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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ist einem beständigen Wechsel unterworfen. Während in den ersten dreißig Jahren des Bestehens dieser Industrie die Weide als ausschließlicher Rohstoff benutzt wurde, traten später Palmblätter und Espartogras – eine flachsartige Rohrart aus Spanien – hinzu. Dann kamen aus Frankreich die lackierten Rohre und im Anfang der siebziger Jahre chinesische und schwarzwälder Strohgeflechte.

Zusammenstellen der Teile. 0 Arbeit nach der Zeichnung.

In dieser Zeit paßten sich die Modelle mehr dem „leichten“ französischen Geschmack an. Vom Jahre 1886 an suchte man besonders eifrig nach neuen Rohmaterialien. Die grüne Teichbinse bot hierzu den Anlaß, denn als man sah, daß dieser so lange Jahre unbeachtete Pflanzenstengel sich so herrlich zum Korbflechten eignete, versuchte man aus allem Möglichen Körbe herzustellen. Litzen aus Barmen und der Schweiz traten hinzu, Atlasbänder und Raffiabast, der auch jetzt noch gebraucht wird, Kokosnüss, Muscheln, Kürbisse, Palmenwedel, Maisblätter, Bambusstäbe, Korkrinde und Celluloid, alles wurde herangezogen, den unendlichen Trieb nach Neuem zu befriedigen.

Um die Herstellung der Korbwaren betrachten zu können, treten wir ein in die ausgedehnten Arbeitsräume einer großen Fabrik in Koburg, die zur Zeit fünfhundert Arbeiter und Arbeiterinnen teils in Heimarbeit, teils in eigenen Werkstätten beschäftigt. Zuerst wenden wir uns der Gruppe zu, die mit der Hauptarbeit, dem Biegen der Rohre, beschäftigt ist. Im Mittelfelde des Bildes S. 749 unten biegt ein Arbeiter einen Bambusstab über Gasfeuer, während ein anderer schon vorher gebranntes Rohr (sogenanntes Peddigrohr) von einer Walze, auf welche es genagelt war, ablöst, um es nun in einzelne Ringe zu zerschneiden. Durch das Brennen verliert nämlich das Rohr seine frühere Elasticität und verharrt in der ihm durch das Aufwalzen gegebenen Form. Links im Hintergrunde wird schon schwierigere Biege- und Brennarbeit ausgeführt. Der dort sitzede Arbeiter verfertigt Schnecken, wie sie an allen möglichen Gegenständen zur Verwendung kommen. Ist das Rohr gebrannt, wird es zu Gestellen oder Gerippen zusammeugefügt. Diese Arbeit erfordert größere Kraft und wird immer von Männern ausgeführt. Dann werden die Gestelle von Arbeiterinnen mit bandartig geflochtenen Streifen aus Palmblatt, Stroh oder anderen Materialien durchzogen. Auf der rechten Seite unseres Hauptbildes S. 745 hängen ganz dünne, bastartige Palmblätter herab, die zur Ausfüllung von Gestellen zu Blumengefäßen, Nähständern etc. verarbeitet werden.

Nachdem die einzelnen Stücke von den Arbeiterinnen fertig ausgeflochten sind, kommen sie in die Hände geschickter Leute, denen die Zusammenstellung der einzelnen Teile obliegt. So ist z. B auf dem obenstehenden Bilde ein Arbeiter eben damit beschäftigt, ein mächtiges Füllhorn an dem dafür bestimmten Gestelle zu befestigen.

In der Koburger Korbwaren-Industrie wird fast nur aus freier Hand, also nicht über Formen, gearbeitet. Die ersten Muster werden von besonders gewandten Arbeitern nach Abbildungen angefertigt, die ihre Entstehung dem findigen Kopfe eines eigens dazu angestellten Zeichners verdanken. Im Hintergrunde des eben angeführten Bildes sehen wir, wie der Zeichner einem jugendlichen Arbeiter das neueste Muster an der Hand der Zeichnung erklärt. Selbstverständlich ist es für jede Fabrik von größter Wichtigkeit, einen talentvollen und erfinderischen Zeichner zu besitzen, denn immer größere Bedeutung gewinnt die künstlerische Durchdringung des Gewerbes und mehr und mehr wird das Streben sichtbar, bei jedem einzelnen Gegenstande die schöne und vornehme Form hervortreten zu lassen. So dürfen wir erwarten, daß die Korbwarenflechterei in Zukunft einen hervorragenden Platz in dem aufblühenden deutschen Kunstgewerbe behaupten wird.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_750.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)