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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

manches harte Köpfl, das ich nicht hab’ ducken können in Güt’ oder Streng’, das hat meine Hilti vor dem Kreuz gebeugt mit ihrer Mutterhand. Aber schau’ nur, schau’ ... das Süppl will ja schon nimmer dampfen. Komm, jetzt wollen wir uns niedersetzen! Aber beten müssen wir auch noch! Freilich, freilich, das muß alleweil das erste sein!“

Er trat zum Tisch und faltete die Hände. In frommer Inbrunst hingen seine Augen am Kreuz, und mit seinen betenden Worten mischte sich die sanfte leise Stimme der Greisin. „Amen!“ sprach Hiltischalk und rieb die Hände. „Komm, lieber Bruder, setz’ Dich auf den Ehrenplatz!“ Da gewahrte er die Verwandlung in Eberweins Zügen und stammelte erschrocken „Ja lieber Bruder, ja was ist Dir denn?“

Eberwein trat auf ihn zu, mit nassen Augen und bebender Stimme. „Hiltischalk, ich darf nicht zehren an Deinem Tisch!“

Zitternd stand der Greis. „Ja warum denn nicht?“ Hiltidiu war an seine Seite getreten, als fühlte sie, daß eine Gefahr ihn bedrohe.

Eberwein drückte die beiden Hände auf Brust und Stirne; dann atmete er tief und richtete sich auf. „Hiltischalk! Weise die Frauen aus der Stube, ich habe mit Dir zu sprechen!“

Der Priester starrte auf den Mönch, als hätte er seine Worte nicht verstanden. Hiltidiu aber ging lautlos zum Herd, faßte Mätzel bei der Hand und zog sie zur Thür. „Ihr könnet laut reden,“ sagte sie, „wir gehen weit vom Haus.“

Hiltischalk blickte ihr nach, während sie die Stube verließ, dann sah er wieder auf den Mönch, rührte die Lippen und fand kein Wort. Eberwein schlug die Hände zusammen, und wie der Aufschrei eines Verzweifelnden klang seine Stimme: „Hiltischalk, Hiltischalk! Was hast Du mir angethan!“

„Ich, lieber Bruder? Was denn?“ stotterte der Greis.

„Ich bin getreten in Dein Haus, als wär’s in eine Kirche, Gottes Nähe meinte ich zu fühlen an Deiner Seite. Nun wirfst Du Feuer über mich und weckest Zwietracht zwischen meinem Herzen und heiliger Pflicht.“

Der Greis zitterte, daß ihn die alten Knie kaum mehr trugen. „So ’was hätt’ ich gethan? Ich? Ja wieso denn?“

„Du kannst noch fragen?“ Helles Entsetzen klang aus Eberweins Stimme. „Hast Du denn nicht ein Weib?“

„Wohl wohl, lieber Bruder!“

„Ein Weib! Du – ein Priester!“

„Wohl wohl! Aber laß das jetzt ... komm doch drauf: was hab’ ich denn gethan? So red’ doch einmal ... was hab’ ich denn gethan?“

Eberwein griff an seinen Kopf, als wüßte er sich nimmer Rat noch Hilfe. „Ja Mensch, wie redest Du? Mitten in Flammen stehst Du, Deine Kleider und Haare lodern, und Du fragst: wo brennt es, wo denn, wo? Ja weißt Du denn nicht, daß es Dir als Priester verwehrt ist, ein Weib zu nehmen, daß Du in schwerer Sünde lebst wider der Kirche heiligstes Gebot?“

Mit beiden Händen griff Hiltischalk nach der Tischkante und sank auf die Holzbank nieder. Zitternd saß er und strich sich über das Gesicht, als müßte er einen bösen Traum verscheuchen. Dann schüttelte er Kopf und Hände, und beinahe heftig stammelte er: „Mein lieber Bruder, jetzt muß ich Dir aber doch sagen: Du thust Dich irren! Wenn ich kein Weib haben dürft’, wie hätt’ es denn nachher sein können, daß vor zweiundfünfzig Jährlein der hochwürdigste Herr Bischof in der Salzaburg meine Hilti und mich zusammengegeben hat? Vierzig Denar’ hab’ ich gezahlt zur Sportel ... ich hab’ sie aufgebracht mit Müh’ und Not ...“ In ratlosem Jammer hatte Hiltischalk sich von der Bank erhoben. Seine Blicke fielen auf das Kreuz, er streckte die zitternden Hände aus, und da schien es über ihn zu kommen wie Trost und Ruhe. „Nein, Bruder, nein, Du mußt Dich irren! Ich sollt’ meine Hilti nicht haben dürfen? Ja, warum denn nicht? Ich bin ja kein Ordensbruder wie Du! Dich bindet ein heilig’ Gelübd’, aber ich, Bruder, ich bin ja doch ein niedriger Leutpriester wie tausend andere. Wie ich noch ein junger Klerikus gewesen und umgezogen bin da draußen im tiefen Land, da hab’ ich doch überall den Pfarrherrn sitzen sehen mit seiner guten Pfarrin, und wie sie mich dahergeschickt haben in die Einöd’ ... alles hat mir fehlgeschlagen bei den harten Köpfen, ich hab’ schon gemeint, ich muß verzweifeln ... aber da hat mich der liebe Himmelsherr die Hilti finden lassen, und sie ist mein Trost geworden und meine Hilf’ zu allem Guten. Und wenn ich sie genommen hab’, so hab’ ich ja nur gethan, was draußen im Land viel tausend andere thun!“

