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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

führte, wo ihm, wie er mit guter Laune erzählt, eine nie mehr verschwindende Vorliebe für das Einheizen der Oefen und eine solche Fertigkeit darin eingepflanzt wurde, daß er sich rühmen kann, wenn nichts Besseres, so sei er doch einer der besten Ofenheizer seiner Zeit geworden. Nun, das Schicksal sorgte dafür, daß er auch noch etwas anderes wurde. Schon hier in Frankfurt a. d. O. schrieb er ein Märchen, das in der Folge die Grundlage für „Waldmeisters Brautfahrt“ wurde, und mehr und mehr erwachte seine Neigung zur Dichtkunst, zur Litteratur. Es war daher vorauszusehen, daß er auf der Universität Berlin, die er zunächst bezog, rasch von seinem Vorsatz abkommen würde, gleich seinem Vater die Rechte zu studieren. Bald führte ihn der Ruhm der Heidelberger Geschichtslehrer, eines Schlosser, Gervinus und Häusser, in die herrliche Neckarstadt. Er brauchte es nicht zu bereuen. Neben der wissenschaftlichen Förderung, die ihm zu teil wurde, kam hier seine poetische Begabung zu schöner Blüte, und nach einer köstlichen Wanderung den Rhein hinunter entstand nächst einer Reihe neuer Lieder der größte Teil von „Waldmeisters Brautfahrt“, jenem munteren Sang, in dem alle Jugendlust und aller Uebermut des Studentenlebens, in dem die sonnige Schönheit des rebenumkränzten Rheins so frisch und fröhlich wiederklingen.

Auch ein freundliches Idyll voll harmlosen Scherzes spann sich dem werdenden Dichter hier an. In dem der Stadt benachbarten Handschuchsheim hatte der Ochsenwirt eine vielbesuchte Schenke und darin zwei Töchter, von denen die ältere wegen ihres männlichen Wesens allgemein „die Felix“ hieß und sich eines ungeschmälerten Ansehens rühmen durfte, trotzdem sie „wiescht“ war, wie sie selber sagte. Das vielgesungene Lied von der „Margreth am Thore“ hat Roquette auf sie gedichtet. Mitten unter fleißigen Studien und fröhlichen Streichen fand er endlich noch Zeit, ein Drama zu vollenden, das er nach langem Schwanken dem Buchhändler Bassermann in Mannheim brachte, der das Theater dort leitete. Der aber war kurz angebunden. „Nehmen Sie das Manuskript nur gleich wieder mit, von Studenten verfaßte Stücke führe ich nicht auf“ – mit diesem gröblichen Bescheid war Roquette entlassen, kaum daß er das Zimmer des Gebietenden betreten hatte.

Otto Roquette.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Karl Backofen in Darmstadt.

Die Wellen, welche die Pariser Februarrevolution nach Deutschland herüberwarf und die naturgemäß zuerst im Südwesten ihre Kreise zogen, vertrieben Roquette aus Heidelberg; er ging im Frühjahr 1848 nach Berlin, wo er sich ein ruhiges Studium versprach. Aber gerade dort entwickelte sich der wildeste Strudel, und als Mitglied der Studentenwehr, der „Rotte Tell“, hatte er zwar Gelegenheit, viel zu sehen, aber nicht die, viel zu lernen. Immerhin war das Kriegsspiel nicht so aufregend, daß sich nicht zarte Lyrik hätte dazwischen wagen dürfen. Wenn die „Rotte Tell“ die Wache bezog, versammelten sich häufig diejenigen der Mannschaft, die ein dichterisches Können in sich fühlten, darunter auch Roquette und Heyse, zu einem Wettspiel in Versen. Endlich wurde Roquette durch das unruhige Leben auch aus Berlin vertrieben. In Halle fand er, was er suchte: geistig lebendigen Umgang und Stille zur Arbeit. „Waldmeisters Brautfahrt“ wurde vollendet und von dem Verfasser nicht ohne ziemliches Herzklopfen an die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung geschickt. Zu seiner eigenen Ueberraschung kam ein bejahender Bescheid, und im April 1851 lag das Büchlein gedruckt vor, von allen Seiten dankbar begrüßt. Von allen Seiten – das ist übrigens zu viel gesagt. Als Professor Leo, der bekannte Historiker und Vorkämpfer der Reaktion, von der Veröffentlichung Roquettes hörte, der eben den „Doktor“ bei ihm machen mußte, da polterte er nicht wenig über diese „Unverschämtheit“. „Gedichte! Es ist ja vorauszusehen,“ sagte er, „daß der Mensch in einigen Jahren irgend ein belletristisches Blättchen oder gar eine liberale politische Zeitung redigieren wird.“ Andere freilich dachten anders, und als der Dichter nach Jahren Frau Charlotte Birch-Pfeiffer kennen lernte, da begrüßte sie ihn in ihrer gemütlichen, noch halb schwäbischen Redeweise mit den Worten: „Ach, sind Sie’s, der das goldige Büchle gschriebe hat?“

