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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

drangen dumpfe Geräusche von den fernen Höhen nieder, und in dem weißen Schnee der steilen Gehänge erschienen dunkle Striche: die Furchen fallender Blöcke, die Gassen der Lawinen ...

Um diese Morgenstunde saß der alte Gobl neben dem Dächlein, das er über den Trümmern seines Hauses errichtet hatte. Schwer atmend strich er mit der Hand über die Stirn, streifte mit irrem Blick die kleine Hütte und lachte. Im ersten Grau des Tages hatte er den Gast erkannt, den die Nacht ihm zugeführt.

Unter dem Dächlein raschelte das Heu, und zitternd klang die Stimme des Knaben. „Gobl-Aehni! Gobl-Aehni!“ Zornig schüttelte der Greis den Kopf und drückte die Fäuste über die Ohren.

Eine Weile war Stille, dann wieder klang in der Hütte der wimmernde Ruf. „Gobl-Aehni! ... Gobl-Aehni!“ und erstickte in leisem Schluchzen. Der Alte sprang auf, als möchte er dem Laut dieser Stimme entfliehen. Doch jeder Schritt war ihm eine Mühsal, in allen Gliedern lag ihm die Kälte der Nacht. Mitten in der Hofreut blieb er stehen, und ob er wollte oder nicht, seine Augen suchten die Hütte. „Es muß ihn ja der Hunger plagen,“ murmelte er, „mir krachen ja selber alle Rippen!“ Ein Zittern befiel die Hände des Alten. Durch die Pfützen watend, eilte er zum Apfelbaum und suchte im Schlamm nach den gefallenen Früchten, nur wenige fand er, und die waren faul. Er spähte in das halb entblätterte Gezweig. Drei Aepfel sah er noch hängen und schüttelte an dem Baum, bis auch der letzte fiel. Er hob sie von der Erde und säuberte sie an seiner Kotze. Zwei Aepfel warf er unter das Dächlein, den dritten behielt er ünd hob ihn an die Lippen, doch er ließ ihn wieder sinken, und nach kurzem Zögern warf er ihn den andern nach. „So nimm’ halt ... mehr hab’ ich nimmer!“ Seufzend ließ er sich auf die Trümmer nieder und nahm den weißen Kopf zwischen die Fäuste.




31.

Der rote Frühglanz fiel auf die Felsgehänge des Untersberges, als Bruder Schweiker im kurzen Arbeitskittel aus der Thür der Klause trat. Eberwein lag noch in tiefem Schlaf – und daß auch Bruder Wampo noch schlummerte, konnte man hören. Nur Waldram wachte; aus dem Kirchlein quoll der eintönige Klang seiner betenden Stimme. Schweiker stand und blickte mit großen Augen umher: die weite Rodung war ein grauer Sumpf, und bis zum Fuß der Berggehänge reichte der Schnee hernieder. „Ja schau’ nur einer! Ist denn das auch noch eine Gegend!“ stotterte er. „Vor zwei Tag’ noch Sommer, und heut’ springt uns der Winter in die Fenster! Jetzt heißt’s aber schaffen und die Pfähl’ schlagen zum Hag!“ Er suchte die Axt und fand sie mit Rost bedeckt auf der Stelle liegen, an welcher er sie am verwichenen Mittag aus der Hand geworfen. „Freilich, von denen zwei da drinnen hat sie keiner aufgehoben!“ brummte er. „Unheil stiften der ein’ und fressen der ander’ ... sonst können sie alle zwei nichts!“ Er schulterte die Axt und wollte zum Waldsaum schreiten.

Da hörte er ein leises Stimmlein seinen Namen rufen, wie jäher Schreck fuhr es ihm in alle Glieder, und krebsrot färbte sich sein Gesicht. Ein paar Sprünge machte er, als wäre die Hölle hinter ihm, dann blieb er stehen und blickte langsam über die Schulter. Bei der Klause stand die Hirtin, das weiße Tüchlein um den Kopf, am Arm den schwer beladenen Weidenkorb. Mit glücklichem verlegenen Lächeln blickte sie zu Schweiker auf, welcher zögernd näherkam. Nicht die Stimme, die ihn gerufen, und nicht die fromme Gabe, sondern das Staunen zog ihn näher. Wie eine graue Raupe in den bunten Schmetterling, so hatte Hinzula sich verwandelt. Ein brennend rotes Röcklein floß um ihren schlanken Leib, und unter dem grün gefärbten Mieder aus Lammfell quoll das säuberlich gebleichte Hanftuchkittelchen hervor, dessen faltige Aermel mit grellfarbiger Wolle gesäumt waren. Sie stellte den Korb zu Boden und lüftete den Deckel.

