Seite:Die Gartenlaube (1894) 338.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Er hatte entschieden vorher schon einmal um Ilse geworben – sie hat mir kein Sterbenswort davon gesagt, aber diese plötzliche Uebersiedelung von ihr und dem Alten hierher, während sie doch wußte, der Alte könne eigentlich ohne seine ‚Perle‘ nicht leben – na, es war nicht schwer, sich ’nen Vers drauf zu machen. Damals natürlich lauerte sie noch auf Dich, und wenn der Selbstherrscher aller Reußen dazumal um sie gefreit hätt’, er würd’ sich ’nen Korb geholt haben. Als aber dann die Nachricht vom Untergang der ‚Nixe‘ kam und der gottverdammte Schlingel, der Rolf Görnemann, uns beiden Deinen Tod sozusagen verbriefte und versiegelte und nun noch Morschewsky mit seiner Weisheit dazukam und dem Alten Leib und Leben absprach, wenn er nicht schleunigst nach ‚Perle‘ zurückkäme – ja, da war kein Halten mehr. Eigentlich weißt Du das aber schon alles, denn das hab’ ich Dir damals geschrieben, als Du Dich schriftlich bei mir gemeldet und Dich zu den Lebenden bekannt hattest.“

Albrecht nickte.

„Trink’ ’nen Schluck Xeres drauf und gieb mir auch ’nen Tropfen – so! Du bist immer noch kein richtiger Weintrinker, wirst auch jetzt schwerlich mehr einer werden. Also ja, sie nahm ihn, und das kann ich Dir sagen, wenn etwas im Leben rührend anzusehen war, dann war es das Glück dieses Mannes. Er ging umher wie verklärt, gab, gab mit vollen Händen, war freundlich geworden, gesprächig, liebenswürdig – der Mann war wie ausgetauscht! Ilse durfte gar nichts dazu thun, weder streicheln, noch schmeicheln – das that sie auch nie – sie brauchte bloß dazusein, dann war ihm schon alles gut und schön.“

„Und sie? Glaubst Du, daß sie glücklich gewesen ist?“ „Ich glaube, sie hat sich zu Zeiten eingebildet, es zu sein. In so ’ner großen Gefühlsaufwallung hatte sie ihn genommen, und Gefühlsaufwallungen hat sie noch manchmal gehabt, und da hat sie sich dann vorgeredet, glücklich zu sein. Wenn sie von all der Liebe und Anbetung ihres Mannes nicht wäre gerührt worden, hätt’ sie auch kein Herz im Leibe gehabt. Und als nun der ‚Kronprinz‘ erschien, da sah ja die Sache vollends wie eitel Glück aus. Und doch, Kapitän, hab’ ich gemerkt, daß sie nicht im innersten Herzen glücklich war. Sie war immer gut und rücksichtsvoll gegen ihn, o ja, daran hat’s nie gefehlt, aber konnte sie, mit ihren einundzwanzig Jahren, ’nen Sechziger lieben? Ich hab’s gesehen, wenn sie ihn begrüßte, auch dann gesehen, wenn sie sich beide ganz allein miteinander glaubten – ihren Papa hätt’ sie nicht kindlicher begrüßen können als diesen ihren Ehemann!“

Kamphausen sagte kein Wort. Er saß tief in Gedanken da; der alte Kapitän sah ihn von der Seite an und nippte von seinem Xeres.

„Die Tochter ist verheiratet, nicht wahr?“ fragte Albrecht endlich zerstreut.

„Jawohl, an so ’nen holländischen Mynheer – der wird recht seine Freude an ihr haben! Sie hat ihn in Paris aufgegabelt und bald nach ihres Vaters Hochzeit feierte sie ihre eigene. Man hört selten von ihr, schadet auch nichts – meine Liebe war sie nie. Nach ihres Vaters Tode hat sie ihr Erbteil ausbezahlt bekommen – ’n hübscher Posten war’s – und damit Holla! Ihr lieber Bruder hat eine Unmasse Schulden hinterlassen und liegt im Park zu ‚Perle‘ in dem pompösen neuerbauten Mausoleum der Montrose begraben.“

„Und der kleine Knabe entwickelt sich gut?“

„Bis jetzt brillant, der Wahrheit die Ehre! Die Ilse, seitdem sie Witwe geworden ist, zieht ihm die Zügel straffer. Ich hab’s ihr gesagt, und sie hat’s eingesehen: aus ’nem verzogenen Bengel wird nichts Rechtes. Jetzt gehorcht er auf den Wink. Nur der alte Doßberg verwöhnt ihn hier und da – der ist bis über die Ohren verliebt in den Enkel. Uebrigens die ‚Perle‘ bewirtschaftet er für ihn – alle Achtung! Jetzt ist’s wieder ein Gut ersten Ranges. Der Alte hat aber nicht eher Ruhe gegeben, als bis der Junge von unserem Landesherrn die Erlaubnis bekommen hat, dermaleinst sich von Montrose-Doßberg zu nennen und seinem eigenen Familienwappen das der Doßbergs hinzuzufügen.“

„Und wie war es mit – mit Montroses plötzlichem Tode? Du schriebst mir darüber nur in Deiner bekannten Kürze, und in der hiesigen Zeitung, die ich mir in Kiel halte, war der Unfall auch nur mit wenigen Worten erwähnt: ‚mit dem Pferde gestürzt‘, aber keine weiteren Einzelheiten.“

„Das hat die Ilse so gewollt, ihr widerstrebte es, die Sache in die Oeffentlichkeit gezerrt zu wissen. Ich war damals gerade in ‚Perle‘ draußen und hab’ die ganze Unglücksgeschichte mit erlebt.“

