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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auch von seiten des Nürnberger Rats der Beachtung gewürdigt, aber freilich nur in Form einer Maßregelung. Als er 1527 wieder eine poetische Streitschrift zu gunsten des Luthertums hatte ausgehen lassen, ließen ihm die „Ehrbaren“, weil sie fürchteten, daß das aufgeregte Volk noch mehr verbittert werden könnte, bedeuten, daß das Versemachen seines Amtes nicht sei, und befahlen ihm ernstlich, seines Handwerkes und Schuhmachens zu warten und solche Büchlein oder Reime künftig nicht ausgehen zu lassen. Die Mahnung „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ mag Hans Sachs tief verstimmt haben; er ließ sich aber nicht einschüchtern. In den Dichtungen der folgenden Jahre erging er sich vielfältig in Klagen über die Tyrannei der Obrigkeiten, welche die Einführung der reinen Lehre zu verhindern suchten, und es dauerte nicht lange, so ließ er weitere Flugschriften und Blätter im Geiste der evangelischen Lehre in die Lande gehen; meist Gedichte zu drastischen Holzschnitten, die auch für die nicht des Lesens Kundigen eine sehr beredte Sprache führten. Inzwischen war auch Nürnberg offiziell zum Protestantismus übergetreten. Besondere Beliebtheit gewannen die Einblattdrucke, große Bogen festen Papiers, die nur auf einer Seite mit Bild und Gedicht bedruckt wurden und bestimmt waren, im Hause des Bauern und Handwerkers als Zimmerschmuck verwandt zu werden. Viele dieser Einblattdrucke trugen als Unterschrift nur die drei Buchstaben H. S. S., was so viel hieß wie „Hans Sachs Schuhmacher“; auch dafür ist unsere verkleinerte Abbildung auf S. 737 mit dem weltlichen Text eine Probe.

In allen seinen Streitschriften wie in seinen Werken überhaupt, hat Sachs immer den richtigen, das Volk packenden Ton getroffen; er hat sich dabei von aller Gehässigkeit frei gehalten, sich ruhig und mild erzeigt und sich trotz seiner große Schlagfertigkeit durch besonnenes Maßhalten ausgezeichnet. An derben Worten, von denen uns manches unpassend erscheint, fehlt es auch bei ihm nicht; aber diese waren durch das Wesen der Zeit bedingt, die keinen Glacéchandschuh kannte und ungeniert das Kind beim richtigen Namen nannte. Von Gemeinheiten und Unflätigkeiten, wie sie in den Schwänken seiner Vorgänger und Rivalen mit unterliefen, von der Freude daran, hat sich Hans Sachs immer frei gehalten.

Mit der innigen Religiosität vereinigen sich bei Hans Sachs die sittlichen Grundsätze zu einem schönen Bunde. Wie in Beziehung auf Luther, so ward er auch im übrigen ein getreuer Eckhart der deutschen Nation, die er zu allen Tugenden aneiferte, vor Lastern warnte. In keiner seiner Dichtungen fehlt die Nutzanwendung, die treuherzige, oft etwas hausbackene, aber durch und durch gesunde Moral, immer und überall giebt er gute Lehren, ist er bestrebt, den „gemeinen Mann“, dessen große Unwissenheit er tief bedauert, auf den richtigen Weg zu leiten, belehrend, bildend und veredelnd zu wirken. Er preist in warmen Tönen die eheliche Liebe und warnt vor „abenteuernder“, die er ein „verfluchtes Kraut“ nennt. Er fordert zur Freundschaft, Nächstenliebe, Versöhnlichkeit und Friedfertigkeit, zur Gewissenhaftigkeit, Ehrbarkeit, zur Mäßigkeit und Sparsamkeit auf, preist das Glück der Zufriedenheit und ist überhaupt unerschöpflich an guten, die höchsten Tugenden preisenden Lehren. Anderseits beklagt er, daß die Wahrheit verschwunden, die Lüge sich allerwärts breit mache, Frau Treue gestorben sei. Er geißelt Neid und Verleumdung, Falschheit und Treulosigkeit, Zweizüngigkeit, lügnerische Prahlerei und Selbstüberschätzung, Völlerei und Prasserei. Ganz besonders verhaßt ist ihm Müssiggang und Faulheit. Der Satz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" ist ihm, dem rastlos thätigen Manne, in Fleisch und Blut übergegangen, faule Menschen sind ihm ein Greuel.

