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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Das macht meine Künftige sich selbst,“ schmunzelte er. „Ein reizendes Schaufenster, das muß wahr sein. Alle die allerliebsten Sächelchen, aus Gaze, Spitzen, Federn und Blumen wie zusammengehaucht! Ich bleibe da allemal gern stehen, wenn ich zu meinem Schwager gehe, und denke an die zierlichen Fingerchen, die so wundersam geschickt sind, und bemühe mich auch, durch das große Spiegelglas zu gucken, ob ich einen Blick von den schönen Augen erhasche –“

„Aber Herr Opitz!“ fiel sie verschämt ein.

„Wieder zwei Häuser eingestürzt!“ rief Schöneberg. „Das kommt von dem unsoliden Bauen her.“

Ida wendete das Köpfchen ein wenig zurück. „Sie scheinen sich nur für Unglücksfälle zu interessieren, Herr Schöneberg,“ bemerkte sie spitzig.

„Pah! Wenn einem so wohl ist!“ erklärte er.

„Lassen Sie ihn,“ bat Opitz. „Was geht es uns an! Hier handelt es sich um einen Glücksfall, Frau Ida. Nämlich, wenn Sie … ich glaube, es wäre ein ganz solider Bau.“

Sie lächelte ihre Handarbeit an. „Wovon sprechen Sie?“ fragte sie sehr hold.

Er bemühte sich, ihr das auf allerhand Umwegen zu erklären, und rückte endlich näher. „Ich habe zum Beispiel an eine junge Witwe gedacht – verstehen Sie?“

„Ich weiß nicht …“

„Und wenn sie mir etwa ein kleines Mädel mitbrächte, das sollt’ es bei mir nicht schlecht haben.“

„Herr Opitz!“ Sie ließ jetzt ein Weilchen die Hände ruhen und schenkte ihm einen dankbaren Blick.

„Ja, ja, ja!“ zischelte er ganz entzückt, „das ist meine Meinung, Frau Ida, so ein Mensch bin ich nun einmal.“

Es schien nur noch ein ganz kleiner allerletzter Schritt zu gegenseitigem vollen Verständnis zu fehlen. Hätte Schöneberg seinem Schwager noch eine Minute Zeit gelassen! Aber da fiel sein Auge gerade auf eine ihn besonders interessierende Nachricht, die ihm denn auch die schläfrigen Lider nochmals hob. „Du, Hermann,“ sagte er, „das ist ’was für Dich.“

„Will ich meinen,“ antwortete Opitz, der in diesem Augenblick nur an Ida dachte.

„Soldatenschinderei! Natürlich freigesprochen! Du bist ja auch Unteroffizier gewesen und verstehst etwas davon.“

„Laß die dummen Witze!“

„Du hast wohl auch immer ohne Schmerzgefühl gehauen?“

„Ich dachte, Du schliefest lange.“

Schöneberg gähnte. „Das könnte Dir gefallen. Ich muß doch auf Dich aufpassen. Mit einer schönen jungen Frau – man kennt Dich.“ Wieder ein herzliches Gähnen. „Aber wahrhaftig wenn mir ’was Menschliches begegnen sollte … nehmen Sie mir’s nicht übel, Frau Döbler – nur ein Viertelstündchen!“

„Sie waren Soldat?“ fragte Ida.

„Bei der Feldartillerie,“ antwortete er. „Aber Schöneberg zieht mich auf: ich hab’s bloß bis zum Gefreiten gebracht. Wozu hätt’ ich auch länger dienen sollen? Ich konnte ja mein eigenes Brot essen. Und das reicht auch für zwei und drei, Frau Ida. Was Sie aus dem Putzgeschäft erübrigen, wenn Sie’s nicht eingehen lassen wollen – na, das ist für sich. Sie müssen sich doch auch manchmal recht einsam fühlen, nicht wahr?“

Ida seufzte kaum hörbar. „Natürlich – wie es sein könnte … Man muß vorlieb nehmen.“

„Aber das haben Sie doch nicht nötig, Frau Ida!“ Er schielte nach seinem Schwager hin. Dem war die Zeitung über das Gesicht gefallen, und die schnarchenden Töne, die darunter vordrangen, lieferten den vollen Beweis, daß er endlich eingeschlafen war. Diese Gewißheit gab Opitz den Mut, der jungen Witwe die Hand über den Tisch hinzustrecken.

„Ja, was wollen Sie denn?“ fragte sie verschämt.