„Schau’ her, was ich gebracht hab’!“

Er sah den Korb nicht, seine Augen hingen an der Hirtin. Eine Weile schwieg sie, als aber der Bruder die Sprache nicht finden wollte, lispelte sie: „Was sagst: wie die Berg’ ausschauen! Heut’ in der Nacht hat’s Rot über Rot gegeben auf den Alben. Der Vater und die Mutter sind lange vor Tag schon aufgestiegen, wohl wohl, und wie ich so allein gelegen bin, da ist mir die Zeit gar lang geworden ... und schau’, so hab’ ich halt ein lützel ’was ins Körbl gethan und bin heruntergelaufen. Du! Sell droben bei uns, da liegt der Schnee aber schiech!“ Sie hob ein wenig das Röcklein und lugte auf ihre Schuhe und Strümpfe, an denen der Schnee in halbzerflossenen Klumpen hing; auch der Saum ihres Kleides war schwer von Nässe.

„Ja, Kindl, wie hast denn einen solchen Weg thun können!“ stotterte Schweiker in Vorwurf und Sorge. „Ja sag’ nur, bist denn schon wieder völlig gesundet?“

Sie sah ihn mit glänzenden Augen an, griff nach der verbundenen Stirn und lachte. „Ein lützel Brummen thut mir das Köpfl schon noch! Aber das wird schon aufhören! Gelt?“

Er streckte die Hand und zog sie wieder zurück, schweigend stand er, mit finsterem Blick, und da er die Lippen aufeinanderdrückte, als müßte er sich gewaltsam zum Schweigen zwingen, blies ihm der Atem laut durch die Nase. Und immer größer wurden seine Augen und rollten wie zwei Räder im Lauf. Verwundert blickte Hinzula zu ihm auf.

„Ja was hast denn? Warum thust denn so zornig?“ stammelte sie und griff nach dem Korb. „So schau’ doch her . . . und nimm . . .“

„Leg’ das Zeug’ nur vor die Thür hin . . . da wird’s der ander’ schon finden!“ platzte Schweiker los mit einer Stimme, so heiser und krächzend, als wäre ihm eine Fliege in den Hals geraten. „Ich will nichts haben davon! Kein Bröckl rühr’ ich an! Ueberhaupt ... es muß ein End’ haben! Ein End’! So oder so! Und schaffen muß ich auch! Wohl wohl! Ich kann nicht daherstehen und plauschen!“ Er warf die Axt über die Schulter, drehte dem Mädchen den Rücken und schritt zum Waldsaum.

Zitternd stand die Hirtin, mit kreideblassem Gesicht, und blickte ihm nach, ihre Lippen zuckten und Thränen kugelten ihr über die Wangen. Als sie sah, daß Schweiker die Arbeit begann, nahm sie den Korb auf, schüttete seinen Inhalt vor die Thür der Klause und schlich in entgegengesetzter Richtung den Bäumen zu.

Während sie schluchzend den Wald betrat, klang in der Klause Bruder Wampos jammernde Stimme. Schweiker horchte auf und lief herbei. „Ja was ist denn schon wieder?“ brummte er und sprang über den kleinen Berg von Butter, Brot und Käse hinweg, den Hinzula vor der Schwelle abgeladen. Wampos Klagetöne kamen aus der Vorratskammer, als Schweiker auf die Schwelle trat, sah er den Bruder in seiner von Honig glitzernden Kutte auf der Erde knien und verzweifelt die Hände ringen.

„Schau’ nur, ja schau’ nur das Unglück an . . . das Aergst’, was noch geschehen hätt’ können!“

„Aber so red’ doch, was ist denn los?“

„Der ganze Meßwein ist ausgeronnen in der Nacht!“

Schweiler erschrak und wurde rot – er hatte in der Eile, als er den Trank für Eberwein geholt, den Hahn zu schließen vergessen. Mit den Fingern klopfte er das Fäßlein ab, von oben bis unten ... es hatte hohlen Klang. Und doch begriff er die Sache nicht, auf dem festgestampften Lehmgrnnd konnte der Wein nicht in die Erde sickern, die ganze Kammer hätte überschwemmt sein müssen, aber auf dem Boden stand nur eine kleine Lache. „Es muß doch noch ’was im Fäßl sein! Das ist doch meiner Lebtag’ nicht der ganze Wein! Die paar Kännlein für die Meß’ all’ Tag’ . . . sonst hat ja doch keiner davon genommen! Es müßt’ doch das Fäßl über die Hälft’ noch voll sein!“

Jetzt wurde Bruder Wampo rot bis über die Ohren. Aber statt seine heimlichen Sünden zu bekennen, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte: „Ja sag’ nur, Bruder, sag’, was thun wir denn jetzt? Kein Tröpfl Wein mehr! Kein Tröpfl! Jetzt dürfen wir gleich zusperren und Amen sagen, jetzt hat alles ein End’ . . . oder die Welt geht unter! So eine Gegend, wie das ist!“ Unter Senfzen und Schelten begann er alles Mißgeschick und Unheil aufzuzählen, welches ihm und den Brüdern von der ersten Stunde an im Gadem widerfahren. „Und gestern,“ schloß er, „was mir gestern schon wieder geschehen ist, das weißt Du noch gar nicht! Ich sag’ Dir, die Haar’ möchten einem zu Berg stehen!“

Schweiker schielte nach Wampos Glatze.

Seufzend strich der Bruder mit der Hand über einen der schimmernden Honigflecken auf seiner Brust und roch an den Fingern. „So ein Honig, wie das gewesen wär’ ... süß wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_430.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2021)