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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Mensch, als er sich umdrehte. Vielleicht hat er ihm den Mantel gestohlen, oder hat ihn von ihm geschenkt bekommen, er ist ja so gut. Ich habe es Hetty aber gleich gesagt. O wie froh ich bin!! Ach, und heute morgen in der Schlußstunde war ich so garstig, sie haben es alle gemerkt. Wie kann ich es nur wieder gut machen?!! Aber morgen, beim Fest, will ich recht freundlich zu ihm sein.

Ich kann nicht weiter schreiben, ich bin zu glücklich. Warum nur, du dumme Paula?! Aber einerlei, ich muß jetzt ’was lieb haben, am liebsten ginge ich zu meiner lieben Thusy hin ans Bett und weckte sie und küßte sie halb tot, und wahrhaftig, ich klappe das Buch zu und thue es.

Sonntag, vormittags zwölf Uhr. 

Ich möchte schreiben, aber ich kann nicht, ich zittere vor innerem Weinen. Maus!!! Das sagt alles. O wie kann ich jetzt meinem Vater . . . . . . . . . . (Ein Klecks.)


11.

„Das Schauderhafteste ist der andere Morgen!“ stöhnte Hans Seeling, als er sich am Sonntag endlich gegen Mittag halb zwölf Uhr – es ist leider wahr! – vor den Tisch in seiner Studierstube setzte und mit etwas unsicherem Blick auf das Frühstück blickte. Der Kopf schmerzte ihm furchtbar. „Gottfried, Mensch, warum hast Du mich nicht früher geweckt?“

„Um halb Neun waren der Herr Professor durchaus nicht wach zu kriegen,“ meinte der getreue Gottfried. „Sie waren eben auch sehr spät nach Hause gekommen. Und nachher, als die Damen da waren, die verboten mir, Sie zu wecken.“

„Damen? Was für Damen?“

„O, drei sehr schöne junge Damen,“ grinste Gottfried. „Sie meinten, ich sollte ihn nur dorthin stellen, der Herr Professor werde ihn schon finden. Da steht er.“

Und in der That, da stand „er“: selbstverständlich der Hermes des Praxiteles, schön nachgebildet, mit sanftgeneigtem Haupte, und darunter ein zierliches Kärtchen: „Herrn Professor Doktor Hans Seeling von seinen dankbaren Schülerinnen. Villa Ulrich, Winter-Semester 1893/94.“

„Das hat die eine hingelegt, die mit dem schwarzen Zopf,“ erläuterte der getreue Gottfried. „Ach, Herr Professor, die ist aber kregel! Was die gelacht hat, als sie den Schreibtisch sah!“

„Natürlich Sennorita Thusnelde Lehmann,“ murmelte der Professor. „Was hatte sie denn an meinem Schreibtisch so zu lachen? – Herrgott, Mensch, die haben doch nicht etwa das Bild –“

„Ja, das hat ihnen viel Spaß gemacht. ,Wer ist denn das?‘ fragte die Kleine mit den braunen Augen –“

„Margot Menzel, natürlich!“ brummte Hans für sich.

„– und da sagte ich: ‚Ach, das ist unsere Maus. Der Herr Professor sagen nur immer: Gottfried, nimm mir die Maus in acht!‘ Und da lachten sie alle drei und tuschelten untereinander und guckten zwischendurch immer nach dem Schlafzimmer, ob der Herr Professor auch nicht wach würden. ,Keine Sorge,‘ sagte ich, ,da können Sie ganz ruhig sein, wenn’s abends so früh geworden ist, da schläft er hernach wie ein Igel.‘“

„Sehr freundlich, in der That,“ stöhnte der Professor. „Höre, Gottfried, das wird noch am jüngsten Tage eine Rechnung zwischen uns beiden geben. Nun sage nur noch, daß die dritte schlank, blond und blauäugig war, mit kurzen Löckchen –“

„O nein,“ antwortete Gottfried, „wo denken der Herr Professor hin? Das war ja so eine Große, mit breiten Schultern und fuchsigem Haar, ganz frei, und mit so scharfen grauen Augen –“

