Seite:Die Gartenlaube (1894) 244.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

eingefallen? Um die zwei Bettelwort’ wär’s nicht der Müh’ wert gewesen, daß ich Dich geladen hab’. Dein Weib hätt’ das Maul wohl anders aufgethan!“

„Aber so wart’ doch, laß mir doch Zeit,“ brummte der Bauer. „Ich red’ schon noch und stell’ meinen Mann.“

Inzwischen klang über den wachsenden Lärm hinaus die Stimme des Gernroders: „Ich bin den Klosterleuten auch nicht feind! Einer von ihnen ist zu meinem Haus gekommen und hat meinen Kindern Lieb’s erwiesen.“

„Ohne die Klosterleut’ hätt’ meine arme Dirn’ verbluten müssen,“ rief der Greinwalder, „ich steh’ zu ihnen!“ Er ballte die Faust. „Der Fichtengipfel in meiner Kammer wartet auf seinen guten Tag.“ Und der Marderecker schrie: „Ob für oder wider die Klosterleut’, das ist mir alles eins, wenn’s nur wider den Waze geht!“

Immer mächtiger wuchs das Gewirr der Stimmen. Der Schönauer hob das blitzende Messer, aber niemand achtete des Zeichens, mit dem er Schweigen forderte. Da sprang der Schmied von Ilsank auf einen Stein, und mit hallender Stimme, die sich Gehör erzwang, schrie er über die Köpfe hinweg: „Mannerleut’, was wir fürchten und leiden müssen von Waze und seinen Buben, das wissen wir all’! Wer aber sagt uns denn, was wir hoffen und genießen sollen von denen beim Lok’stein?“ Tiefe Stille trat ein. „Das muß uns doch einer sagen. wenn wir raiten sollen!“ rief der Ilsanker. „Wer weiß denn das? Wer sagt es uns?“

„Ich, Leut’!“ Sigenot war in den Ring getreten. Laute Rufe begrüßten den Fischer, und alle Augen hingen an ihm. Der Spannung, die in allen Gesichtern zuckte, war es anzumerken, wie schwer das Wort dieses Einen wog, wie viel er galt in der Meinung aller. Langsam trat wieder Stille ein, und enger zog sich der Ring um Sigenot, der, die Hände über den Knauf des Schwertes gelegt, hochaufgerichtet stand, das bleiche tiefernste Gesicht überstrahlt vom Schein des lodernden Feuers. „Mannerleut’,“ sprach er mit klingender Stimme, „ich weiß vom Thingfeuer weg für mich und Euch alle nur eine Straß’, die geht zum Lok’stein und zu dem, der jetzt der Herr ist über den Gadem!“ Eine stumme Bewegung ging über die Köpfe, und alles drängte noch näher heran. Nur der Schönauer stand regungslos und hing mit bangen Augen an den Lippen des Fischers. „Der Oeberste der Klosterleut’ heißt Eberwein. Nach Brief und Recht, durch eidfeste Schenkung hat er im Gadem Herrenmacht über Land und Leut’. Dawider kann nimmer Streit sich heben, und auf der Seit’, auf der das Recht ist, müssen wir alle stehen, Schulter bei Schulter und Faust bei Faust.“

Unruhiges Gemurmel erhob sich im Ring, und der Ilsanker schrie: „Hut ab vor dem Recht! Aber wissen möcht’ ich halt doch, was ich hab’ davon?“

„Und wär’s auch mehr nicht, Ilsanker: die Ruh’ in Deiner Brust! Aber höret mich an! Ich bin beim Lok’stein gewesen und hab’ geredet mit dem Herrn und hab’ geraitet mit ihm um Leutwohl und Landrecht. und da hab’ ich gespürt, daß er eine Hand hat, lind und gut, und daß in seinem Herzen die Lieb’ ist wie das Feuer auf dem Winterherd. Und wie er es halten will als Herr im Gadem, das laßt er Euch sagen durch mich: Recht soll hausen bei jedem Hag, und Schirm soll haben jeder Blutstropfen an Mensch und Vieh, jeder Span an Thür und Thor, jeder Halm auf Acker und Wiesgrund. Wer unrecht thut, soll stehen nach altem Brauch unter dem Spruch der Gauleut’. Nimmer in heimlicher Nacht soll das Thing gerufen sein, sondern frei am Tag, in heller Sonn’. Ein jeder soll die Felder hagen dürfen wider Hirsch und Reh, und die Jagd soll frei sein auf alles Raubzeug, das von Schaden ist für Mensch und Tier. Keiner soll rühren an den Bergwald, der gegen die Lahnen steht und gegen die Wildbäch’. Im Thal aber soll jedes Haus seinen Heimwald haben, an dem der Bauer schlagen mag, was er braucht für Herd und Bau. Was überbleibt im Thal an Waldgrund, soll gerodet werden, und die Gauleut’ sollen das neue Feld aufteilen unter die Häuser nach gleichem Maß. Und es sollen dem Wild zulieb keine Alben mehr in der Oed’ liegen. Wo ein Kaser gestanden in alter Zeit, soll wieder einer stehen, und jeder Bauer soll an freier Albweid’ haben, was er braucht für doppelt Vieh. Denn wie die Felder sich mehren sollen, soll der Viehstand wachsen, daß bessere Zeiten einkehren für jeden Bauer im Gadem. Und weil der gute Herr gemeint hat, es läg’ an Zins und Steuer zuviel auf jedem Kopf, so laßt er Euch sagen: was Zins und Steuer heißt, soll gemindert sein um das halbe Maß.“

Sigenot konnte nicht weiter sprechen; ein jubelndes Geschrei erhob sich, alle drängten auf ihn zu, alle Hände streckten sich nach ihm, und die ihm zunächst standen, faßten sein Gewand, seine Arme, als wäre er nicht der Bote eines anderen, sondern selbst der gute Herr, der die neue bessere Zeit zu verkünden gekommen.

