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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Er redet mit seinem guten Helfer!“ flüsterte Sigenot. „Laßt ihn allein! Tragt den armen Buben ins Haus!“

Doch Huze wollte sich nicht tragen lassen. „Die Händ’ von mir! Ich geh’ schon, wohl wohl ... mir hilft schon einerl“ Seinen Schwerz verbeißend, richtete er sich auf und duldete kaum, daß Wicho und Eigel ihn stützten, als er Schrittlein um Schrittlein dem Hagthor entgegenhinkte.

Es währte lange, bis Eberwein sich erhob. Unter dem Thor trat Sigenot vor ihn hin und sprach: „Eh’ Du den ersten Schritt in meine Hofreut thust, laß raiten mit Dir. Wie ich selbigsmal von Dir gegangen bin, hab’ ich gemeint, ich könnt’ wiederkommen mit hundert hinter mir. Ich kann mein Wort nicht lösen – frag’ nicht, warum! Aber mich nimm ganz, mich und meine Leut’! Und wo der Mann ist, muß sein Haus sein!“ Er zog das Messer vom Gürtel, schlug vom Pfosten des Hagthors einen Span und legte ihn in Eberweins Hand. „So nimm mein Haus mit allem Recht und Eigen! Thu’ mit ihm nach Deinem Willen, laß mir die Nießung oder gieb sie einem andern ... Du bist der Herr!“

„Was Du bietest, soll gelegt sein in Gottes Hand!“ erwiderte Eberwein mit bebender Stimme. „Du aber schalte in Deinem Haus als freier Mann, und mögen Dir Tage des Glückes und der Ruhe blühen unter seinem Dach!“

„Glück, Herr?“ Schwer hob sich die Brust des Fischers. „Hätt’ ich die Ruh’ allein, ich wär’ zufrieden!“

„Sigenot, was bedrückt Dich? Sprich!“

Da klang es wie ein Schrei aus tiefer Qual. „In mich ist Feuer gefallen, bei lebigem Leib verbrennt mein Herz! Wo ich hoffen müßt’ ...“ Sigenot verstummte und drückte die Fäuste auf seine Brust, mit heißen Augen aufblickend über den See, zur Höhe der Falkenwand.

Eberwein sah diesen Blick. „Sigenot!“ stammelte er und umschlang den Fischer mit ungestümeb Armen. –

In Wazemanns Haus kläfften die Hunde, denen der Zwingerknecht das Futter zutrug. Von dem Lärm und Geheul, das sie erhoben, erwachte Herr Waze aus Schlaf und Rausch. Lallend stierte er im Saal umher und fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel; als er den Schlüssel griff, der an ledernem Riemen hing, lachte er heiser, fiel wieder zurück auf die Polster und schloß die Augen.

Es stieg der Morgen. Im Thal der Ache hoben sich schwere Dünste aus allen Sümpfen und zogen wie schleichende Gespenster durch den Wald und über die Halden. Sie stiegen in die Lüfte und verschwammen mit dem Gewölk, das seinen Lauf zu hemmen schien. Wolke schloß sich an Wolke, und immer dichter breitete sich die graue Wand zwischen Erde und Himmel. Als hinter den Bergen die Sonne stieg, fanden ihre Strahlen keinen Weg in das Thal mehr offen.

Fahles Zwielicht wie an einem düsteren Wintermorgen lag über dem Lokiwald. Und nur eine spärliche Helle fiel in die tiefe Wolfsgrube, in welcher Bruder Wompa gefangen saß. Noch immer kauerte er in der gleichen Ecke, die aufgezogenen Knie mit den Armen umschlungen haltend, die schlotternden Backen überronnen von kaltem Angstschweiß ... und ihm gegenüber, in einen Winkel gedrückt, hockte der Wolf wie ein Hund auf den Hinterbeinen. Die lechzende Zunge hing ihm zwischen den Zähnen hervor, und seine Augen waren unverwandt auf den Gesellen in der Grube gerichtet, der dem Wolfe nicht minder schrecklich erschien als der Wolf dem Bruder. Da fürchtete einer den andern. Wampo redete mit keuchender Stimme; seit das erste Grau des Tages in die Grube gefallen, hatte er die Zunge nicht ruhen lassen; verstummte er und ging ihm der Atem aus, so wurde das Tier unruhig – sprach er aber, so saß der Wolf mit schiefem Kopf und äugte nach den tönenden Lippen, halb in Scheu und halb wie in Neugier. Alle Gebete, die er wußte, alle Lieder und Litaneien, deutsch und lateinisch, hatte Bruder Wampo schon hergesagt. Auf die Psalmen Davids waren Salomonis Sprüche gefolgt. Er hatte dem Wolfe die schöne Geschichte der holden Ruth erzählt und war von der Königin Esther auf Hiob geraten. Da hielt er nun im siebenten Kapitel, als fern im Wald die rufende Stimme Schweikers klang. Ein Zittern befiel den Bruder, brennende Röte schoß ihm in das bleiche Gesicht, doch er wagte weder zu schweigen, noch zu schreien; nur langsam hob sich seine erschöpfte Stimme. Näher klang das Rufen Schweikers, der Wolf wurde unruhig und spitzte die Lauscher, seine Haare sträubten sich und mit funkelnden Augen streckte er den Hals. Schritte ließen sich hören: Schweiker kam durch den Wald einhergegangen.

