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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

diese Faust wird Dir kein Haar krümmen! Afra, Du siehst doch, wie die Verzweiflung mir die Nerven zerwühlt! Sprich ein vernünftiges Wort, eine Silbe nur, die mir Hoffnung giebt . . .“

Afra hatte sich wieder gefaßt. „Was soll ich Dir sagen?“ murmelte sie, beinahe von Mitleid ergriffen. „Ich bin doch für mein Herz nicht verantwortlich. Siehst Du, Geticus, wenn Du den Ninus kenntest, wie ich ihn kenne …“

„Schweig’! Nenne mir diesen verruchten Namen nicht! Ich Narr, daß ich nochmals in diesen kläglichen Ton zurückfiel! Ich konnte es vorher wissen, daß ich in Güte hier nichts zu erwarten habe! Aber ich will nicht – hörst Du, ich will nicht, daß er Dich je besitzt, und da nur der eine Weg mir noch übrig ist, so beschreite ich ihn! Schau’ Dir die Klinge hier an! Syrischer Hartstahl! Sie zerschneidet ein Gitter! Wohl denn, Afra: mit dieser Klinge durchbohr’ ich die Brust des Lucius Menenius, wenn Du mir nicht sofort als mein ewiges Eigentum in die Arme sinkst. Starr’ Du nur wie betäubt! Ich halte Dir Wort! Und was diese That Dir besagt, Dir und dem heuchlerischen Barbaren, das weißt Du!“

„O Du Erbärmlicher!“ stöhnte das Mädchen, die Hand vor die Augen pressend. „So also meinst Du mich um mein Glück zu betrügen? Und Du redest Dir ein, ich würde aus Furcht nun die Deine werden, nachdem Du dies ruchlose bübische Wort gesprochen? Siehst Du, wenn mich in dieser Minute der Mann, den ich anbete, treulos im Stich ließe und ich stünde allein und verwaist und hätte kein lebendes Wesen, das meiner sich annähme. ich stürzte mich lieber zwischen die Bestien des Amphitheaters, als daß ich mit Dir, dem Verworfenen, alle Genüsse der Welt teilte! Wahrlich, fein und überachlau hast Du das ausgeklügelt! Kein Missethäter, seitdem die Erde steht, hat es Dir gleichgethan …“

„Rede nicht, sondern entscheide Dich! Du kennst das Gesetz. Du weißt, daß es hier kein Erbarmen giebt. Sämtliche Sklaven, die sich zur Zeit der Ermordung im Hause befinden, fallen dem Henker anheim! Dein angebeteter Ninus wird ebenso zuverlässig dahingeschlachtet wie Du und die abgeschmackte Coronis, die ihn so herrlich und hehr findet! Alle, alle sterben den qualvollen Tod gemeinschaftlich mit dem Thäter! Nur ich selbst komme dem Henker zuvor, denn mit der nämlichen Klinge, die den Mord vollführt, bring’ ich dies pochende Herz für ewig zur Ruhe! Schmerzlos und rasch werd’ ich hinabsinken, während Ihr übrigen … Afra, denk’ an die Folter! Denk’ an den himmelschreienden Jammer so vieler Schuldlosen!“

„Ich denke daran und verfluche Dich!“

Sie war auf ihn zugesprungen. Eh’ er sich dessen versah, hatte sie ihm das Handgelenk fest umklammert. Mit übermenschlicher Anstrengung suchte sie ihm den Dolch zu entwinden, während sie laut und verzweifelt um Hilfe rief.

„Närrin!“ ächzte der Sklave, der sich ersflglos mühte, seine Hand zu befreien. „Das also ist Deine Antwort! Nun, Du hast es gewollt!“

„Was geht hier vor?“ klang eine ernste Stimme vom Hause her.

Es war Lucius Menenius, der, seine Wachstafel zwischen den Fingern, höchst erstaunt in den Park trat.

„Hüte Dich, Herr!“ schrie Afra, deren Kraft zu erlahmen begann. „Geticus droht Dir mit Mord!“

Eh’ noch Menenius Zeit hatte, über den Sinn des befremdlichen Ringkampfes und die Berechtigung dieses Warnrufs klar zu werden, hatte sich Geticus losgerissen. Mit einem kräftigen Stoß vor die Brust warf er das junge Mädchen zurück, daß sie taumelte.

„Du hast es gewollt!“ knirschte er wie ein Rasender.

Im nächste Augenblick hatte er sich mit voller Gewalt auf den Hausherrn geworfen und ihm den haarscharfen Dolch bis ans Heft in die Brust gebohrt. Gleichzeitig aber war ihm der eiserne Griffel des Ueberfallenen, der sich zur Wehr gesetzt, zolltief in die linke Schläfe gedrungen.

Wie vom Donner gerührt, stürzte Getikus über den Haufen, die syrische Waffe in der Brust des Menenius zurücklassend.

Ein paar Schritte noch wankte Menenius in der Richtung einer moosüberkleideten Bank. Er besaß noch die Kraft, sich würdevoll in die Toga zu hüllen, die ihm bei dem bestialischen Angriff des Geticus von der Schulter gesunken war. Dann glitt er leise und langsam auf den geschorenen Rasen.

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüten.

