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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Schwur. Die finstere Treppe hinauf und oben an seine Thür geklopft!

‚Der Herr Lieutenant will eben schlafen gehen,‘ sagte der Bursche auf meine Frage, ob sein Herr daheim sei.

‚Na, dann schläft er wenigstens noch nicht,‘ sagte ich und trat ein. Da saß das Wurm in einem Räubercivil schönster Sorte am Tisch und hatte eine Menge Bücher vor sich aufgestapelt, was sonst nie sein Fall war.

‚Guten Abend!‘ sage ich und setze mich. ‚Da Du mich so freundlich zum Platznehmen aufforderst!‘ füge ich hinzu.

Dann schweigen wir eine ganze Weile – auf die Art konnte es ein recht unterhaltender Abend werden!

Ich zünde mir eine Cigarre an.

Dann zeige ich auf seine Bücher. ‚Was machst Du denn mit dem Haufen Gelehrsamkeit?‘

‚Ich will mich zur Kriegsakademie vorbereiten,‘ sagt er – und hatte noch nie davon gesprochen oder daran gedacht!

‚Heute abend noch?‘ frage ich.

‚Ja!‘ schnaubt er mich an.

‚Und wovon hast Du diesen plötzlichen Ehrgeiz bekommen?‘ fang’ ich wieder an.

‚Weil ich hier nicht länger bleiben mag,‘ sagt er, ‚und Du wirst wohl wissen, warum!‘

‚Kann sein!‘ sag’ ich, und mir wird so recht wohl und leicht ums Herz – auf diesem Haupte seh’ ich neue Freiheit grünen, ‚aber da Du mir eine Neuigkeit erzählt hast, will ich Dir doch auch eine erzählen – ich habe mich verlobt!‘

Er schickt mir einen wilden Blick zu.

‚Gratuliere!‘ wirft er mir so hin.

‚Danke!‘ sag’ ich.

‚Aber willst Du gar nicht wissen, mit wem?‘

Er nimmt sich ein Buch vor die Nase und liest. ‚Nein!‘ sagt er.

‚Ich will Dir’s aber erzählen,‘ fahr’ ich fort, so recht liebenswürdig. ‚Mit Fräulein Lisa! Was sagst Tu nun?‘

Da steht er auf, ist ganz kreideweiß und sagt nur: ‚Gute Nacht!‘

‚Was?‘ sag’ ich.

‚Gute Nacht!‘ wiederholt er nochmals.

Ich stemme die Hände auf meinen Säbelgriff. ‚Was heißt denn das?‘

‚Du sollst nach Hanse gehen, heißt das!‘ antwortet er, und ich merke, daß er kaum noch sprechen kann; die Thränen kommen ihm in die Augen, und er beißt sich auf den Schnurrbart und stampft mit dem Fuße.

Da fängt der arme Kerl an mich zu jammern. ‚Aber Franz,‘ sage ich, ‚wie kann Dich das so alterieren? Du hättest sie ja lange haben können, wenn Du sie gewollt hättest!‘

‚Woher willst Du das wissen?‘ fragt er und rollt die Augen.

‚Das habe ich ihr angemerkt, schon lange, aber noch nie so deutlich wie heute abend.‘

‚Wo Du Dich mit ihr verlobt hast!‘ entgegnet er schneidend.

‚Ja, wo ich mich mit ihr verlobt habe! Hast Du noch nie davon gehört, daß sich ein Mädchen aus Aerger verlobt? Bist Du so alt geworden und weißt noch nicht, daß ein Mädchen – ein richtiges stolzes Mädchen – alles lieber thut als sich sagen: da sitz’ ich nun und warte, ob der brave Herr – Franz meinethalben – die Gnade haben wird, mir zu sagen, daß er mich lieb hat – denn das hast Du sie doch!‘

‚Das weiß Gott!‘ ruft er aus tiefstem Herzen; und das behagt mir an ihm, nun weiß er doch, was er will.

‚Na,‘ sage ich und gefalle mir so recht in meiner väterlichen Weisheit, ‚da will ich Dir einen Vorschlag machen: ich trete zurück‘ – das klang furchtbar großmütig – ‚und Du kannst morgen früh hingehen –‘

‚Morgen früh?‘ schreit er und fährt schon in den Waffenrock, ‚heute abend, jetzt gleich!‘

‚Hör’ ’mal, lieber Sohn!‘ nehm’ ich jetzt wieder das Wort, ‚das thu’ Du doch lieber nicht! Unangenehmer könntest Du Dich, glaub’ ich, beim Präsidenten nicht leicht machen, als wenn Du ihn um Mitternacht aus dem Schlafe trommeltest, um ihm zu sagen, Du hättest anderthalb Jahre gebraucht, um zu wissen, ob Du seine Tochter heiraten möchtest – und nun könntest Du nicht einmal bis zum nächsten Vormittag warten, um ihm das mitzuteilen!‘

‚Vielleicht hast Du recht!‘ antwortete er. ‚Aber Du, alter Freund, Du opferst Dich für mich – kann ich das annehmen?‘

Ich langte meinen Mantel vom Stuhle und hing ihn um. ‚Du kannst’s!‘ sagte ich und that, als sei ich von Rührung überwältigt, denn ich war inzwischen nichtswürdig müde geworden. ‚Ich bin zum Onkel geboren und will’s bleiben. Die Bräutigams- und Ehemannsrolle überlasse ich anderen – in diesem Falle Dir!‘ Damit ging ich meiner Wege und legte mich sehr zufrieden schlafen. Die Sache war kurz, aber heftig aufgetreten und demgemäß verlaufen.

Und das Ende der ganzen Geschichte? Ich bin so glücklich, dasselbe meinen geduldigen Zuhörern hier persönlich vorstellen zu können – denn Franz und Liselchen sind keine anderen als unsere verehrten Brauteltern von heute abend, die es vielleicht nie geworden wären, wenn ich nicht den schlauen Einfall gehabt hätte, zwei Stunden lang den Bräutigam zu spielen.

Und nun – Schluß! Und wer noch ’was zu bemerken oder zu fragen hat, den bitte ich, jetzt damit loszuschießen. Keiner? Na, dann trinken wir noch eins auf alle glücklichen Brautpaare und Ehepaare und auf alle, die es werden wollen – und dann noch eins auf die alten Junggesellen … die sind auch nicht zu verachten!“



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_199.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)