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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Palmsonntag in den Alpen.
Nach einer Originalzeichnung von R. Püttner.


Jungen, Deinen Bruder, wenn Du ihn siehst! Er soll nur ’mal wieder zu mir kommen, können ja wieder deutsch miteinander reden – ’s ist nicht nötig, daß ich ihn allemal hinausschmeiß’. Und halt’ Dich stramm!“

„Leb’ wohl, Onkel! Vielen Dank für den Brief aus Kalkutta und für –“

„Keine Silbe mehr, bei meinem Zorn! Kann das Mädel die Thür nicht finden? Jan! Jan Grenboom! Bring’ ’mal die Dame zum Haus hinaus!“

Ilse schüttelte ihm stumm die Hand, Dido hörte auf, sich zu schaukeln, sah diesem Abschied verständnisvoll zu und hüpfte auf eine Stuhllehne, von wo sie gleichfalls Ilse ihr welkes graues Händchen zum Abschied reichte. In der Thür erschien Jan Grenboom mit seinem brummigen Gesicht, auf seinem glattgeschorenen Kopf saß Cato, der Papagei, offenbar mit diesem seinem Lieblingsplatz überaus zufrieden. Alle vier, Kapitän, Matrose, Affe und Papagei, eskortierten das junge Mädchen zur Hausthür, und Cato rief ihr ein herzliches: „Geh’ zum Teufel!“ nach, als die Pforte hinter ihr ins Schloß fiel.

Ein leichter Regenschauer empfing die Heraustretende, die Luft wehte kühl und unfreundlich. Ja, es war Herbst geworden um sie und, wie es ihr scheinen wollte, auch in ihr; trüb’ und ernst sah alles sie an. Sie dachte an Albrecht, an seinen Brief, an seine große tiefe Liebe. Empfand sie die nicht auch für ihn? Gewiß, aber sie fühlte diese Liebe nicht rein und ungetrübt, es war kein voll erklingender Accord, immer und immer mischte sich etwas hinein, das sie nicht haben wollte, das aber da war – unentrinnbar.

Mit einem innerlichen Ruck, den sie beinahe körperlich empfand, riß sie sich aus diesen Grübeleien heraus und wandte ihre Gedanken den praktischen Dingen der Außenwelt zu. Es machen wie Papa! Arbeiten, sich beschäftigen, immerzu, gar nicht zur Besinnung kommen – und dann abends so müde sein, daß einen der Schlaf überfällt wie ein Gewappneter, daß es zur Unmöglichkeit wird, noch zu denken! Aber dazu bedurfte sie einer Thätigkeit, die ihren Geist in bestimmte Bahnen zwang, die sich den ganzen Menschen zu eigen machte. Und die hatte sie nicht! Welch qualvolle Stunden hatte sie in diesen letzten Monaten am Krankenlager der Mutter verlebt, wie hatte sie sich deren frühere Rastlosigkeit, ihr oft anspruchsvolles vielforderndes Wesen zurückgewünscht. Dann hätte die Tochter die Pflicht gehabt, sich selbst völlig zu vergessen, die Stimmen nicht zu hören, die sich in ihrem

Innern „verklagten und entschuldigten“. So aber wurde die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_173.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2020)