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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Und sie, Mama, was hat sie gesagt?“

„Sie neigte den Kopf gegen mich, mit einer Anmut, wie Du sie leider nie besessen hast, Kamilla, und sagte: ‚Besten Dank, Frau Direktor!‘ Sie also wußte, wer ich war, und ich nannte ihren Mann ihren Herrn Vater – es ist ja, um in die Erde zu versinken! Wie soll ich ihr denn an der Tafel unter die Augen treten?“

„Ach Gott, Mama, glaub’ mir, das ist ihr sicher schon sehr oft begegnet – an solche Irrtümer wird sie gewöhnt sein!“

„Meinst Du, Kamilla? Es wäre mir ein Trost. Aber Du sagst so etwas nur hin, damit ich mich beruhige. Mein Trost ist nur, daß sie mir verzeihen wird. Mit solchem Gesicht muß sich ein edles Herz verbinden – diese Züge können nicht lügen! Aber diesen alten Herrn zu heiraten!“

„Findest Du nicht, Mama, daß der alte Herr recht klug und vornehm aussieht? Er scheint auch seine Frau über alles zu lieben.“

„Nun, das fehlte noch, daß er sie nicht liebte! Wenn sie das ungeheuere Opfer gebracht hat, ihn zu nehmen ...“

„Dort kommen sie, Mama!“

„Wo denn, wo? Meine Lorgnette, Kamilla – ich möchte nur wissen, wo sie immer ist, wenn man sie braucht – nie ist sie da! Endlich! Sie machen Halt auf der Terrasse, er schiebt ihr den Schaukelstuhl hin, nimmt ihr den Sonnenschirm und den Hut ab – gut, daß man sie von hier aus so bequem beobachten kann! Nun sieh’ das Haar, sieh’ dieses Kleid aus weißem Wollstoff mit diesen himmlischen Spitzen! Wie schick, wie schick! Ich könnte Dir das auch kaufen, Kamilla, aber ob es Dir gut stehen würde?“

„Nein, Mama, ich glaube es nicht!“

„Du glaubst es nicht? Nun, ehrlich gesagt, ich auch nicht. Sieh’, wie er sich über sie beugt, der alte Herr! Kann er ihr die Hand geküßt haben, was meinst Du?“

„Warum sollte er nicht?“

„Da er ihr Mann ist, willst Du sagen! Leider, leider! Ich empfinde diese Thatsache wie eine Beleidigung!“

Dies Gespräch fand statt im Hotel d’Italie zu Mentone. Frau Bankdirektor Lössen aus Stettin war mit ihrer Tochter Kamilla, die ein wenig schwach auf der Brust war und den Winter in Capri zugebracht hatte, vor zwei Tagen nach Mentone gekommen, um hier noch eine Woche zu verweilen. Die etwas oberflächlich gebildete und ungemein sensationslüsterne Dame hatte sofort bei ihrer Ankunft ein Paar bemerkt, das ihr wert schien, Gegenstand unausgesetzter und eingehender Beobachtung zu werden – einen älteren vornehmen Herrn und ein reizendes goldblondes Mädchen, natürlich seine Tochter! Und nun sollte es seine Frau sein! War es zu denken?

Kamilla, ein schmächtiges blasses Mädchen mit einem angenehmen Gesicht, mußte ins Haus hinein, den Krimstecher zu holen. Die Lorgnette trug nicht weit genug, durch den Krimstecher aber sah man alles ganz genau. Frau Direktor Lössen stellte mit dem neuen Glase zunächst fest, daß der „alte Herr“, wie sie ihn beharrlich nannte, seinen niedrigen Sessel nahe neben den Schaukelstuhl schob, einen verschlossenen Brief aus der Tasche zog und hastig erbrach – er mußte ihm wohl unterwegs eingehändigt worden sein. Er legte seinen Arm um die Stuhllehne der jungen Frau und ließ sie mit hineinsehen. Sie lasen nicht lange, es mußte ein kurzes Schreibeu sein – sie sprach eifrig in ihn hinein, er wiegte unschlüssig den Kopf hin und her, schließlich neigte er sich über ihre Hand und küßte sie, als sei er mit ihrem Vorschlag einverstanden.

Leider konnte Frau Lössen nicht lesen, was in dem Brief stand, so ausgezeichnet auch der Krimstecher war. Es war ein Schreiben vom alten Leupold, das die beiden auf der Terrasse lasen. „Liebe Prinzeß Ilse!“ schrieb er, „ich habe Dir zu melden, daß Dein Herr Stiefsohn, Georges von Montrose, gestern einen bösen Blutsturz gehabt hat. Morschewsky giebt keinen Heller mehr für sein Leben. Wer lebt wie’n Verrückter, kann sich nicht wundern, wenn er den Blutsturz kriegt. Dies braucht Dein Mann nicht zu lesen – das heißt, ich überlass’ es Deinem Gutdünken. Was meinst Du, wenn Du nach Hause kämest? Hätte Dir allerlei zu melden, was brieflich nicht gut angeht – das ‚Achterdeck‘ ist ein geeigneterer Platz dafür. Hast Dich ja lang’ genug in der Welt herumgetrieben, ist schon Anfang März! Bäume und Büsche bei uns kahl wie Besen, aber die Luft warm, verspricht ein gutes Frühjahr. Der Alte ist gesund, wirtschaftet wie’n Berserker auf ‚Perle‘ herum. Ob Dein sogenannter Herr Sohn sich freuen wird, Dich und seinen Vater zu sehen, lass’ ich dahingestellt – aber ich denk’ mir so, Du wirst’s für’n Stück Pflicht halten, zu kommen. Grüß’ Deinen Mann! Auf Wiedersehen! Dein alter Erich Leupold.“