Mit aufrichtiger Liebe hing er an seiner Vaterstadt, der er ein großes „Lobgedicht“ widmete, in dem auch ihre „sinnreichen Handwerker“ gepriesen sind –

„Dergleich man find in keinen Reichen
Die ihrer Arbeit thun geleichen,
Als da man köstlich Werk gezeiget.
Wer dann zu Künsten ist geneiget
Der find allda den rechten Kern!“

Sein Herz gehörte seinem Vaterlande. Mit Schmerz empfand er die Uneinigkeit und den Mangel an Gemeinsinn im Deutschen Reiche. Eindringlich fordert er zur Einigkeit auf und ruft den Fürsten zu:

„Derhalb wacht auf, ihr deutschen Fürsten!
Laßt euch nach Treu und Ehren dürsten
Und streit mit ritterlicher Hand
Für euer aigen Vaterland!

Einmütiglich halt ob einander
Eh euch der Tyrann nach einander
Durch seinen Gewalt thu ausreuten
Das ganz deutsch Land einnehm und erb
All euer armes Volk verderb.“

Er fordert die Fürsten (1562) auf, sich die Opferwilligkeit jenes Römers, der sich, um sein Vaterland zu retten, in einen Erdschlund gestürzt, zum Beispiel zu nehmen:

„Wollt Gott, daß alle deutschen Fürsten
Auch so herzentreulich wären dürsten
Zu thun so treulichen Beistand
Auch ihrem lieben Vaterland;
Beide mit Ehren und mit Gut,
Mit Leib und Leben bis aufs Blut.“

Er sehnt einen Hercules herbei,

„Der sich seines Vaterlands annehm
Und säubert alle Straßen frei
. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0. 0.
Ein solcher Held wär Ehren wert.“

Die „Unterthanen“ aber fordert er auf, die Obrigkeiten „weils Schutz und Wohlfahrt von ihn (ihnen) han“, zu ehren, Aufruhr und Empörung zu meiden und dem „gemeinen Wesen“ Nutzen zu bringen.

Trotz aller seiner Moralpredigten ward Sachs kein Kopfhänger. Seine frische Lebensauffassung, der eine tüchtige Portion Mutterwitz zur Verfügung stand, sein heiteres Gemüt, das Freude an einem Scherze hatte und sich gern harmloser Fröhlichkeit hingab, blieben ihm treu bis ins Alter. Nicht die schlechtesten seiner Gedichte sollten erheiternd, andere tröstend und erhebend wirken. Wie bei den religiösen Streitgedichten war es auch bei den übrigen sein Bestreben, niemand zu kränken; er dichtete

„Niemand zu Leid oder Undank
Sondern zu einem fröhlichen Schwank.“

Das letzte Wohnhaus des Dichters.

Das war im besonderen auch sein Wahlspruch als Dichter der Fastnachtsschwänke, deren naive knorrige Form er vorfand, aber aufnahm, um sie mit dramatischem Leben zu füllen, durch einen guten sittlichen Kern zu veredeln. Wenn wir uns den Charakter des Singschulwesens der Meistersinger, dessen ehrbaren Ernst, vergegenwärtigen, so erscheint es befremdlich, daß dieselben Männer auch die Aufführung dieser Scherzspiele als Angelegenheit ihres Verbandes betrieben. Aber wie sie auch in der übrigen Zeit neben der „Schule“ die „Zech“ abhielten, d. h. Kneipabende, die zwar nach einem festen Ceremoniell verliefen, aber doch auch dem geselligen weltlichen Lied und fröhlicher Unterhaltung geweiht waren, so ward von ihnen das Narrenrecht und die Narrenfreiheit, welche die Fastnacht als kurze Unterbrechung des ehrbaren Lebens unter Zunftzwang und Zunftwürde gewährte, als eine Verpflichtung empfunden, in möglichst sinnreicher, aber auch echt volkstümlicher Weise ihren Mitbürgern Proben ihrer Verskunst zu bieten. Hans Sachs war als gereifter Mann lange Jahre hindurch nicht nur der Hauptdichter, sondern auch Mitspielender, vor allem aber der Direktor dieser theatralischen Veranstaltungen in Nürnberg. Die Bühne für diese war von einfachster Art, oft nur eine Estrade in einem größeren Gasthofszimmer; bei Aufführungen im Freien ein erhöhtes Podium (die Brücke) mit einem Verschlag für etwa notwendigen Kostümwechsel. Außer dem Predigerkloster und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_735.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)