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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 21.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Unterwegs.
Nach einem Gemälde von Ed. Grützner.

Die Martinsklause.

Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(20. Fortsetzung.)


23.

Unter dichten Bäumen, durch welche der von rasch ziehenden Wölklein häufig verschleierte Mond nur mit spärlichen Lichtern niederblickte, folgte Eberwein dem Pfad. Schwül und feucht wehte ihm der Nachtwind in das brennende Gesicht, und welkes Laub raschelte um seine Füße. Bei dem Wirbel der Gedanken und Empfindungen, die ihn erfüllten, und in dem mit Finsternis wechselnden Zwielicht übersah er die Zweigung des Pfades und schritt zur Linken weiter. Als er eine kleine mondhelle Lichtung erreichte, mußte er rasten, denn seine Arme zitterten schon unter der Last des Knaben. Er setzte sich auf einen gestürzten Baum, und nun zum erstenmal, im Licht des Mondes, sah Huze das Antlitz seines Retters; leuchtend traf ihn der Blick dieser stillen Augen, und mit bebenden Armen den Mönch umschlingend, seufzte der Knabe wie einer, der nach üblen Wegen die sichere Ruhstatt fand.

Nach einer Weile erhob sich Eberwein; er hatte die Sandalen wieder angelegt, und mit neugestärkter Kraft seinen Schützling tragend, folgte er dem Pfad, der sich nach kurzer Strecke teilte. Zu spät der Weisung Reckas gedenkend, wandte sich Eberwein nun zur Rechten; über steile Stufen ging es nieder; eine Wolke deckte den Mond - doch aus der Tiefe klang ein sachtes Rauschen, und durch die Nacht her leuchtete ein rötlicher Schein wie der Glanz eines Herdfeuers bei offener Thür. Das mußte die Ache sein und der Herdschein des Fischerhauses, dessen Bewohner sich - denn der Morgen war nahe - vor der Dämmerung schon zum Tagewerk erhoben hatten. So meinte Eberwein. Doch als er den Niederstieg über den steilen von Büschen überwachsenen Pfad mühsam vollendet hatte und ebenen Grund erreichte, gewahrte er im auftauchenden Mondlicht, daß er auf engem von Felswänden eingehegtem Raume stand, während vor ihm der See sich dehnte, in weitem Kreis umschlossen von den schwarzen Mauern der Berge. Schreck

und Sorge befielen ihn. Wie sollte es seinen erschöpften Kräften gelingen, den Knaben wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_341.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2021)