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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Wo ist Deine gottgesegnete Frechheit geblieben, meine Kleine?“ fragte sie weich. „Siehst aus wie ein gezähmtes Rehchen; ist das die Wirkung der Klausur da droben?“ Und dann begann sie zu fragen und zu erzählen, und da hörte ich denn dies und das.

„Brankwitzens werden also erwartet; Dein Stiefvater giebt einen Ball, ein Kostümfest; die Einladungen werden schon ausgesandt. Du mußt Deiner Mutter ein wenig helfen, Anneliese; Du mußt überhaupt sorgen, daß sie mit mehr Mut ins Leben sieht.“

„Ja, Tante.“

„Seit wann bist Du denn so fügsam, daß Du gleich Ja und Amen sagst?“ fragte sie erstaunt. „Früher hättest Du entschieden dagegen gesprochen! Hoffentlich bist Du es nicht auch in dem bewußten Punkt, oder haben sie Dich gezähmt da droben?“

„O nein, Tante.“

„Na, dann ist’s gut. Und weil Du jetzt gewissermaßen verständig geworden bist, will ich Dir ’mal etwas erzählen. – Wissen Sie nicht, Base,“ unterbrach sie sich, „ob der Brankwitz einen Bruder hat oder ob’s außerdem noch Brankwitzeus giebt in Berlin?“

„Hat keinen Bruder, Komtesse,“ murmelte die Base, „ist das einzige Exemplar. Hat auch, so viel ich weiß, außer seiner Schwester überhaupt keine Verwandten.“

Dann legte sie den Löffel über die geleerte Tasse, ein Zeichen, daß ihre Mahlzeit beendet sei, faltete die knöchernen Hände zum stillen Dankgebet, nahm das Geschirr zusammen und verließ mit einem altmodischen Knix die Stube.

„Eine von denen, die immer seltener werden,“ sagte die Komtesse, ihr nachblickend. „Na, nu hör’ aber! Du warst noch nicht lange fort, da klingelt es eines Morgens bei mir und gleich darauf stürzt die Josephine in mein Zimmer und kann vor Freude kaum Zipp! sagen. Hinter ihr drein, mit seinem bekannten gutmütigen Lachen kommt mein Neffe, was man so ‚Neffe‘ nennt. Kennst ihn wohl noch; war damals als Fähnrich hier und ist mit Dir auf der Schützenwiese Karussell gefahren. Herr Gott, so’n langes Etwas vergißt man doch nicht! Du warst freilich ein kleines Hühnchen zu der Zeit. Na also, der ist jetzt schon Premier bei den Garde.Dragonern, ein Bild von einem Menschen. Hm! Ich wollte nur sagen, wie wir da beim Nachtisch sitzen und er einen Apfel kunstgerecht schält, das war schon immer seine Stärke, und wir hecheln die ganze Verwandtschaft ein Bissel durch, da fällst Du mir ein – bist ja auch ein Stück von meinem Herzen, Du gottlose kleine Range! ,Hör’ ’mal, Fritz,‘ sage ich – er heißt eigentlich Friedrich Dietrich und wird Fritz Dietz genannt – ‚kennst Du nicht zufällig einen Herrn von Brankwitz in Berlin? Ich weiß ja, Berlin ist groß, aber er muß doch in Sportskreisen verkehren, denn er kennt alle Kapazitäten und wirft nur so um sich mit Fachausdrücken.‘ Da wird sein rundes fideles Gesicht ganz lang, und über den Augen ziehen sich die Brauen zusammen und der Schnurrbart steht ganz wagerecht, wie bei meinem unvergeßlichen Teckel die Borsten auf dem Rücken, wenn er sich ärgerte – ,Brankwitz? Allerdings kenne ich den Kerl, ist ja der gemeinste Kravattenfabrikant in ganz Berlin!‘ ,Na, na,‘ sag’ ich, ,dann werden wir wohl nicht denselben meinen.‘ ,Ich weiß von keinem andern; ich wollt’, sie hätten ihm erst ’mal das Handwerk gelegt,‘ schimpft er. ,Ich mein’, dieser hat Geld wie Heu und will Damnitz kaufen und die Anneliese Sternberg heiraten.‘ ‚So?‘ macht er gedehnt, ,dann mag ’s ein anderer sein, sonst könnt’ sich diese Anneliese lieber gleich ersäufen!‘ Na, wir haben dann weiter nichts mehr davon geredet, es ist ja doch wohl nicht möglich, daß es der ist, den wir beide kennen. Aber manchmal, siehst Du, Kind, manchmal kriege ich beim Nachdenke über die Geschichte so’n schwüles Gefühl! Laß Dich um Gotteswillen nicht übertölpeln! Doch eines sag’ ich Dir trotz alledem, ich mische mich nicht mehr drein.“

„Sei ruhig, Tante, ich quäle Dich nicht wieder; übrigens glaube ich wie Du, das muß ein anderer sein.“

„Wird wohl so sein – aber man macht sich manchmal Gedanken. Gute Nacht, Kind! Wenn Du Zeit hast, besuch’ mich ’mal, wirst sie freilich schwerlich haben. Dein Stiefvater scheint Westenberg auf den Kopf stellen zu wollen, und ich wünsche nur, daß alle die Vorbereitungen nicht umsonst gemacht werden.“

Ich sah sie fragend an.

