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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

prangte aber immer noch das Wappenschild der Doßbergs, die Perle in der offenen Muschelschale, über dem Portal anstatt der Rose, die das Abzeichen der jetzigen Eigentümer bildete. Sie hatte ihren Vater darauf aufmerksam gemacht und ihn gefragt, ob es möglich sei, daß er eine so wichtige Sache übersehen habe. Die Antwort hatte gelautet, das sei durchaus nicht der Fall, es solle aber fürs erste alles beim alten gelassen werden. Mit diesem Bescheid mußte sie sich begnügen, und das Wappen blieb, wo es war.

Längst auch war die Familie Doßberg in das Verwalterhaus übergesiedelt. Es war ein hübscher Bau; aus dem Schloß hatte man alles mit herübergenommen, was die Zimmer irgend geschmackvoll und wohnlich gestalten konnte, und so war ein Ganzes hergestellt worden, das entschieden einen anheimelnden Eindruck machte, aber das Behagen trotzdem nicht auf die Bewohner übertrug. Die Baronin hatte sich in der ersten Zeit nach dem Umzug anscheinend ein wenig erholt. Ihre Lebensgeister flackerten wieder auf, sie hatte besseren Appetit, gewann mehr Kräfte und zeigte neues Interesse am Wohl und Wehe ihrer Umgebung. Ilse war fast immer um ihre Mutter, nur selten gestattete sie, daß die getreue Lina sie ablöse. Aus dem Lawn Tennis-Spiel im Herbst und dem regen Verkehr von Haus zu Haus, den Lieutenant Georges von Montrose so lebhaft gewünscht hatte, war fast nichts geworden. Nur der alte Herr von Montrose hatte das junge Mädchen öfters erblickt. Er kam ziemlich häufig nach dem Verwalterhause herüber, seiner vielen eingehenden Besprechungen mit Doßberg wegen; es war zartfühlend von ihm, seinen Administrator in dessen Haus aufzusuchen, anstatt ihn zu sich nach dem Schloß zu entbieten, wo jeder Schritt den Baron an eine schönere Vergangenheit mahnte.

Es hatte sich eine Art von Freundschaft zwischen den beiden Männern gebildet, freilich eine seltsame Freundschaft. Nie streiften die langen Unterredungen, welche sie miteinander führten, das Gebiet persönlicher Erlebnisse, persönlichen Empfindens; streng sachlich wurde nur das abgehandelt, was zum Wohl und Gedeihen des Gutes erforderlich war, allein es konnte nicht vermieden werden, daß hier und da eine Ansicht über allgemein wichtige Dinge, über die Behandlung der Landbevölkerung, über Politik und volkswirtschaftliche Fragen im Gespräch auftauchte; dabei mußte notwendig einer des anderen Sinnesart, ein Stück seiner Lebensauffassung kennenlernen, und es ergab sich manches Gemeinsame. Dazu kam noch, daß Herr von Montrose das tiefste Mitgefühl für den Baron hatte und auf jede Weise bemüht war, dessen Stellung angenehm zu gestalten; und Doßberg hätte undankbar sein müssen, wenn er nicht den feinen Takt, das fast ängstliche Bemühen Montroses, nie den Herrn zu zeigen, wohlthätig empfunden hätte.

Indessen verlor der Baron dennoch keinen Augenblick das Gefühl seiner Abhängigkeit. Er konnte keine Ausfahrt, keinen Ritt durch die Felder unternehmen, ohne zu denken: vor einem halben Jahr noch war dies alles dein Besitz; er konnte das Aufblühen und Gedeihen des Gutes nicht sehen, ohne sich zu sagen: all das würdest du für dein Eigentum gethan und es dir erhalten haben, wenn du nur über die Mittel verfügt hättest! Jetzt hebst du mit fremdem Gelde das Gut deiner Väter für einen Fremden wieder empor! Oft, wenn er heimkehrte von seinen langen Ritten und Philipp ihm das Pferd abgenommen hatte, lenkte er in Gedanken seine Schritte auf dem altgewohnten Weg dem Schlosse zu, bis es ihm angesichts des Portals einen Ruck gab. „Geh’ hin, wohin du gehörst! Du hast hier nichts mehr zu suchen, bist nichts mehr als der bezahlte Verwalter!“ Dann kam er mit trüben Augen, gesenkten Hauptes bei den Seinen an; er vermied es dann, seine kranke Frau aufzusuchen – die bekam immer nur sein freundliches Gesicht, sein Lächeln, das freilich kein richtiges Lächeln war, zu sehen. Aber seine Ilse, seine schöne kluge Tochter, die war seine Vertraute geworden und obgleich er auch vor ihr nicht klagte, so brauchte er doch hier keine Maske zu tragen, durfte sich nicht den Zwang des Redens auferlegen. Stumm strich er ihr mit der Hand über das Haar, stumm und aufmerksam trug sie ihm sein Frühstück auf, bediente ihn und sorgte dafür, daß er wirklich aß und trank, und wenn sie es für erlaubt hielt, dann plauderte sie auch mit ihm, erzählte von ihrer Lektüre, von den häuslichen Einrichtungen, von Mama, der es doch wieder ein wenig besser gehe, und war froh, wenn er auf das Gespräch einging. Sobald aber der Baron einmal unerwartet Herrn von Montrose um die Frühstückszeit mitbrachte, war Ilses Unbefangenheit dahin. Sie mußte selbstverständlich den Gast begrüßen und für das Behagen der Herren sorgen, aber sie kürzte beides soviel als thunlich. Mit scheuen, bang umherirrenden Augen saß sie den beiden Herren gegenüber, stockend und unfrei kamen die Worte über ihre Lippen, so daß ihr Vater sie einmal gefragt hatte, ob sie etwas gegen Herrn von Montrose habe – dazu liege doch bei dessen rücksichtsvollem Benehmen durchaus keine Veranlassung vor.