„Und Du willst wirklich heute noch ...“

„Heut’ mit dem Nachtzug, ja! Vielleicht finden wir ihn noch lebend; am liebsten reiste ich in dieser Stunde!“

„Rege Dich nicht auf, Liebling, ich bitte Dich!“

„Wie sollte ich nicht! Ich hätte kein Herz, wenn ich es nicht thäte. Ein Sterbender! Onkel Leupold übertreibt nicht, und Morschewsky ebensowenig, ich weiß das. Sieh nicht so gelassen aus, Eugen, um Gotteswillen! Kann es wirklich einen Vater geben, dem es gleichgültig ist, wenn man ihm meldet, daß sein Kind stirbt?“

Montrose that einen tiefen Atemzug. „Du weißt nicht, was alles geschehen mußte, bis es soweit kam, wie es gekommen ist. Ich habe meinen Sohn geliebt, ich schwöre es Dir, aber er hat sich mir mit Absicht entfremdet, und dann ist er Wege gegangen, Wege, die – – genug! Ich habe mir das Wort gegeben, Dir das nicht zu sagen, und ich werde es halten.“

„Aber Du wirst ihm verzeihen, was er an Dir und sich selbst gesündigt hat, nicht wahr, Eugen, das wirst Du?“

„Wenn Georges meine Verzeihung verlangt, soll er sie haben – aber ich fürchte, er wird nicht daran denken.“

Die junge Frau seufzte beklommen.

„Liebling, ist es denn möglich, daß Du, gerade Du mich für gefühllos hältst?“

Sie sah rasch zu ihm auf. „Nein, Eugen! Das wäre eine schreiende Ungerechtigkeit von mir – Ungerechtigkeit und Undankbarkeit. Aber ich fürchte – soll ich sagen, was ich fürchte?“

„Alles sollst Du mir sagen!“

„Also, ich fürchte, daß Du auf der ganzen großen weiten Welt niemand weiter lieb hast als mich!“

„Ganz recht! Niemand weiter als Dich!“

„Ist das gut, Eugen, ist das richtig?“

„Gut! Richtig! Kind, was ist in eines Menschen Gefühl gut oder richtig? Wer will seinem eigenen Herzen etwas verbieten? Wer hat Macht darüber? Soll ich mich und Dich belügen und Dir Gefühle heucheln, die ich nicht empfinde?“

„Und Du thust doch so unendlich viel Gutes!“

„So viel ich kann, gewiß! Ich habe Mitleid mit den Menschen, ich helfe ihnen nach besten Kräften –“

„Aber Du liebst niemand!“

„Dich!“ Er neigte sich über sie und sah sie unverwandt an mit seinen rätselhaften Augen. Die junge Frau errötete unter diesem Blick wie so oft, wenn ihr Gatte sie anschaute. Nun war sie monatelang schon sein, und er gab sich ihr mit der ganzen Inbrunst eines Mannes, der sein höchstes Ziel erreicht, der sein Ein und Alles in dem geliebten Wesen gefunden hat. Nichts, was er nicht mit ihr teilte, ihr zugänglich zu machen suchte! Und wie zart faßte er sein Kleinod an! Wie mühte er sich, nicht mit unvorsichtiger Hand den Schmetterlingsstaub von dieser Seele zu streifen, nicht mit all den Erfahrungen seines langen Lebens, die sein Herz kalt und bitter gemacht hatten, dies junge Wesen zu betrüben!

War Ilse glücklich dabei? Und hatte sie Albrecht Kamphausen vergessen? Das eine nicht und das andere nicht. Sie mühte sich, glücklich zu sein, mühte sich tapfer und redlich. Es kam kein Tag, da sie nicht die besten Vorsätze faßte, und sie führte sie auch aus. Sie war ihrem Gatten so dankbar, sie achtete, bewunderte ihn – aber das seltsame Gefühl inneren Fremdseins, das sie als seine Braut schon durchschauert hatte, dies Gefühl, von dem sie bestimmt gehofft hatte, es werde sich wandeln, sobald sie erst sein Weib sei .... es wollte nicht weichen. Sie konnte mit ihm nicht von Albrecht Kamphausen, von der kurzen glückseligen Zeit ihres Liebestraumes sprechen, so oft sie es auch versuchte. Er wußte, daß Albrecht tot war, sie hatte es ihm selbst gesagt, damals, in jener merkwürdigen Unterredung, als sie ihn bat, ihren Vater wieder nach „Perle“ zu nehmen. Diese Unterredung hatte damit geendet, daß sie Montroses Braut wurde, und seitdem war Albrechts Name zwischen ihnen nicht mehr genannt worden. Aber sie sah Albrecht, sah ihn hundertmal des Nachts in ihren Träumen und tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie wenigstens unbeschränkten Kultus mit seinem Andenken treiben dürfe – mit dem Andenken eines Toten! Sie hatte es ihrem Gatten ja offen gestanden daß sie ihn nicht lieben könne, wie sie Albrecht Kamphazsen geliebt. Er hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_322.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)