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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Der Walzerkönig.
Zum fünfzigjährigen Dirigentenjubiläum von Johann Strauß.

Gar selten ist es in den Reichen der Kunst, daß ein Königssohn den väterlichen Thron ererbt. In der Dynastie der Wiener Walzerkönige ward dieser seltene Fall Ereignis. Der liebenswürdige Meister, der im Oktober sein fünfzigjähriges Kapellmeisterjubiläum feiert, könnte sich nennen: Johann II., von Gottes Gnaden – König im weiten Reiche des Walzers.

Johann Strauß Vater, der erste Walzerkönig, hat nicht gewollt, daß sich sein Sohn der Tonkunst widme. Der Alte mochte fürchten, daß des Sohnes Ruhm den eigenen verdunkeln werde. Aber trotz alledem war Johann I. kein Tyrann. Und ohne Zweifel hat Paul Althof das Richtige getroffen, wenn er in einem Jubiläums-Lustspiel den Vater Strauß auf die Kunde, sein Sohn habe in der Uniform der Nationalgarde öffentlich dirigiert, neugierig ausrufen läßt: „Schaut er gut aus?“ Trotz aller Entrüstung über die Unbotmäßigkeit des Jungen kommt doch die väterliche Eitelkeit zum Durchbruch.

In der That mußte sich Strauß der Sohn ganz ernsthaft gegen den Willen des Vaters auflehnen, um seinem Berufe folgen zu können. Schon im Jahre 1844, als 19jähriger Jüngling, stand Johann II. an der Spitze eines eigenen Orchesters. Alsbald unternahm der junge Kapellmeister mit seiner Schar eine Kunstreise nach dem Osten: nach Ungarn, Serbien und Rumänien.

Zu jener Zeit war das Reisen noch von Poesie umwoben. Wenn der Meister heutzutage gut gelaunt ist, schwelgt er gern in Erinnerungen an seine erste Kunstreise. In Belgrad suchte er den türkischen Pascha heim, der dort residierte, der fahrende Künstler in seiner schmucken Uniform, die er als Kapellmeister der wahrlich doch harmlosen Wiener Bürgergarde trug, wurde für einen hohen Würdenträger gehalten und mit allen militärischen Ehren empfangen. Das Blatt wendete sich freilich, als böse Gläubiger den Musikern die Instrumente pfänden wollten. Nur durch List gelang es, die Absicht zu vereiteln. In Rumänien siegte wiederum der Uebermut. Die dort lebenden Oesterreicher stellten an Johann Strauß das Ansinnen, den österreichischen Konsul abzusetzen. Es scheint, daß seine Uniform allenthalben Eindruck gemacht hat! Der junge Musiker besuchte den Konsul und erklärte ihm kurz und bündig, das Volk wünsche seine Abdankung. Eine vor dem Hause versammelte Menge verlieh dieser Erklärung Nachdruck, und der Mann ward thatsächlich auf solche Weise seines Amtes enthoben. Als Johann Strauß der Jüngere nach Wien zurückgekehrt war, verlangte die Behörde Aufklärung über diesen unerhörten Fall. Aber das Jahr achtundvierzig stand vor der Thür, die Wogen der Volkserregung gingen schon gar hoch, und der junge Strauß, der – nunmehr in der Uniform der Nationalgardisten – die Marseillaise dirigierte, hatte Macht über die Gemüter. Die Behörden hielten es für klüger, diesem Volksliebling nichts anzuhaben.

Jahre vergingen. Der Kaiser Franz Josef ernannte den Walzerkönig zum Hofballmusikdirektor, die deutschen Fürsten, der Zar von Rußland und der Kaiser der Franzosen zeichneten den Künstler aus – ein Liebling des Volkes ist Johann Strauß dabei immer geblieben. Im raucherfüllten Biersaal hat er den Taktstock weiter mit derselben Anmut und demselben Eifer gehandhabt wie in den Prunksälen der fürstlichen Paläste.

V. Tilgners Statuette von Johann Strauß.

Johann Strauß der Sohn war der erste, der die Wiener mit Tonstücken von Richard Wagner bekannt gemacht hat. Als er Wagners Weisen in Wien spielte, war die musikalische Welt noch nicht in die großen Lager der Wagnerianer und derAnti-Wagnerianer gespalten. Unbefangen und ohne Vorurteil konnten die Hörer Wagnerische Kunst genießen. Mit besonderer Freude gedenkt heute Strauß seiner Triumphe als volkstümlicher Konzertgeber.

Sein eigentliches Reich aber war von Anbeginn der Ballsaal. Wer nach den Klängen der Straußischen Kapelle getanzt hat, der weiß, daß sich der Taktstock in des Meisters Händen zum Zauberstab verwandelt, und die sprichwörtliche Lebenslust der Wiener kann sich nicht lieblicher entfalten als im Rhythmus Straußischer Musik.

In Wien wurde die Sprache, die Johann Strauß mit seinen Instrumenten zu reden weiß, stets verstanden. Gleichwohl ist dieses Verständnis nicht an die Scholle gebunden. Im kalten Norden wurde dem „Walzerkönig“ nicht weniger zugejubelt als im warmen Süden; in allen Reichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_636.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2023)