Von Albrecht Kamphausen hatte Ilse seither noch einen Brief erhalten, aus Schanghai datiert, voll von Liebe und Sehnsucht, von so großer ungestümer Sehnsucht, daß sie beim Lesen in heiße Thränen ausgebrochen war. Ach, warum mußte er so fern sein, warum war er nicht da, sie zu schützen! Sie hatte ihm keine jener dunklen Andeutungen mehr geschrieben, die ihm damals so befremdlich erschienen waren, hatte sich gezwungen, mutig und vertrauensvoll zu ihm zu sprechen, wie er es liebte, aber bitter und schmerzlich empfand sie es, auch hier sich verstellen zu müssen, ihm gegenüber, mit dem sie eins sein sollte für das ganze Leben.

Das Weihnachtsfest sollte mancherlei bringen. Im Schloß wurden Vorbereitungen zu einem großen Fest getroffen, das am ersten Feiertag stattfinden sollte. Die Montroses hatten in der ganzen Umgegend Besuche gemacht, und nun war die gesamte Nachbarschaft schon wochenlang zuvor feierlich eingeladen; es sollte gleichsam ein Einführungsfest sein, das die neu Angesiedelten den übrigen Grundbesitzern näherbringen würde. Clémence hatte diesen Gedanken gehabt und seine Ausführung nicht ohne einige Mühe bei ihrem Vater durchgesetzt; sie hatte sich dann völlige Freiheit für ihre Anordnungen erbeten und traf nun großartige Vorbereitungen. Täglich fiel ihr etwas Neues ein, das verschrieben und angeschafft werden konnte, ihre Feder war in beständiger Bewegung. Man sollte staunen, was die Montroses für Feste auszurichten verstanden! Besaß man einmal ein altes feudales Rittergut, dann mußte man es auch zu Ehren bringen; jetzt sollte die „Perle“ erst ihren wahren Glanz bekommen! Es war selbstverständlich, daß Georges und Botho zum Fest herüberkamen; sie hatten einen ausgiebigen Urlaub bewilligt erhalten, und Clémence war glücklich, den Bräutigam, der sich nicht oft im Schlosse sehen ließ und ganz merkwürdig kurze Briefe schrieb, endlich einmal auf längere Zeit bei sich zu haben. Herr von Montrose kümmerte sich um alle diese Dinge nicht, sonst würde er dafür gesorgt haben, daß die Vorkehrungen weniger prahlerisch und prunkend ausgefallen wären. Er sah nur sorgsam die Liste der Einzuladenden durch und war sehr befremdet, Baron Doßberg und seine Tochter nicht vermerkt zu finden; er fügte den Namen sofort mit seinem Taschenbleistift bei. Auf Clémences verlegene Ausrede, die würden ja doch der Kranken wegen nicht kommen, entgegnete er mit gelassener Bestimmtheit, er selbst werde alles dazu thun, den Baron zum Erscheinen auf dem Feste zu bewegen, schon um der Nachbarschaft den Beweis zu liefern, welcher Art sein Verhältnis zu dem früheren Eigentümer der „Perle“ sei. Daran knüpfte sich die für Clémence nicht neue Mahnung, den Bewohnern des Verwalterhauses stets die größte Rücksicht angedeihen zu lassen, eine Mahnung, die sie äußerlich mit Ruhe entgegennahm, gegen die sie aber im stillen um so schärfer Widerspruch einlegte. Was Papa wohl einfiel, mit dieser Gesellschaft so besondere Umstände zu machen, als ob es Prinzen von Geblüt wären! Dieser alte Doßberg trug den Kopf immer so stolz im Nacken, als hätte er seine „Perle“ bloß aus Gnade einstweilen hergeliehen und der „Baroneß“ mit ihrer koketten Schönheit hätte so ein kleiner Denkzettel vollends nichts geschadet. Aber in dem Punkt verstand Papa keinen Spaß, das wußte Clémence und sie hatte allen Grund, ihn günstig zu stimmen. Denn wenn Papa nicht wollte, bekam sie Botho nicht, und um Botho zu bekommen, mußte man erst seine Schulden bezahlen, deren er, wie der zartfühlende Georges einmal der Schwester verraten hatte, „schauderhaft viel“ besaß. Clémence mußte sich also fügen, um so mehr, als sie bei Georges mit Klagen über den „Bettelbaron“ und seine Tochter schon gar nicht ankam. Georges war noch immer bis über beide Ohren vernarrt in das „süße Geschöpf“, zumal der stillschweigende Widerstand Ilses auf den verwöhnten Frauenliebling immer neuen Reiz ausübte. Und Botho? Botho hörte als galanter Bräutigam geduldig zu, wenn Clémence ihrem Groll über „Papas Schwäche“ Luft machte, aber als sie ihn einmal geradezu fragte, ob er denn auch diese Ilse von Doßberg so überwältigend schön finde, da hatte der Lieutenant von Jagemann nur mit großem Ernst und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_191.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)