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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Blaumeisen im Bade.
Nach einem Gemälde von Marie Laux.

ihres Haushofmeisters, ein Herr von Préfontaine, besaß ein festes Schloß in der Normandie, und der Haushofmeister erbot sich, den Knaben dorthin zu schaffen. Die Herzogin hielt den Vater des Haushofmeisters für ebenso zuverlässig wie diesen selbst und nahm das Anerbieten an.

So wurde Tankred nach der Normandie gebracht und dem Herrn von Préfontaine zur Ueberwachung anvertraut. Der Herzog, mit dem die Herzogin nur unter großen Schwierigkeiten Briefe und Botschaften austauschen konnte, erklärte sich mit dieser Maßregel durchaus einverstanden.

Zu ihrer damals einundzwanzigjährigen Tochter Margarete sprach die Herzogin von der Uebersiedlung geflissentlich nicht; nach einiger Zeit erst erfuhr die Tochter davon durch eine plauderhafte Dienerin. Seit Jahren schon war Tankreds zwischen Mutter und Tochter nicht mehr Erwähnung gethan worden. Die Mutter glaubte das Geheimnis am besten gewahrt, wenn es nicht unnötigerweise erörtert wurde, die Tochter machte sich aus dem Bruder, den sie einmal in ihrem Leben gesehen hatte und der ihr also völlig entfremdet war, nicht eben viel und meinte sich etwas zu vergeben, wenn sie mehr erfragen sollte, als man ihr freiwillig mitteilte. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war, seitdem die letztere das heiratsfähige Alter erreicht hatte, überhaupt kein sehr gutes mehr. Die Herzogin wollte in der Geselligkeit noch eine Rolle spielen, die der Tochter schon etwas unzeitgemäß erschien und die Ansprüche, welche die Tochter an das Leben stellte, gingen ins Ungemessene. Hier war der Boden auf dem die Verheimlichung Tankreds schlimme Früchte zeitigen sollte.

Wuchs Tankred als der von seinen Eltern anerkannte Sproß des Hauses Rohan auf, so würde, das wußte jedermann, das ungeheure Erbe der Familie und auch die gleichfalls beträchtliche Mitgift der Mutter ihm dereinst zufallen, während für seine Schwester Margarete nur der verhältnismäßig geringe Vermögensanteil verblieb, der in den großen Familien nach altem Brauch den Brüdern und Schwestern des Haupterben ausgesetzt zu werden pflegte. Jetzt hatte man von dem Dasein eines männlichen Erben keine Kenntnis; das Fräulein Margarete von Rohan galt als die alleinige Erbin ihrer reichen Eltern und somit als die reichste „Partie“ in Frankreich. Eine Schar von armen oder überschuldeten, verwegenen, jedem Wink der jungen Dame unbedingt dienstbaren Kavalieren drängte sich um sie. Eitel und hochfahrend, wie sie war, verspottete sie das Liebeswerben dieser Leute; sie sagte ganz offen, sie werde, wenn sie sich einmal zu einer Ehe erschließe, nur einen König oder einen Fürsten heiraten. Aber es gefiel ihr, daß jene sich zum Spielball ihrer Launen hergaben. Wie angenehm war es doch, für reich zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_677.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)