Für die darbenden Weber im Glatzer Gebirg, die droben im „böhmischen Winkel“ von Preußisch-Schlesien in Elend und Not dahinsiechen, weil ihre Handweberei schon lange nicht mehr der wirtschaftlichen Uebermacht des Maschinenbetriebs Stand halten kann, hat vor dreieinhalb Jahren die „Gartenlaube“ einen Hilferuf erlassen, der im Kreise unserer Leser die wärmste Aufnahme fand. Durch einen Vertrauensmann, der zur Feststellung des Thatbestands eigens für uns die Gegend bereiste, erhielten wir bestätigt, mit wie großer Berechtigung Herr Pfarrer Klein in Reinerz die öffentliche Aufmerksamkeit auf den damaligen akuten Notstand gelenkt hatte, für dessen Linderung wir so erfolgreich die Mildherzigkeit unserer Leser in Anspruch nehmen durften.

Die Untersuchung der in den Weberdörfern der Grafschaft Glatz herrschenden Zustände ergab aber auch, daß dem akuten ein chronischer Notstand zu Grunde lag, daß die Privatwohlthätigkeit keine Besserung von Dauer herbeiführen könne, ohne organische Reformen, zu deren Durchführung die Hilfe des Staates nötig sei. Den Wünschen und Forderungen, wie sie von ortskundiger, sachverständiger und dabei uninteressierter Seite in der Gegend selbst zum Ausdruck gelangten, haben wir daher schon damals (in Nr. 10 und 16 des Jahrganges 1891) unsere Teilnahme zugewandt und neben den an die Privatwohlthätigkeit gerichteten Hilferuf die Forderung der Staatshilfe gestellt.

Jetzt wird nun wieder die öffentliche Aufmerksamkeit auf die stillen Thäler zwischen Mense- und Eulengebirge gelenkt, durch Nachrichten, die sich mit der dort herrschenden Webernot beschäftigen. Und diesmal sind es glücklicherweise solche, die uns bestätigen, daß die so dringend erforderliche Staatshilfe sich wirklich an der Arbeit befindet und der preußische Handelsminister, Freiherr von Berlepsch, sich neuerdings persönlich an Ort und Stelle begeben hat, um mit eigenen Augen die Verhältnisse zu prüfen. Freilich, die seit jenem Hilferuf verstrichene Zeit von dreieinhalb Jahren ist eine lange Frist, aber aus der Rede, welche der Minister nach Beendigung seiner Inspektionsreise auf einer von ihm in Reichenbach zusammenberufenen Konferenz von Beamten und Industriellen gehalten hat, geht wenigstens hervor, daß in dieser langen Zwischenzeit die Regierung doch nicht müssig gewesen ist. Und zu unserer Genugthuung sehen wir, daß die seiner Zeit in der „Gartenlaube“ in Vorschlag gebrachten Maßregeln, wenn auch nur zum Teil, in Ausführung begriffen sind, so die Verbesserung und rationelle Ergänzung der Handwebestühle, die Auszahlung von Prämien für diejenigen Söhne der darbenden Familien, welche einen anderen Beruf ergreifen, die Ueberweisung von Staatsaufträgen an solche Unternehmer, welche Handweber beschäftigen, und die Einführung lohnender Industriezweige in die landwirtschaftlich unergiebige Gegend.

Aber wenn man dem ausführlichen Berichte der „Schlesischen Zeitung“ über diese Konferenz entnimmt, mit welcher Langsamkeit bisher die Auf- und Verbesserung der Handwebestühle in den Hütten der Darbenden durchgeführt worden ist, so daß von 11369 Familien, die damit unbedingt zu bedenken sind, erst 1472 diese Hilfe empfingen, wenn man weiter liest, daß dabei das für eine Beschleunigung nötige Geld bis zu einer gewissen Grenze zur Verfügung war, so steht man vor einer Unbegreiflichkeit. Es ist dringendst zu wünschen, daß die vom Minister für die völlige Durchführung dieses Hilfewerks als erforderlich bezeichnete Summe von 97000 Mark umgehends aus Staatsmitteln flüssig gemacht wird und schleunigst zur Verwendung gelangt. Und in gleicher Weise müssen wir aufs lebhafteste befürworten, daß endlich auch die von allen uninteressierten Sachverständigen der Gegend für so dringend nötig erklärte Webschule errichtet werde, auf daß ein neues Webergeschlecht unabhängig von seiner Verwendung in den Fabriken die einkömmlicheren Betriebsweisen seines Handwerks erlerne. Der Minister erklärte ja selbst in jener Konferenz, daß auch er seinerseits die Errichtung einer solchen Webeschule für höchst wünschenswert halte. Auch sind zur Durchführung des Projektes von der Regierung Verhandlungen mit der Stadt Reichenbach gepflogen worden, welche zur unentgeltlichen Hergabe eines Bauplatzes und einer einmaligen Zahlung von 75000 Mark bereit ist. Nur an der Zögerung der Regierung, den von ihr dagegen geforderten weit geringeren Zuschuß zu übernehmen, liegt es, daß die Frage der Ausführung noch immer eine offene ist. Ganz ebenso ist der Ausbau der Zweigbahn Glatz-Reinerz bis zur österreichischen Grenze, obgleich seit 15 Jahren bereits im Prinzipe genehmigt, bis zur Stunde an der Kostenfrage gescheitert. Und doch – hier handelt es sich eingestandenermaßen um rund 12000 Familien notleidender preußischer Staatsbürger, die trotz Arbeitsamkeit und nüchternster Lebensführung unverschuldet ein Dasein in Elend verbringen, das nach Abhilfe schreit; darf da, wenn es zu helfen gilt und man die Notwendigkeit dazu auch eingesehen hat, in solcher Weise gespart und gezögert werden?!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_723.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)