„Na, Gott sei Dank! Also die Siegendorf. – Nun geh’, Du Ungeheuer, bringe mir Rheinwein mit Apollinaris, und wenn Du unterwegs einem zerbrochenen Rohre begegnest, so denke an Deinen Herrn. – So trifft alles zusammen,“ philosophierte Hans, als der Diener sich entfernt hatte, verlorene Liebe und der Fluch der Lächerlichkeit – und der Kater. Brr! – Nun, sie freilich wird jetzt Wichtigeres zu thun haben als mich zu besuchen . . . Aber lieb ist es doch von den Mädchen. Hoffentlich haben sie’s nicht gemerkt, daß dieser unvermeidliche Hermes bereits in drei Exemplaren auf demselben nicht mehr ungewöhnlichen Wege in dieses Zimmer gewandert ist. – Wäre es nur erst Abend und diese dumme Feier an Institut vorbei! Aber abschreiben will ich doch nicht. Es sähe jetzt zu lächerlich aus.“


12.

Als der Professor gegen Abend in der Villa Ulrich erschien, wurde er sogleich an der Thür des Vorgartens von Thusnelde Lehmann und Hetty von Siegendorf abgefangen. Man ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. „Ach, Herr Professor,“ klagte Thusy, „es ist schrecklich gut, daß Sie da sind. Ohne Sie sind wir verloren. Bitte, helfen Sie uns, es geht alles drunter und drüber mit der Aufführung, und bei der Probe ging es doch noch so famos! Nicht wahr, Herr Professor, Sie gewähren uns die Bitte?“ Und leise setzte die schlaue Thusy hinzu: „Wir haben auch den anderen heute morgen eine ganze Dankrede erzählt, die Sie uns gehalten hätten.“

Die „Aufführung“ bildete in der Villa Ulrich eine Zierde des Semesterschlusses. Sonst stand sie unter der Leitung einiger erfahrenen Lehrkräfte. Diesmal aber hatten sich die jungen Damen ausgebeten, einmal mehr selbständig zu arbeiten, und die Folgen zeigten sich nun. Die Hälfte der Mitwirkenden kauerte in einem Winkel der Bühne, von allen Schauern des Lampenfiebers gerüttelt, und mit den Bühnenrequisiten sah es sehr übel aus. „Wir wissen nicht einmal, wie wir den Donner machen sollen, auf den Blitz haben wir schon verzichtet,“ klagte Thusy, die noch am meisten den Kopf oben behielt, mit bekümmerter Miene. „Tony Fink hatte ganz sicher behauptet, man könnte es mit einer großen silbernen Schale, wenn man sie an einer Kordel aufhinge und mit einem Pantoffelabsatz daran schlüge. Aber nun klingt es gar nicht wie Donner, hören Sie nur, Herr Professor!“ Und das war sehr schlimm, denn der Donner spielte in dem aufzuführenden Stück eine bedeutende Rolle. Es war das litterarische Vermächtnis eines Amtsvorgängers des Professors an die Schule, die Geschichte von dem edlen Königssohn und der wunderschönen Hirtentochter, die nach unzähligen Verfolgungen seitens der bösen Zauberin Nocturna endlich doch durch den mächtigen Schutz der Elfenkönigin Titania und ihres treuen Oberelfen Puck zusammengeführt werden. Das Schauspiel war eitel Poesie, übergossen mit sanftem Mondenschein und gestickt mit blauen Veilchen, und natürlich donnerte und blitzte es jedesmal, wenn Dame Nocturua oder Titania erschien.

Nun, mit dem Professor trat ein rettender Geist in das Durcheinander der kleinen Bühne, die in einem Nebenzimmer des großen Saales im ersten Stocke aufgeschlagen war, so daß die geöffnete Flügelthür als Rahmen der Scene diente. Mit Hilfe Thusys, die in dem Allerheiligsten der Garderobe – einem Seitenalkoven – das Kommando übernahm, brachte er Schick in die Erscheinungen und dann in das Spiel, und als er versprach, während der Aufführung selbst hinter den Coulissen als Regisseur, Wolkenschieber und Souffleur mitzuwirken, gewannen auch die Verzagtesten Mut, und der Vorhang teilte sich nur wenige Minuten nach der festgesetzten Stunde.

Unheilbarer Verwirrung schien nur der Königssohn Theoderich, im bürgerlichen Leben Paula Meyer genannt, anheimgefallen zu sein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_643.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)