Seite:Die Gartenlaube (1894) 372.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auch war, lieber, viel lieber noch hätte ich tagelang Beobachtungen in dieser so jäh und grausam gestörten Pelikan-Kolonie gesammelt, trotz der Mücken und inmitten des greulichen Geruches.“ A. F.     

Die 250jährige Jubelfeier des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg. Unsägliches Unglück hatte der Dreißigjährige Krieg über unser Vaterland gebracht. Was Jahrhunderte geschaffen, ward im Laufe einiger Jahrzehnte vernichtet, und es schien, als ob sogar unsere Muttersprache dem Andrange der welschen Horden erliegen, unter der Nachäffung französischer Sitte und Sprache ersticken sollte. In dem stillen Kämmerlein der Gelehrten und Dichter aber erwuchs ungestört von dem Kriegsgetümmel eine mächtige Waffe in diesem Streite: die deutschen Sprachgesellschaften, die sich das schöne Ziel der Reinerhaltung deutscher Sprache und Gesittung steckten. Der Nürnberger Patrizier Georg Philipp Harsdörfer (1607 bis 1658), welcher sich durch Studien und weite Reisen eine gediegene wissenschaftliche und weltmännische Bildung angeeignet hatte, rief im Jahre 1644 einen ähnlichen Verein, den „Pegnesischen Blumenorden“ in Nürnberg, dem Stapelplatz süddeutschen Handels, ins Leben. Harsdörfer, der selbst eine fruchtbare litterarische Thätigkeit entfaltete – am bekanntesten ist sein „Poetischer Trichter“, der unter dem Namen „Nürnberger Trichter“ sprichwörtlich geworden ist – bezeichnete als Zweck der Gesellschaft, „unsere Muttersprache mit nützlicher Ausübung, reinen und zierlichen Reimgedichten und klugen Erfindungen in Aufnahme zu bringen.“ Die Wege, welche der Blumenorden einschlug, um die edle Dichtkunst zu pflegen und die Poesie vor allem auch zur Belebung der Geselligkeit zu verwerten, die Freude an geschmacklosen Sinnbildern, fade Schäferspiele und Reimereien, eine schwülstige Redeweise entsprachen allerdings dem Geschmacke der Zeit, förderten aber nicht die Gesellschaft. Und doch hat auch sie ihre Verdienste; schon ihre Gründung in der Zeit des Ueberwucherns alles Französischen ist als eine patriotische That zu betrachten.

Manche Wandlungen hat der Blumenorden durchgemacht; oft glaubte man, er würde ob der hier und da eingetretenen Verknöcherung selig entschlafen, aber noch grünt das von Harsdörfer gesteckte Reis und treibt reiche Blüten. Unter der Leitung des derzeitigen Vorstandes, des Oberarztes Dr. Wilh. Beckh, werden allmonatlich öffentliche Versammlungen abgehalten, finden allwöchentlich kleinere Vereinigungen der Angehörigen des Ordens statt, worin man sich an dem Besten und Gediegensten, was Deutschlands Dichter und Denker von der ältesten bis auf die allerneueste Zeit geschaffen, erquickt. In zwangloser Weise werden die Meinungen ausgetauscht und eigene Arbeiten Freunden bekannt gegeben. Zwei Bände „Altes und Neues aus dem Pegnesischen Blumenorden“, die in den letzten Jahren erschienen sind, bezeugen die ungeschwächte Lebenskraft des „Pegnesischen“, der in seltener Rüstigkeit Ende Juli des Jahres seinen 250jährigen Geburtstag in festlicher Weise begehen will.

Der alte Irrhain des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg.