„Was jene thaten, es war ein Greuel, sagt die Kirche!“

Der Greis schüttelte den Kopf. „Nein, lieber Bruder, nein, wie könnt’ eine fromme Eh’ vor Gott ein Greuel sein! Nein, das kann die Kirch’ nicht sagen! Ich weiß schon, wohl wohl ... wie ich noch ein junger Klerikus gewesen bin, da hab’ ich oft gehört, daß über den Bergen sell drüben im welschen Land ein paar hitzige Köpf’ so reden, als wär’ die fromme Priestereh’ ein Greuel ...“

„Nein, Hiltischalk, nein! So hat der Papst entschieden, der Papst!“ rief Eberwein, wie in Qual und Marter. „Auf heiligem Konzil, umgeben von allen Bischöfen der christlichen Welt!“

„Ach Du mein lieber Herr im Himmel droben!“ lachte der Greis, bis in die Lippen erbleichend. Schweigend und schwer atmend, standen sie voreinander, als wäre der eine gleiche Jammer in ihnen beiden. In die dumpfe Stille klang von einer nahen Halde her der fröhliche Gesang zweier Stimmen; dort oben wandelte ein Bursch mit seinem Mädchen in der Sonne, und die beiden Herzen, die sich gefunden, jubelten ihr Glück dem Himmel zu.

„Ja sag’ nur, Bruder, sag’ ... davon hör’ ich ja heut’ das erste Wörtlein!“ sagte Hiltischalk mit tonloser Stimme, „wann wär’ denn das gewesen?“

„Vor vierzig Jahren!“

„Aber schau’ doch, wie hätt’ ich denn das wissen sollen! Ueber die vierzig Jahr’ lang bin ich nimmer hinausgekommen aus meinem einödigen Sitz, über die vierzig Jahr’ lang hab’ ich keinen mehr gesehen, der das heilige Häs getragen hat. Wer hätt’ mir’s denn sagen sollen? Und schau’ doch, schau’ ... was wär’ denn anders geworden, wenn ich’s gewußt hätt’?“ Ein Gedanke des Trostes fiel in sein Herz wie Sternschein in die Nacht. „Ich und die Hilti, wir sind ja schon über die fünfzig Jahr’ lang Mann und Weib! So kann’s ja doch für uns nicht gelten!“

„Das Wort des Papstes hat gelöset, was gebunden war,“ stammelte Eberwein. „Wer Priester bleiben wollte, mußte lassen von seinem Weibe. Das ist gegangen durch alle Lande wie ein Sturm, und nur an Deinen Herd hat keine Welle geschlagen? Land auf und nieder sitzet kein beweibter Priester mehr, nur Du noch, Du!“

„Ich, der Einzig’!“ Hiltischalks Hände griffen in die Luft, und wie ein Schwindel überkam es den Greis. Mit beiden Armen umfing ihn Eberwein, ließ ihn auf die Holzbank niedersinken, setzte sich an seine Seite und hielt ihn umschlungen an seiner Brust. „Wär’ ich doch nie gekommen, hätt’ ich dieses stille reine Haus doch nie betreten!“ rang es sich in heißer Qual von seinen Lippen. „Glück will ich säen und muß doch Unheil streuen, wohin ich schreite!“

Hiltischalk richtete sich auf und löste sich aus Eberweins Armen. „Du mußt Dich irren, Bruder – es kann nicht sein, ich kann’s nicht glauben ... oder schau’, ich müßt’ versterben dran! Wie meine Hilti und ich gehauset haben miteinander – vor einer Stund’ noch hab’ ich gemeint, es müßt’ der liebe Herr im Himmel seine Freud’ dran haben! Und jetzt auf einmal soll ...“ Das Wort erstickte ihm, als würde sein Hals zugeschnürt. Er schüttelte Kopf und Hände. „Nein, Bruder, nein! Alles in schuldigen Ehren ... aber wie könnt’ denn ein Konzilium sprechen wider das Heilige Buch?“ Mit beiden Händen faßte er Eberweins Arm und keuchte: „Oder steht denn nicht geschrieben, daß die Apostel Weib und Kind gehabt ... der heilige Petrus selber! Heißt es nicht bei Paulus an die Korinther: ‚Haben wir nicht, so wie wir essen und trinken, auch das Recht, von einer christlichen Frau uns begleiten zu lassen wie die Apostel, wie die Brüder des Herrn und Kephas?‘ Und eins noch, Bruder, eins noch ... heißt es nicht bei Paulus an Timotheus: ‚Darum muß ein Priester unbescholten sein, eines Weibes Mann, der seinem Haus gut vorstehet, denn wie könnt’ er sonst in allem ein gutes Beispiel geben seiner Gemein’?‘ Wart’ nur, Bruder ... die Stell’, die muß ich Dir zeigen ...“ Er humpelte davon und stolperte über die Schwelle einer Kammer. Die schlaffen Hände im Schoß, mit nassen Augen, starrte Eberwein ihm nach.

Einen plumpen Pergamentband auf den Armen schleppend, kehrte Hiltischalk zurück. „Komm nur, komm ... die Stell’, die muß ich Dir zeigen!“ Er legte das Buch auf den Tisch, die Schüssel zurückstoßend, daß die erkaltete Suppe den Rand überschwankte; rote Flecken erschienen auf seinen bleichen Wangen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_278.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)