„Nicht wehren will ich meinem Munde,“ scholl die Klage Hiobs in der Grube, „ich will reden von der Bedrängnis meines Herzens und will heraus sagen von der Betrübnis meiner Seele ...“

Schweiker erkannte die Stimme. „Bruder!“ schrie er und spähte nach allen Seiten in den leeren Wald.

„Bin ich denn ein Meer oder Walfisch, daß Du mich so verwahrest?“ klang es aus der Erde. „Wenn ich gedacht ...“

„Bruder, wo bist Du?“ In langen Sprüngen folgte Schweiker dem Hall dieses Jammers und fand die Grube. „Allmächtiger!“ stammelte er und griff nach dem Beil, das er im Gürtel trug. Da erloschen plötzlich die betenden Worte unter lautem Gezeter. Denn mit tollem Satz war der Wolf auf Wampo losgesprungen, und des Bruders Schultern und Glatze als Schemel benutzend, schwang sich das Tier zum Rand der Grube. Schon aber wirbelte Schweiker das Beil und warf. Einen Sprung noch that der Wolf, dann stürzte er blutend ins Moos. Ein wuchtiger Hieb endete sein Leben. „So soll es jedem ergehen, der wider uns anspringt!“

Bruder Wampo hüpfte wie ein Frosch, um die Hände zu fassen, mit denen Schweiker in die Grube niedergriff. Das kostete ein festes Ziehen, denn das Bäuchlein wog, obwohl es in dieser Nacht um einige Pfunde minder geworden.

„Bruder! Das soll Dir Gott vergelten mit reichem Himmelsbrot!“ stöhnte der Erlöste, als er ebenen Grund betrat; er fühlte nach seiner Glatze, ob sie nicht blute, wischte den Angstschweiß vom Gesicht und taumelte ins Moos, alle Viere streckend.

Schweiker warf sich neben ihm auf die Knie und umschlang ihn. „Dich hab’ ich! Aber wo ist der Herr?“

„Ich weiß nicht! Laß mich nur erst mich selber finden!“ Bruder Wampo war so erschöpft, daß ihm die Sinne zu schwinden drohten. Aber der Anblick des erlegten Raubtiers machte ihn wieder lebendig. „Schweiker,“ rief er, „das Fell muß ich haben für mein Bett! Ich mein’, ich hab’s verdient!“ – –

Eine Stunde später war Bruder Wampo an Leib und Seele gestärkt und neu gekräftigt. Der Sterz mit Wasser hatte ihm all sein Leben lang noch nie so köstlich gemundet wie an diesem Morgen. Nun lag er im Halbschlaf auf seiner Stangenbritsche – wie weich ihn das Moosbett dünkte! – und seine Ruhe störte kein Laut. Er war allein. Waldram und Schweiker waren ausgezogen, um nach Eberwein zu forschen.

„Er hat den Bruder in der Ramsau aufgesucht, dort will ich fragen nach ihm!“ hatte Waldram gesagt und war hinausgewandert gegen die Strub.

„Er muß bei dem kranken Kindl gewesen sein, dort will ich suchen!“ meinte Schweiker und stieg über die Gehänge des Göhl empor. Als er die Höhe erreichte und vom Waldsaum aus den Hag des Greinwalders erblickte, hämmerte sein Herz, daß ihm die Adern am Hals wie Striemen schwollen. Er meinte, das käme vom raschen Gang. Freilich, es stockte ihm fast der Atem ... und da begann er nun gar noch zu laufen: so große Eile hatte er, Kunde von seinem Herrn zu hören. Mit Faust und Grießbeil schlug er an das geschlossene Thor. „Thut auf in Gottes Namen!“ Er hörte flüsternde Stimmen im Hof, dann gedämpfte Schritte; doch niemand kam, um das Thor zu öffnen.

Schweiker pochte und rief, aber hinter dem Hag blieb alles still. Er wurde blaß und rot, mit beiden Fäusten trommelte er auf den Bohlen und schrie, daß in der Runde der Wald erschallte: „Thut auf! Aber Leut’, so thut doch auf!“ Als er wieder einmal mit verhaltenem Atem lauschte, war es ihm, als klänge vom Hause her ersticktes Weinen an sein Ohr. Das konnte der Bauer nicht sein, auch nicht die Bäuerin. Kalt wie Eis fuhr ihm ein Schreck in alle Glieder. „Da muß ein Unheil geschehen sein!“ stammelte er, und vor seinen Augen stand ein Bild: Wazemanns Söhne waren in den Hag gefallen, sie hatten den Bauer und die Bäuerin niedergeschlagen oder gefesselt, hatten um die Hände des wunden Mädchens die Stricke geschlungen und ... doch weiter dachte er nicht „Hinzula!“ schrie er, warf das Grießbeil nieder, verschlang die Arme über der Brust und rannte mit der klobigen Schulter wie ein Sturmbock gegen das Thor. Alle Bohlen krachten, der Riegel splitterte, und Bruder Schweiker hatte freien Weg. Er raffte einen Prügel von der Erde und stürzte dem Hause zu. Unter der Thüre trat ihm die Bäuerin entgegen, bleich, mit aufgerissenen Augen; sie knickte fast zu Boden bei Schweikers Anblick, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_343.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2020)