Sehr nett von ihm, wie hat er denn das gemacht?“ kam eine vorwitzige junge Stimme aus dem Hintergrund, von dorther, wo die Bowle stand.

„Ja, mir hat er’s nicht anvertrant, lieber Grottwitz.“ sagte Zeno gelassen, „ich hatte nicht das Vergnügen, diesen interessanten alten Herrn zu kennen. Man sagt von ihm – wofür ich indessen in keiner Weise die Verantwortung übernehme – er sei ein hervorragendes Finanzgenie gewesen und außerordentlich sorglos in der Wahl seiner Mittel. Er wollte Geld machen um jeden Preis, und er machte es; er wollte emporkommen um jeden Preis, und er kam empor – das heißt, mit einer gewissen Einschränkung. Es hat Kreise gegeben, die sich ihm hartnäckig verschlossen hielten, trotzdem er mit einem goldenen Zauberstab anklopfte. Wieder andere öffneten sich ihm langsam und zögernd ... immerhin, sie öffneten sich! Noch andere nahmen ihn mit offenen Armen auf und folgten errötend den Spuren seiner Spekulationen. So saß er in Berlin schon hübsch fest im Sattel, aber da kam eine dumme Geschichte – ein Manöverchen, wissen Sie, bei dem sich ungeheuer verdienen läßt, wenn man gewisse Bedenken übersieht. Der alte Herr besaß diese Vorurteilslosigkeit und strich einen schönen Gewinn ein, zugleich aber mußte er aus Berlin verschwinden, denn Friedrich Wilhelm der Vierte verstand in manchen Dingen keinen Spaß, und die gute Gesellschaft that es ihm nach und sah den Mann der kühnen Spekulation nicht weiter an. Da ging er denn samt seiner Gattin und dem einzigen Sohn nach Brüssel zurück und machte seine betriebsamen Pläne im stillen. Sehr schlecht war bei der ganzen Geschichte besagter einziger Sohn, eben der Vater unseres Kameraden, davongekommen. Er war zum Diplomaten bestimmt, soll hervorragend begabt und sehr ehrgeizig gewesen sein und hatte seine Laufbahn bereits an einem der ausländischen Höfe aufs beste begonnen; die Finanzthaten seines Herrn Vaters aber brachen dem jungen Mann kurzerhand den ganzen Lebensplan und die schöne Laufbahn entzwei.“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_099.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)