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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

im Fischerhause schon seit einer Stunde mit dem Mahl auf ihn. Er wollte nicht kommen und Mutter Mahtilt war unruhig geworden.

In der bangen Sehnsucht, mit welcher Edelrot auslugte über den See, hörte sie nicht, daß im Uferwald der Aufschlag eines Grießbeils klirrte. Sie blickte erst auf, als das Klirren schon nah’ am Waldsaum klang. Und da huschte eine Röte über ihre Wangen. „Ruedlieb kommt von der Alben“ dachte sie, „er muß auf dem Heimweg hergestiegen sein über die Seewänd’ – und muß den Einbaum gewahrt haben.“

Hastig verließ sie den Lugaus, sprang über den Hügel hinunter und eilte vor das Hagthor. Doch erschrocken verhielt sie den Fuß. Nicht Ruedlieb stand vor ihr, sondern Henning, Wazemanns Aeltester, mit dem Grießbeil in der Hand und dem Eibenbogen über der Schulter. An der Lippe nagend, stand er und musterte die Gestalt des Mädchens mit frechem Blick.

„Bist Du über die Seewänd’ hergestiegen?“ fragte sie stotternd.

Er hob das Gesicht und seine Züge wurden starr. „Warum fragst Du?“

„Mein Bruder ist ausgefahren am Morgen und soll schon lang daheim sein. Hast Du nicht draußen auf dem Weitsee den Einbaum schwimmen sehen?“

Henning lachte. „Ich mein’ wohl, daß ich ihn gesehen hab’. Er ist weit vom Land gewesen, und es kann eine lange Weil’ noch dauern, bis er heimkehrt.“ Wieder lachte er. „Wer weiß, vielleicht hat er gefunden was er nicht gesucht hat ... und das dürft’ ihn länger halten, als ihm lieb ist.“

„Ich versteh’ Dich nicht! Was soll er denn gefunden haben?“ Rötlis Stimme zitterte.

„Schau’ nur, wie die Angst aus Deinen Sußaugen reden kann!“ Henning neigte das Gesicht und verschlang mit brennendem Blick die holden Züge des Mädchens. „Sorgst Dich denn gar so sehr um Deinen Bruder?“ Edelrot nickte wortlos; sie wollte sprechen, doch Hennings Blick erstickte ihr den Laut auf der Zunge. „Hast ihn denn gar so lieb? Wenn Du dem Bruder schon so gut bist ... wie fest und warm erst müßt’ Dein rundes Aermlein drücken können am Hals eines Liebgesellen!“ Er streckte die Hand, um ihren Arm zu fassen. Erschrocken wich Rötli zurück.

„Schau’, wie das Vöglein sich duckt!“ lachte Henning. „Gieb acht, wir werden noch gute Freund’, wir beide!“ Wieder streckte er die Hand aus, da sah er Wicho unter dem Hagthor stehen, und zurücktretend sagte er mit verstecktem Lächeln und freundlich klingendem Ton. „Warum erschrickst Du vor mir? Ich hab’ Dir doch die Hand nur bieten wollen zum Gruß ... und ... eine Botschaft meiner Schwester hab’ ich Dir bringen wollen. Was sie will von Dir, das weiß ich nicht, aber sie läßt Dir sagen, daß Du heut’ noch zu ihr hinaufkommen sollst in unser Haus. Heut’ noch, hörst Du! Und bald! Meine Schwester wartet nicht gerne.“

„Aber ich hab’ doch heut’ schon mit ihr geredet,“ stammelte Rötli.

Betroffen blickte Henning auf. „Ich mein’, Du irrst Dich.“

„Nein, nein! Früh am Morgen ist Recka vorbeigeritten bei unserem Hag, sie selber hat mich angerufen und hat geredet mit mir. Und da hätt’ sie mir doch selber sagen können ...“

Henning zuckte lachend die Schultern. „Was weiß denn ich, was meine Schwester spinnt in ihrem krausen Kopf! Ich kann Dir nur eines sagen: droben im Bergwald bin ich ihr begegnet, und da hat sie mir diese Botschaft aufgetragen für Dich. Jetzt wird sie wohl lang’ schon daheim sein. Also red’ ... was soll ich ihr sagen? Kommst Du oder nicht?“ Seine Lippen wurden schmal, und lauernd blickten seine Augen.

Rötli zögerte mit der Antwort; dann lispelte sie: „Wenn es Deine Schwester begehrt, so muß ich wohl kommen ... ich bin ihr gut und möcht’ sie nicht gern erzürnen.“

Hennings Augen blitzten. „Das will ich ihr sagen!“ Und lachend ging er davon, dem Weg zur Ache folgend. Unter den ersten Bäumen blickte er über die Schulter zurück und murmelte: „Komm nur, Du feines Finklein, ich will den Herd stellen. Lang’ genug hab’ ich zugewartet.“

Als er nach einer Weile, über den Felsenstieg emporklimmend, seines Vaters Haus erreichte, fragte er den Knecht, der ihm das Pförtlein öffnete: „Ist meine Schwester daheim?“

„Nein, Herr.“

„Wann kommt sie heimgeritten?“

„Nicht vor Abend.“

„Gut! Jetzt thu’ die Ohren auf und merk’, was ich sage.“

Der Knecht lauschte den Worten, welche Henning ihm zuflüsterte, und nickte schmunzelnd. „An mir soll’s nimmer fehlen. Ich stell’ mich auf die Mauer und verwend’ keinen Blick vom Fischerhaus, und wenn sie kommt ...“

Henning drückte dem Knechte die Hand auf den Mund, denn er sah vor dem Bärenzwinger seinen Vater sitzen.