„Ihre Hand.“

„Sie sind närrisch.“

„Schlankweg Ihre Hand, Frau Ida.“

„Wenn man uns beobachtet –“

„Das thut nichts. Ich mein’s ganz reell.“ Er blickte sie bittend an. „Na – geben Sie mir Ihre Hand!“

Sie that’s, aber mit der schalkhaften Frage: „Können Sie besser wahrsagen als der Zigeuner?“

„Ja, Frau Ida. Einen jungen schönen feinen Mann kann ich Ihnen nicht versprechen, aber …“ Er wendete ihre Hand, streckte sie auf der seinen aus und streichelte sie. „Ach Gott, eine so allerliebste weiche kleine Hand!“ Aufstehend beugte er sich über den Tisch und küßte sie eifrig. Dann blickte er auf. „Kann ich die nun behalten?“

Ida suchte sich loszumachen, ohne doch viel Kraft anzuwenden. „Ach gehen Sie!“

„Wenn ich Ihnen aber sage, Frau Ida, daß ich ganz toll verliebt in Sie bin –“

„Es ist ja dummes Zeug.“

„Wozu aber? Wenn Sie wollen, ist es ganz vernünftiges Zeug. Und so ganz gleichgültig bin ich Ihnen doch auch nicht gewesen. Bekennen Sie nur!“

„Lassen Sie mich los!“

„Nun erst recht nicht!“ Er schwang sich über den Tisch und setzte sich zu ihr.

„Was soll Herr Schöneberg davon denken?“

„Ach, der schläft.“ Er umfaßte sie. „Frau Ida!“

„Sie sind so stürmisch.“

„Heut’ oder nie! Sehen Sie mir ’mal in die Augen! Da liegt Herz drin – was? Fest in die Augen!“

Sie that ihm den Gefallen. „Ich kann noch immer nicht glauben –“

„Geben Sie mir einen Kuß, Idachen, und die Sache ist abgemacht.“ Er zog sie an sich.

Sie wehrte sich schwach. „Nein, nein –“

„Ja, ja!“ Er küßte sie. „Abgemacht!“

Sie hatten nicht bemerkt, daß Frau Schöneberg und Frau Streckebein sich vom Hause her näherten und jetzt verwundert zuschauten. „Was geht hier vor?“ riefen die beiden Damen wie aus einem Munde, und die Frau Sekretär fügte ein vorwurfsvolles „Ida!“ hinzu.

Ida war aufgesprungen. „Ach – Herr Opitz ist ganz närrisch,“ sagte sie.

„Mein schüchterner Bruder scheint sich endlich ein Herz gefaßt zu haben,“ bemerkte Frau Schöneberg. „Na, seid Ihr einig?“

„Einig? Was soll das heißen?“

Opitz trat heran. „Frau Sekretär, wenn Sie nichts dagegen haben …“ Er faßte Idas Hand.

Sie ließ es geschehen. „Was sagst Du nun dazu, Mama?“ fragte sie.

Frau Streckebein begriff endlich. Sie wurde sehr gerührt. „Kinder,“ wisperte sie, „mir kann’s ja schon recht sein. Aber so überraschend … wenn nur nichts nachkommt!“

„Und mein Alter schläft den Schlaf des Gerechten,“ rief Rosine, die Hände zusammenschlagend. Sie nahm ihm das Zeitungsblatt vom Gesicht und rüttelte ihn am Arm. „Du, Schöneberg, wach auf! Du verschläfst die Verlobung!“

Er raffte sich auf. „Die Verlobung – was, was, was?“ Eben hatte er etwas sehr Schreckhaftes von seiner Tochter geträumt. „Aber da soll doch –“

„Zieh’ den Rock an und gratuliere,“ sagte seine Frau, über seine Verschlafenheit lachend. Sie half ihm. Schöneberg sah Opitz und Ida Hand in Hand stehen. Nun erst wachte er recht auf. „Ach, Ihr beide. Ich dachte schon … Seht doch einmal! Man kann Euch nicht zehn Minuten aus den Augen lassen. Na – meinen Segen habt Ihr.“

Frau Streckebein hatte sich indessen überall umgesehen. „Wo ist denn Lieschen?“ fragte sie.

Nun blickte auch Ida nach allen Seiten. „Lieschen?“

„Ja, die geht’s doch eigentlich auch an. Wenn das Kind einen neuen Vater bekommen soll …“ Sie rief nach dem Hause hin: „Lieschen!“

„Die Kleine war doch eben noch hier,“ meinte Schöneberg.

Seine Frau gab ihm einen Schlag auf die Schulter. „Du hast ja geschlafen.“

Die Frau Sekretär wurde sichtlich unruhiger. „Ihr müßt doch aber von dem Kinde wissen,“ wendete sie sich zu dem Paar.

„Ich glaubte, Lieschen sei mit Dir ins Haus gegangen,“ entschuldigte sich Ida.

„I, Gott im Himmel,“ rief die alte Dame, „wie kann man so etwas glauben! Man hat doch Augen, zu sehen. Vielleicht ist sie im Stall bei den Pferden – oder am Brunnen … man kann’s gar nicht ausdenken.“ Sie hielt denn auch die Hand vor die Augen und rief wieder: „Lieschen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_383.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)