Bei dieser Jubelfeier wird ein Wäldchen, 1½ Stunden nördlich von Nürnberg bei dem Dorfe Kraftshof gelegen, eine ganz besondere Rolle spielen. Im Jahre 1676 kam der Pegnitzschäfer Myrtillus II., d. i. Pfarrer Martin Limburger zu Kraftshof, auf den Einfall, dieses Wäldchen zum Versammlungsort des Ordens einzurichten. Das Einrichten verstand er aber dahin, daß er das Wäldchen ebenso unnatürlich zustutzte, wie der deutschen Sprache Zwang angethan wurde in den Gedichten, welche die Pegnitzschäfer machten. Es wurden verschlungene Gänge durch das Wäldchen angelegt, mit steif zugeschnittenen Heckenwänden eingeschlossen, an einzelnen Plätzen Hütten erbaut und überhaupt von dem deutschen Vereine ganz in französischem Geschmacke ein Irrgarten oder „Irrhain“ angelegt, welch letzteren Namen das Wäldchen jetzt noch trägt. Ein Irrgarten ist es heute jedoch nicht mehr; die zugestutzten Laubgänge sind verschwunden, die Natur ist wieder zu ihrem Rechte gelangt. Zahlreiche Denkmale erinnern an dahingegangene verdienstvolle Mitglieder des Ordens.

Alljährlich im Hochsommer entfaltet sich in dem schattigen Haine ein buntes Leben und Treiben. Der Blumenorden hält hier sein Sommerfest ab, belebt von einem reichen Kranze schöner Damen. Hier führt die Jugend den Herrscherstab. In Scharen findet sich die Erlanger Studentenschaft ein, um den hübschen Nürnbergerinnen angelegentlich den Hof zu machen. Nach dem Festspiele, das nie fehlt und worin gar oft alte Ordensgenossen heraufbeschworen werden, die vor Jahrhunderten hier gewandelt, nach mancherlei ernsten und heiteren Vorträgen wird Terpsichoren gehuldigt und viel Lust und Freude herrscht in dem Haine. Der Mond sendet sein mildes Licht auf die fröhlichen Menschen herab, und wenn er nicht so verschwiegen wäre, könnte er von manchem zärtlichen Worte berichten, das unter dem Schatten hoher Eichen geflüstert, von manchem Bunde, der hier für das ganze Leben geschlossen wurde. Und wie gesund ist der Aufenthalt im Irrhaine! Die jungen Leute, die im Jahre 1844 beim 200jährigen Jubelfeste des Ordens dort ein Menuett tanzten, sie leben – wenn auch alt und grau geworden und in alle Weltgegenden zerstreut – beinahe alle heute noch. Gewiß eine Seltenheit! Möge auch ferner ein günstiger Stern über dem Blumenorden walten, damit er 1944 in gleicher Frische auch seinen 300jährigen Geburtstag festlich begehen kann! H. B.     

Der Landarzt. (Zu dem Bilde S. 369.) Ein Bild aus dem italienischen Volksleben ist es, das der Maler uns vorführt, ein Bild, das freilich mit geringen Aenderungen auch vielfach auf die ländlichen Zustände in unserer deutschen Heimat zutreffen würde. Der Herr Doktor befindet sich auf der Landpraxis! Nach einem abseits gelegenen Bergnest ist er gerufen, aber er kann seinen ohnedies beschwerlichen Weg nicht ohne mannigfachen Aufenthalt zurücklegen. Denn während er auf seinem biederen Grautier mühsam die steilen Pfade hinanklimmt, eilen die benachbarten Bauersleute von allen Seiten herzu, um sich Rats zu erholen für alle Leiden und Körperschäden, die sich seit Wochen oder Monaten angesammelt haben. Und der gute Doktor hört mit Engelsgeduld die umständlichsten und haarsträubendsten Krankheitsgeschichten an, fühlt willig den Puls, betrachtet gedankenvoll die ihm gezeigte Zunge, giebt einen guten Rat, wo er einen weiß, einen guten Trost, wo der Rat zu Ende – und reitet weiter seines Wegs, der Wiederholung desselben Schauspiels entgegen. Und sein Honorar? Ja, du lieber Himmel! „Wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren“, sagt das Sprichwort; wie sollte da ein bescheidener Landarzt seines finden? An dem freundlichen Doktor, der ein so weiches Herz hat, lassen es die armen Leute zuerst ausgehen; von dem wissen sie, daß er nicht kommt und fordert und droht wie der Steuereinnehmer oder der Padrone, dem man den Pachtzins schuldet; daß ihr getreuer Helfer gemeinhin auch nicht viel reicher ist als sie selber, das wissen die Leute freilich nicht.