„Richtmann!“ überschrie der Ilsanker allen Jubel der anderen, „Richtmann, laß die Stäb’ austeilen! Wir wollen losen – weiß für die Klosterleut’!“

Der Schönauer hob das flimmernde Messer mit der vom Opfer noch blutigen Hand. Die Schöffen warfen sich in den schreienden Haufen und drängten die Männer auseinander. „Haltet Ruh’, Leut’, haltet Ruh’! Das Messer weiset auf Still’!“ Allmählich erweiterte sich der Ring und Schweigen trat ein. Da sagte der Richtmann mit heiser klingender Stimme: „Thingbot’, trag’ die Los’ um, ein schwarzes und ein weißes für jeden Mann! Schöffen, thut Met in die Kannen und reichet vom Bockfleisch jedem Mann sein’ Teil! Ihr aber, Leut’, trinket und esset und haltet Ruh’ ein’ Weil’ und höret, was ich zu raiten hab’ mit dem Fischer!“ Langsamen Schrittes trat er vor Sigenot hin. „Du hast mit denen beim Lok’stein geraitet um unser Wohl und Landrecht wie ein rechtschaffener Mann und guter Nachbar, und Deine Botschaft ist lichtscheinig wie der Sonnglanz, der die Bergwänd’ anfallt vor gutem Tag. Aber ich mein’ schier, sie blinket gar zu hell, und das wär’ ein Zeichen auf schiech Wetter. Ich will nicht sagen: ‚Viel versprechen und lützel halten, ist neuer Herren Art und Walten‘; ich will alles glaubenl Aber eine Frag’ noch hätt’ ich.“

„So frag’!“ erwiderte Sigenot, während im Ring die Männer auflauschten mit Unruh’ und Spannung.

„Viel Gutes hast verkündet. Verschwiegen aber hast, was ich gehört hätt’ am allerliebsten. Werden die Klosterleut’ dem Gadem einen neuen Spisar setzen oder soll Herr Waze bleiben, was er ist?“

„Das weiß ich nicht.“

„Warum denn hast nicht gefragt?“

Sigenots Brauen furchten sich, und eine dunkle Röte floß über seine Stirne. „Das hat seinen Grund, Richtmann, und der gehört nicht vor das Thing!“

„So?“ Der Schönauer nickte vor sich hin. „Meinetwegen, verschweig’ den Grund halt! Ich weiß – Du hast beim Lok’stein keine Frag’ thun wollen wider die Wazemannsleut’ … und weiß genug!“ Die Augen des Richtmanns glitten im Kreis über die verblüfft und erschrocken blickenden Gesichter.

Sigenot schien die Worte des Schönauers nicht gehört zu haben; schwer atmend streifte er mit der Hand über die Stirn und starrte vor sich nieder. Da fragte der Richtmann wieder: „Noch eins, Fischer! Wenn die Klosterleut’ halten wollen, was sie versprochen haben, und Herr Waze stemmt sich dagegen und wütet gegen sie und uns mit seinen Buben und Knechten, mit Feuer und Eisen, wer hilft ihnen wider ihn? Wer denn, Fischer, wer?“

Sigenot blickte auf. „Einer, Richtmann,“ sagte er und hob das Schwertkreuz gegen den Himmel. „Einer, der Arm’ hat, stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen.“

Ein dumpfes Gemurmel ging durch die Reihen der Gademleute, und mancher von ihnen kraute sich hinter dem Ohr und blickte mit scheuen Augen zum mondlichten Himmel auf. Nur die Ramsauer winkten dem Fischer Beifall zu; und der alte Runot, als er das müde Lächeln sah, das dem Schönauer um die bleichen Lippen zuckte, hob das Grießbeil und rief: „Gieb acht, Richtmann, daß Dir das Lachen nicht vergeht!“

Eigel war in den Ring gesprungen; er hatte das blutige Bocksfell um die Lenden gebunden und zum Sack geschürzt, in welchem die noch unverteilten Lose lagen. „Wer ihnen helfen soll wider ihn? Ja wer denn sonst als wir? Wir alle miteinand’, Schulter an Schulter und Faust an Faust!“

„Wohl wohl! Recht hat er, der Kohlmann!“ schrie Kaganhart und schwang den gespitzten Stecken, an dem er ein dampfendes Stück Bockfleisch umgetragen. „Wir sind hundert gegen die zwanzig in Wazemanns Haus! Auf, Mannerleut’, auf! Gleich vom Thingfeuer weg ziehen wir hinaus zum Falkenstein und werfen die Bränd’ über Haus und Ställ’ und brennen das Blutnest nieder mit dem alten Gauch und seiner Brut, mit seinen Schandbuben und seiner rothaarigen Wetterhex’!“

Lautes Geschrei erhob sich, gemischt aus zornigem Beifall und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_244.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)