Wir können dem Wanderleben des Dichters, dessen Name nun mit einem Mal in ganz Deutschland bekannt war, nicht im einzelnen folgen. Von Halle ging er wieder nach Berlin, wo ihm der Umgang mit den Kunsthistorikern Kugler und Lübke, mit den Dichtern Fontane und Heyse Genuß und Förderung brachte, von Berlin nach Dresden, wo er als Lehrer am Blochmannschen Gymnasium wirkte. Aber nach kaum einem Jahr entführte ihn von da der Tod seines Vaters. Der kraftvolle Mann wurde ganz plötzlich dahingerafft, und leider zeigte sich, daß er seine Angehörigen nicht in auskömmlichen Verhältnissen hatte zurücklassen können. Es fand sich kein Testament, und da man die Wertpapiere in einer vielfach verschlossenen eisernen Truhe vermutete, die im Arbeitszimmer des Verstorbenen stand, so begab sich Otto mit seiner Mutter dorthin. Es fiel ein Schloß nach dem andern, und in feierlichster Stimmung wurde der schwere Deckel gehoben. Aber was erblickte man! Sechs alte Strohhüte! Wie mit dem Geld, so war der Verstorbene auch mit seinen Kleidern freigebig gewesen, nur mit seinen alten Gartenstrohhüten nicht, die ihm trotz ihrer Häßlichkeit bequem waren und die er vor den Händen seiner Frau hier geborgen hatte. Sonst aber fand sich nicht viel, und so lag ein großer Teil der Sorge für die Zukunft der Seinen nun auf dem ältesten Sohn. Er nahm seine Mutter und deren zwei unverheiratete Töchter mit sich nach Berlin. Journalistischer Erwerb, der Roman „Heinrich Falk“ und die Lebensbeschreibung des unglücklichen schlesischen Dichters Christian Günther füllten seine Zeit aus, bald auch die Beschäftigung mit seiner „Geschichte der deutschen Dichtung“ und mit seinen Vorlesungen am Berliner Polytechnikum, wo er sich als Privatdocent niedergelassen hatte. Arbeit über Arbeit häufte sich ihm, und doch wollte sich nirgends eine dauernde Stellung zeigen, nachdem sein Unterricht an der Berliner Kriegsakademie infolge politischer Verdächtigung ein rasches Ende genommen hatte. Da endlich im Jahre 1869 erging an ihn der Ruf, in Darmstadt am Polytechnikum als Professor der Geschichte und Litteratur einzutreten. Er folgte und ist dort bis heute geblieben, erst unter weniger erquicklichen, dann unter freundlichen Verhältnissen. Sein Erscheinen brachte fast eine kleine Beamtenrevolution zuwege, denn er hatte sich bei seiner Ernennung Freiheit ausbedungen von der Uniform, welche damals noch sämtliche hessische Beamte tragen mußten – Degen und mausgrauer „Paletot“, hinten mit einem Gurt, am grauen Sammetkragen mit zwei Litzen und einem Knopf versehen. Nun aber, als er im selbstgewählten Ueberrock umherging, wollten auch andere den ihnen lästigen Zwang aufgehoben wissen, wieder andere ärgerten sich über die Aussicht, den langen Mantel zu verlieren, der so bequem und so erhaben über jede Mode und jede Jahreszeit war, der jeden Fehler und jedes Alter der sonstigen Garderobe so mitleidig und vollkommen verdeckte. Erst ganz allmählich legte sich dieser Sturm im Wasserglase.

Trotzdem so der Eintritt Roquettes mit manchen Schwierigkeiten verbunden war, lebte dieser sich doch ein, vor allem unter den erhebenden und verbindenden Erfahrungen des Jahres 1870/71. Seine Befriedigung fand er im Unterricht, in neuen dichterischen Plänen, die sich hier mehr und mehr dem Drama zuwandten, daneben der Novelle. Als endlich seine jüngste Schwester zu ihm ziehen konnte, da wurde ihm am Abend seines Lebens ein freundliches Heim geschaffen, wie er es so lange hatte entbehren müssen. Zwar war die Liebe dem Sänger, der sie so oft im Liede gepriesen, nicht nur einmal genaht, aber stets hatten widrige Verhältnisse sein Glück vereitelt. So ist er allein durchs Leben gegangen und doch nicht einsam – die Gestalten seiner Dichtungen, die er auch von der Bühne herab wirken sehen durfte, die Freunde, die er sich gewonnen, haben ihn getreulich begleitet bis ins Alter und dürfen es hoffentlich noch lange thun. Roquette hat im Jahre 1876 einen „Rebenkranz zu Waldmeisters silberner Hochzeit“ gewunden – hoffen wir, daß er noch den goldenen flechten wird. Damit wäre ihm nach seinem eigenen Geständnis der schönste Lebensabend geschenkt, denn, sagt er am Schlusse seiner Erinnerungen, „das beste, was mir geblieben, ist nicht nur der Trieb, sondern auch die Fähigkeit, künstlerisch zu bilden und meiner dichterischen Welt immer Neues abzugewinnen. In ihr lebe ich noch wie in den ersten Schaffensjahren meiner Jugend und empfinde darin das höchste Glück des Daseins. Dieses Glück bis zum letzten Atemzüge zu bewahren, ist mein höchster Wunsch“.M. A.     



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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_268.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)