An der Unteren Lände zu München. (Zu dem Bilde S. 357.) Schön ist die Reichenbachbrücke nicht, und es giebt Leute, die ihr sogar Baufälligkeit nachreden; dafür bietet sie zu Zeiten guten Wasserstandes der Isar ein gar unterhaltendes Bild: die Ankunft der Flöße aus dem Oberland an der Unteren Lände zu München. Und just nächst der Brücke, beim Muffatwehr, ist ein sogenannter „Schuß“, ein Wehr mit schöner Brandung, durch welche die Flöße im starken Gefälle hindurch müssen, so daß die Fluten das Floß überspülen. Allemal an dieser Stelle hüpfen die stämmigen Flößer je nach der Ladung auf erhöhte Plätzchen ihrer Flöße, um dem Naßwerden zu entfliehen. Geht es aber nicht, dann geniert diese wetterharten Gestalten, die eine geschlossene Gilde unter sich bilden, das „bisserl Wasser“ auch nicht. Müssen sie ja doch oft genug auf der Fahrt von Mittenwald, wo die junge lichtgrüne Isar flößbar wird, keck und ohne langes Besinnen ins kalte Wasser springen, wenn das Floß aufgefahren ist und durch Schieben, Stoßen und allerlei andere Anstrengungen wieder flottgemacht werden muß. Beil und Seil und die graue Hose mit dem Lenggrieser grünen Streifen kennzeichnen auf den ersten Blick den Flößer aus dem Isarwinkel. Ist ein Floß gelandet und liegt es am Kabel der Unteren Lände zu München, so wird seitens der Floßmannschaft das wenige Geschäftliche mit dem Ländmeister abgemacht, im Gasthaus zur „Unteren Länd’“ wohl auch noch eines getrunken, und abends fahren die Flößer „per Bahn“ wieder heim nach Tölz und so weiter.

Um möglichst Ländgeld für die Flöße am Kabel zu sparen, beeilt sich jeder Floßbesitzer mit dem Auseinandernehmen der angefahrenen Flöße. Die Blöcke werden voneinander gelöst und nun Stück für Stück, nachdem ein schwerer Eisenhaken mit daranhängender Kette eingeschlagen ist, von den Ländpferden und dem Ländknecht aus dem Wasser über den Triftweg auf den Damm gezogen. Diese Arbeit sieht sich recht leicht und anziehend an, verlangt aber Rüstigkeit und Verständnis. Die Pferde kennen ihre Arbeit durch lange Uebung und wissen oft, wie weit sie die schwere Last ziehen müssen. Sind die Blöcke alle auf dem Straßendamm, dann beginnt das Aufladen auf den Wagen, wobei wieder Pferde und lange eiserne Ketten, die eine Art einfachen Flaschenzuges bilden, nötig sind. Für die Münchener bietet diese Arbeit immer ein gern gesehenes Schauspiel. A. A.     



Inhalt: Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (21. Fortsetzung). S. 357. – An der Unteren Lände in München. Bild. S. 357. – Pelikane am Strand. Bild. S. 360. – Pelikanjagd. Bild. S. 361. – Herzogin Hadwig, die Heldin des „Ekkehard“. Von R. Artaria. S. 364. Mit Abbildung S. 365. – Wasserdicht. Hygieinische Skizze von Dr. Lorenz. S. 366. – Die verlorene Tochter. Humoreske von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 367. – Der Landarzt. Bild. S. 369. – Blätter und Blüten: Der Pelikan und die Pelikanjagd. S. 371. (Zu den Bildern S. 360 und 361.) – Die 250jährige Jubelfeier des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg. Mit Bild. S. 372. – Der Landarzt. S. 372. (Zu dem Bilde S. 369.) – An der Unteren Lände zu München. S. 372. (Zu dem Bilde S. 357.)



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_372.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)