„Willst Du sie mir mitteilen? Das heißt – sollte es Dich nicht zu sehr angreifen?“

„Schon wieder mit Deinem ewigen Angreifen! Nein, zum Donnerwetter! Also: Montrose wär ’n verwegener Reiter. Ich versteh’ mich nicht auf Pferde, aber ’n hübscher Anblick war’s, wenn er auf seinem ‚Mazeppa‘ ankam. Ilse saß ja früher auch gut zu Pferde, aber seit der Kleine da war, wurde sie immer so in Anspruch genommen von der Krabbe, daß ihr zum Reiten wenig Zeit blieb. Einmal beklagte sie sich darüber mir gegenüber: sie würde so gern mit ihrem Mann ausreiten, denn dann sei er nicht so waghalsig, dann nehme er Rücksicht auf sie – aber ohne sie mache er die tollsten Geschichten, und sie könne ihn nie fortreiten sehen, ohne Angst um ihn zu haben. ‚Na,‘ sagt’ ich darauf, ‚den ‚Mazeppa‘ hat doch Dein Mann schon jahrelang, die zwei müssen sich doch aneinander gewöhnt haben!‘ Sie meinte aber, ‚Mazeppa‘ sei ’ne unberechenbare Bestie und überaus scheu und empfindlich, das kleinste Geräusch oder ein unerwarteter Anblick rege ihn so auf, daß man ihn kaum ’ne Sekunde außer acht lassen könne. Ich mach’ noch meine Witze darüber, daß heutzutag’ alles nervös sein müsse, die Frauen, die Männer, die Kinder, nun auch die Pferde. Vielleicht zwei, drei Wochen drauf bin ich wieder in ‚Perle‘ – es werden bald zwei Jahre – war ’n milder schöner Juniabend, der Kronprinz war ’n bißchen unruhig von wegen der Zähne, Ilse hatte die Nacht mit ihm herumgetanzt und sah ’n wenig blaß aus. Montrose natürlich that gleich, als wär’ sie totkrank, sah ihr in einemfort ins Gesicht, faßte ihre Hand, ob sie nicht Fieber hätte, kurz, war schrecklich ängstlich, und sie lachte ihn aus. Schließlich, da er sich den Tag über nicht von Frau und Kind weggerührt hatte und der Abend so schön war, beschließt er, nach Gnadenstein zu reiten, um da ’was zu bereden und es dauert nicht lange, so wird ‚Mazeppa‘ vorgeführt. Die Ilse geht noch mit dem Jungen auf dem Arm die Freitreppe hinunter und giebt dem Pferd Zucker, und ich hör’, wie sie so im Scherz sagt: ‚Mazeppa, bring’ Deinen Herrn wieder gut nach Haus, hörst Du?‘ Und Fink, der alte Kammerdiener, macht noch die Bemerkung, der gnädige Herr sei so lange nicht mehr geritten, ‚Mazeppa‘ hab’ immerzu gestanden, der Herr möge nur gut zusehen. Darauf bittet Ilse ihren Mann, heut’ lieber nicht zu reiten, einer von den Leuten könne ja dem Pferd Bewegung machen. Aber Montrose lacht dazu, küßt sie und den Jungen und sitzt auf. Und dann reitet er ab, in so ’nem hübschen schlanken Trab, daß ich bei mir noch denk’: da hat’s gute Wege – das Pferd ist ja folgsam wie ’n Lamm! Wir sitzen nun noch auf der Terrasse und schwatzen dies und das – der Hans Günther macht Gehversuche und läßt sich ganz brav dabei an, dann kommt der Sandmann, und Ilse zieht mit dem Balg ab. Es dauert lange, bis sie wiederkommt, das Kind ist wieder sehr unruhig geworden, hat nicht einschlafen wollen, endlich hat sie’s denn eingesungen. Als sie sich wieder zu mir setzt und nach der Uhr sieht, erschrickt sie – es ist schon sehr spät, ihr Mann müßt’ längst von Gnadenstein zurück sein. Ich tröst’ sie natürlich und sag’ ihr, er kann noch ’nen andern Ritt gemacht, kann jemand getroffen haben, der ihn aufgehalten hat, aber sie will nichts davon glauben. Inzwischen kommt Doßberg in seinem Einspänner nach Haus, dem erzäblt sie’s auch und fragt, ob er ihren Mann unterwegs nicht getroffen habe. Nein, der Alte hat ihn nicht getroffen. Mit Müh’ und Not kriegen wir sie so weit, daß sie sich mit uns zu Tisch setzt, uber sie rührt das Essen kaum an, und Doßberg, der das sieht, schickt ’nen reitenden Boten nach Gnadenstein, rein aus Vorsicht und bloß, um sie zu beruhigen. Die Ilse muß nun wieder ins Kinderzimmer, denn die Wärterin kommt ganz ängstlich und meldet, der Kleine sei wieder wach und schreie, was er könne – dem armen Kerl machen die Zähne zu schaffen. ‚Gottlob,‘ sagen Doßberg und ich, ‚daß sie noch um ’was anderes zu sorgen hat.‘ Nach ’ner guten Weile kommt der Gnadensteiner Bote zurück: der gnädige Herr sei gar nicht dort gewesen. Na, nun war aber wirklich guter Rat teuer – wo konnt’ er geblieben sein, wo sollte man ihn suchen? Denn daß man ihn suchen mußte, das leuchtete uns jetzt nur zu sehr ein. Ilse hat das Pferdegetrappel gehört und kommt gelaufen, man hört durch die offenen Thüren das Kind schreien – da müssen wir ihr’s denn sagen, was bleibt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_338.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)