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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

gestanden in meiner Oed’, ohne Freund und frommen Rat, ohne Mahnung und geistlichen Zuspruch … da ist der Teufel stärker worden in mir als mein himmlisch’ Teil! Und jetzt, wo die Reu’ mich packt vor meinem nahen End’, jetzt wollt Ihr mich niederstoßen ins höllische Feuer!“ Er stürzte auf die Knie und umklammerte Eberweins Schoß. „Kann Euch meine heiße Reu’ nicht rühren – wer soll mich denn lösen, wenn Ihr mich verdammt? Wer soll mir denn helfen zum ewigen Heil, wenn Ihr mich verlaßt?“ Verstummend drückte er das Gesicht in die Kutte des Mönches und schluchzte.

Mit bleichem Antlitz stand Eberwein, erschreckt und erschüttert von diesem wilden Ausbruch. Thränen wogen ihm schwer; er selbst hatte ja in seinem Leben noch keine Zähre vergossen außer in tiefstem Weh oder in höchster Freude. Er hörte das Schluchzen des Greises, und das blinde Kinderherz in diesem dreißigjährigen Manne schmolz hin wie Wachs. Er glaubte an die Reue, die er schreien hörte zu seinen Füßen – und Reue war ihm heilig. Sein Zorn wich dem Erbarmen, und da war auch sein Mitleid schon geschäftig, alles Schwarze in milderes Grau zu wandeln. Einsam hatte dieser Mann gestanden, seinem wilden Blut überlassen, wie er gesagt: ohne Freund und frommen Rat, ohne Mahnung und Zuspruch. Er hatte schwere Schuld auf sich geladen; aber Wohl so manche seiner Sünden wäre verhütet worden, wenn ein treuer Mahner sich gefunden hätte zu guter Stunde. Durfte er von dem Sinkenden sich wenden, den Reuigen verstoßen, der aus seiner Tiefe die beiden Arme streckte nach der ewigen Güte?

Eberweins Augen wurden feucht, als er die Hand auf Wazes Scheitel legte. „Ihr sollt zu Gottes Liebe nicht umsonst gerufen haben. Doch stehet auf, Herr Waze – hier ist der Ort nicht, daß ich den Mittler mache zwischen Euch und dem Himmel. Morgen, in meinem stillen Kirchlein …“ Er verstummte.

Die Fallbrücke war niedergegangen und Recka sprengte auf ihrem Rappen in den Hof. Herr Waze hob das Gesicht; seine Zähren mußten rasch getrocknet sein, denn auf seinen Wangen zeigte sich keine feuchte Spur; doch demütig klang seine Stimme: „Da kommt meine gute Tochter! Ich bitt’ Euch, frommer Vater, redet vor dem Kind nicht übel wider den Vater!“

Eberwein errötete. „Es hätte solcher Mahnung nicht bedurft.“ Und während Herr Waze über die Freitreppe hinunter eilte, ruhten die Augen des Mönches auf Recka, welche aus dem Sattel glitt und den Gurt des Pferdes lockerte. „Eine wilde Taube unter Krähen!“ flüsterte er.

Herr Waze war zu seiner Tochter getreten, welche mit staunendem Aug’ den Gast in der Halle gewahrte. Mit eisernem Griff umklammerte er ihre Hand, und während ein Knecht, der gesprungen kam, das schweißbedeckte Roß nach den Ställen führte, raunte er mit zischenden Worten: „Wenn Du mich und Deine Brüder nicht verderben willst, so gieb dem Pfaffen ein freundlich Wort. Ich muß ihn im Guten halten, bis Rimiger kommt. Es wird gespielt um unser Haus, mehr noch, um mein Leben!“

Recka starrte ihn an. „Du bist mein Vater! Ich kann Deinen Tod nicht wollen.“

Lächelnd führte Herr Waze seine Tochter empor über die Freitreppe. Vor Eberwein blieb er stehen. „Seht, frommer Vater, das ist das beste Reis auf meinem Stamm, gesund und in der Blüt’. Seid gut mit ihr, und ich hoff’, sie soll Euch eine liebe Schwester werden.“

Ungestüm löste Recka ihre Hand aus der des Vaters, und seine Worte unterbrechend, sagte sie: „Wir haben scharf widereinander geredet, da sich beim Albenbach unsere Wege kreuzten. Nun find’ ich Euch wieder als Gast in meines Vaters Haus, und wir wollen Frieden halten. Hört nicht auf meines Vaters Lob … ich bin nicht, wie er sagt. Ich bin, wie ich bin, nicht gut, nicht schlecht. So biet’ ich Euch meine Hand. Wollt Ihr sie nehmen?“

Wazemanns Augen funkelten vor Zorn, und an seiner Stirne schwollen die Adern. Mit Verblüffung aber sah er wie Reckas Worte wirkten. „Ja, ich will!“ sagte Eberwein lächelnd und faßte die Hand des Mädchens. Der Gruß, welchen Recka ihm bot, hatte

Der Tanz.
Nach einem Gemälde von R. Rößler.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_312.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2023)