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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Geistesthätigkeit, und zwar jedes in verschiedener Art. Der Kaffee soll mehr die Phantasie, der Thee mehr den Verstand beeinflussen. „Der Kaffee macht feurige Araber, der Thee ceremonielle Chinesen,“ kennzeichnet Jean Paul dies Verhältnis. Die Wissenschaft bestätigt die verschiedene Wirkung der beiden Genußmittel, aber sie ist bis jetzt nicht in der Lage, sie genauer zu beschreiben und zu bestimmen, nur so viel weiß man sicher, daß jene eigenartige Wirkung der beiden Getränke neben dem Koffeïn flüchtigen Oelen zukommt, die sowohl im Thee, wie im Kaffee enthalten sind. Diese aromatischen Stoffe werden wohl von der Pflanze während ihres Lebens vorgebildet, aber erst durch den Röstungs- und Gährungsprozeß, den die Kaffeebohnen und die Theeblätter vor dem Gebrauch durchmachen, ihrer ursprünglichen Schärfe beraubt und in angenehm erregende Mittel verwandelt. Daraus erfahren wir, daß der Wert des Thees nicht allein von der Beschaffenheit des Strauches, sondern auch von der Behandlung der Blätterernte abhängt.

Theelager eines russischen Kaufmanns in der Mongolei.

In dieser Hinsicht sind nun die Chinesen bis auf den heutigen Tag Meister geblieben; selbst die Japaner, die schon im 8. Jahrhundert n. Chr. den Theestrauch aus China einführten, verstehen nicht, so edle Theesorten zu erzeugen. Die Söhne des Reiches der Mitte wissen durch Kultur des Strauches und durch die Art der Röstung den Gehalt an Theïn in den Theeblättern zu vermindern und deren Aroma zu erhöhen, und das ist sicher ein Vorteil, da das Theïn, in größeren Mengen genossen, schließlich wie ein Gift zerrüttend auf den Körper wirkt. Wer guten Thee gewinnen will, der muß noch heute bei den Chinesen in die Schule gehen.

Der chinesische Schmutz ist sprichwörtlich, allein bei der Bereitung der erste Theesorten geht es in China äußerst reinlich zu. Der Theestrauch wird drei bis viermal im Jahre abgeerntet. Die besten Blätter liefert die erste Ernte im Frühjahr. Just wenn die jungen Blätter sich aufwickeln wollen, müssen sie gepflückt werden, und zwar mit der peinlichsten Sorgfalt. Heinrich Semler erzählt in seiner „Tropischen Agrikultur“, die Sorge um die jungen Blätter gehe so weit, daß den von Jugend auf für diese Beschäftigung geschulten Arbeiterinnen verboten werde, Fische oder andere starkriechende Speisen zu genießen, damit ihr Atem nicht das Aroma der Blätter verderbe. Sie müssen auch täglich mindestens ein Bad nehmen und dürfen die Blätter nicht mit den nackten Händen pflücken, sondern müssen Handschuhe tragen. Ein Körbchen hängt ihnen an einer Schnur um den Hals, damit beide Hände frei bleiben, und sie vollziehen das Pflücken in der Weise, daß sie mit der Linken einen Zweig zu sich heran ziehen und mit der Rechten die Blätter am Stiel abbrechen; der letztere muß bei dieser wertvollsten Ernte, aus welcher die Theesorten feinster Güte bereitet werden, vollständig zurückbleiben. Die Indierin ist in der Art des Pflückens ganz dem chinesischen Brauche gefolgt, wie unser Bildchen auf Seite 656 veranschaulicht.

Die nachfolgenden Ernten werden nicht mehr so hochgeschätzt und bei ihnen wird das Pflücken allerdings sorgloser und oft sogar in roher Weise betrieben.

Aus einem und demselben Blatte kann man je nach Belieben grünen oder schwarzen Thee machen. Unsere Pflanzensammler wissen wohl, daß die Blätter verschiedener Pflanzen, z. B. der Orchideen, unvermeidlich schwarz werden, wenn man sie kurzer Hand trocknet, daß sie aber ihre grüne Farbe behalten, wenn man sie der Einwirkung heißer Dämpfe aussetzt, bevor man sie zwischen die Löschblätter legt. Ebenso ist es beim Thee. Dämpft man die frischgepflückten Blätter, bevor sie geröstet werden, so liefern sie den grünen Thee. Diejenigen Blätter aber, welche zur Bereitung des schwarzen Thees bestimmt sind, werden zunächst an der Luft getrocknet, bis sie welk werden. Dabei geht die erste chemische Umwandlung des Blattinhalts vor sich. Das Gras auf unseren Wiesen duftet nicht, mähen wir es ab und lassen es trocknen, so beginnt der Heugeruch auszuströmen; es giebt eine große Zahl von Pflanzen, die erst beim Welken Wohlgerüche erzeugen, und auch die Theeblätter werden im Welken aromatisch. Hat der Duft einen bestimmten Grad erreicht, dann sind die Blätter zum Rösten reif, welches in Pfannen aus sehr dünnem Eisen über Holzkohlenfeuern geschieht. Die gerösteten Blätter, die noch eine Menge Saft enthalten, werden alsdann auf Tischen gerollt und diese beiden Verfahren je nach Bedarf zwei- bis fünfmal wiederholt. Sind die Blätter so spröde geworden, daß sie durch einen leichten Druck zwische den Fingern zerbrechen, so gelten sie als fertig für die Verpackung.

Die gedämpften Blätter des grünen Thees werden nicht getrocknet, sondern sofort geröstet und gerollt, aber in rascherer Reihenfolge, als dies bei dem schwarzen Thee der Fall ist. Die Folge davon ist, daß der grüne Thee mehr Theïn enthält, daß seine erregenden Bestandteile durch die Gährung und Röstung nicht besonders gemildert werden, weshalb er die Nerven mehr reizt als der schwarze.

Die Verarbeitung der Theeblätter ist eine Kunst, die man nur durch Erfahrung und Uebung lernen kann; jede Aenderung in der Reihe der verschiedenen Prozesse ist auf die Beschaffenheit des Thees von Einfluß, und so entstehen je nach der Art der Blätter, der Erntezeit, der Dauer des Welkens und der Häufigkeit des Röstens verschiedene Theesorten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_657.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)