Herr Waze war allein zu Hause; Hartwig und Eilbert waren auf die Jagd gezogen, Sindel, Rimiger, Gerold und Otloh hielten die Wache im Lokiwald. Um die Langeweile der Einsamkeit zu verscheuchen, hatte Herr Waze ein seltsames Spiel gewählt. Auf einem Steinblock saß er vor dem Raubtierkäfig, einen langen Stecken in der Hand, und reizte mit derben Stößen die eingesperrten Tiere. Brummend hob sich der Bär auf die Hinterfüße, knurrend fuhr der Wolf von einem Winkel in den anderen, und fauchend sprang der Luchs an den hölzernen Stäben empor und klammerte sich an die Decke des Käfigs. Herr Waze stieß und bohrte mit dem Stecken, bis der scheue Zorn der Tiere zur Wut sich steigerte, so daß sie, um ihren Grimm zu entladen übereinander herfielen und beißend und schlagend im Knäuel sich balgten. Dann ließ Herr Waze den Stecken sinken, legte die Hände auf den Bauch und lachte, daß ihm die Thränen kamen. Der heulende Lärm im Käfig brachte alles Geflügel des Hofes in Bewegung. Die Hühner stoben gackernd auseinander, scheu umflatterten die Tauben das Dach, auf der Mauer schrie der Pfau und im Zwinger kläfften die Hunde. Nur langsam trat die Ruhe wieder ein, als die Kämpfer im Käfig endlich voneinander gelassen hatten; in einer Ecke lag der Bär und leckte die Tatze, welche der Wolf ihm blutig gebissen, in der anderen Ecke saß die rote Bergkatze an die Stäbe gedrückt und ächzte, während der Wolf, dem das Blut von der Schulter tropfte, mit glühenden Augen auf und nieder trabte und die Schnauze in jede Lücke der Stangen stieß, als möchte er den Ausweg erzwingen.

Herr Waze hatte sich müde gelacht; er hob den Stecken und begann das rohe Spiel aufs neue. Dumpf brummend richtete der Bär sich auf, mit gesträubtem Fell und krumm gezogenem Rücken stand er und hielt die funkelnden Lichter auf seinen Peiniger gerichtet. „Rühr’ Dich, Meister Waldhauser! Munter! Munter!“ rief Herr Waze und bohrte mit dem Stecken.

Da that der Bär, laut aufbrüllend, einen mächtigen Sprung gegen die Wand seines Kerkers, daß die Stangen sich bogen und der Käfig erzitterte in allen Fugen. Herr Waze erbleichte und fuhr erschrocken zurück, doch als er gewahrte, daß die Stangen hielten und der Bär im Rückprall zu Boden kollerte, schlug er mit dem Stecken und lachte. „Gelt, Waldhauserlein, gelt? So wie Du, so möcht’ wohl mancher anspringen wider mich! Nur gut, daß der Käfig, den ich ihnen gebaut hab’, so feste Stangen hat!“ Er blickte auf, denn er hatte Hennings Schritt gehört. „Du?“ fragte er verwundert. „Warum kommst Du allein?“

„Weil ich mich gesondert hab’ von den Brüdern.“

„Weshalb?“

„Weil ich gejagt hab’ auf eigene Faust!“

Herr Waze maß den Sohn mit forschendem Blick, er hörte aus Hennings Worten einen Ton, der ihn stutzig machte. „Red’! Wo warst Du?“

„Drüben auf dem Seewandlahner, über dem Moospalfen, der hinaushängt übers Wasser.“

„Hast Du den guten Hirsch gespürt?“

„Nein, Vater!“ Ein dünnes Lächeln zuckte um Hennings Lippen. „Aber der Fischgreifer ist mir zugestrichen, auf den ich wart’ seit lang’!“

Herr Waze machte die Augen klein und zog die gekrümmten Finger durch den Bart. „Und?“

„Ueber dem Palfen bin ich gelegen und hab’ ein Trumm Stein gehalten. Da ist der Fischgreifer hergestrichen über den See, aus den Palfen zu, und wie er schnurgrad’ unter mir war und die Legangel hat heben wollen ... da hab’ ich fallen lassen.“

Herr Waze sprang auf. „Er liegt?“

Henning nickte. „Schau’ hinaus über den See – da kannst den leeren Einbaum treiben sehen!“

Mit langen Schritten eilte Herr Waze zur Mauer und spähte funkelnden Blickes in die Tiefe. Sonnenduft umflimmerte den See, auf dessen glattem weißgrauschillernden Spiegel, in Pfeilschußweite vom jenseitigen Ufer, der leere Nachen schwamm wie ein braunes Scheit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_154.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2020)