Das alte Gesicht der Komtesse lächelte unsagbar drollig. „Er hofft auf eine Dekoration; irgend einer, meinte der Landrat, habe ihn dazu vorgeschlagen. Na meinetwegen, ich gönn’ ihm den roten Adler–. oder den Kronenorden vierter Güte; er hat ihn verdient, schon um meine Weihnachtskinder. Gute Nacht, Kleine – jedes Tierchen hat sein Pläsierchen.“

Keine Ahnung von dem Sturm, der heranziehen wollte, bei allen diesen Leuten! Woher auch? – – – –

Am andern Morgen erschien Herr Wollmeyer in meiner Stube. Er zeigte sich sehr scherzhaft aufgelegt, fragte, wie es mir droben gefallen habe, richtete ein paar freundliche Worte an die Base – ob sie auch gern wiedergekommen sei, und es wäre ihm doch lieb, daß er wieder eine verständige Person im Hause wisse für die kommenden Zeiten, „und kurz und gut, wir wollen uns wieder vertragen Alte – was?“

Sie sah ihn mit geradezu unheimlichen Augen an, wie eine Sphinx, und etwas wie Furcht vor der einfachen Frau kam über mich.

„Was an mir liegt – aber ich halte das Steuer nicht in Händen,“ antwortete sie feierlich.

„Du alte Unke, das weiß ich auch, daß ein Höherer die Lenkung besorgt,“ lachte er. „Heraus mit der Sprache, was habt Ihr denn da oben den lieben langen Tag gemacht? Wenn es nach Brankwitz gegangen wäre, hätte ich Euch schon zu Weihnachten erlöst, aber Strafe muß sein, sagte ich zu Helene.“ Und wieder lachte er jovial.

„Es wär’ schade gewesen,“ erwiderte die Base ruhig, und ihrem kreidebleichen Gesicht sah man die mächtige innere Bewegung an, „’s wär’ schade gewesen, wir hatten so schöne Weihnachten.“

Der Ton fiel ihm auf, er sah sie stutzend an. „Na?

„Hab’ mein Lebtag nicht gedacht, daß ich die Freude noch erleben sollt’,“ fuhr sie fort und wischte mit zitternder Hand ein paar Krumen von dem Frühstückstisch, „wünschte nur, Hannchen hätt’s auch noch erlebt, daß der Robert wieder da ist.“

Er war aufgesprungen, jetzt genau so fahl wie die alte Frau.

„Der Robert?“ fragte er. „Ach – deshalb!“

„Robert Nordmann,“ nickte sie.

Er zuckte die Achseln und bemühte sich, einen geringschätzigen Ausdruck anzunehmen, obgleich aus seinen Augen noch der Schrecken über diese unerwartete Nachricht sprach. „Da wird man in die Tasche langen müssen,“ sagte er, „sollst wohl seine Fürbitterin sein – wie?“

„Hat mir nichts davon gesagt,“ antwortete sie, ohne eine Miene zu verziehen.

„Also an Weihnachten hattest Du diese Freude bereits?“ forschte er, und sein Schreck verwandelte sich in Zorn. „Wie kommt’s denn, daß ich diese angenehme Neuigkeit erst heute erfahre?“

„Ich wußte wirklich nicht, daß es eine Neuigkeit für Sie sei, Wollmeyer,“ gab sie unbeirrt zurück, „hab’ gemeint, der Befehl an uns, zurückzukommen, hänge mit der Anwesenheit Roberts zusammen.“

„Anwesenheit?“ Er ward blaurot vor Zorn. „Wie lange hat er sich denn dort umhergetrieben?“

„Weiß nicht. Wir sind vor ihm abgereist.“

„Und legt sich dort vor Anker in meinem Hause, ohne mir ein Wort zu gönnen?“ brauste er auf, entschieden froh, einen faßbaren Grund für seinen Zorn zu haben.

„Er hat im Gasthof gewohnt,“ unterbrach ihn die Base.

„So! Und hat herumgeschnüffelt und gehorcht und sich einen Ueberschlag gemacht, wie hoch die Summe sein kann, um die er mich angehen soll! Das kenn’ ich, sonst wär’ er ehrlichen geraden Weges zu mir gekommen.“

„Er hat nur Sehnsucht gehabt nach seiner Heimat,“ war die Antwort.

Ich saß lautlos auf meinem Stuhl und preßte die Hände gegeneinander, zitternd vor Erregung. „Sehnsucht nach der Heimat?“ wiederholte er. „Dazu hat er auch alle Ursache, damit nur ja das Andenken nicht erlischt, das sein Vater hinterlassen hat.“

Die alte Frau zuckte zusammen wie unter einem Peitschenschlag. „Sie wissen Wollmeyer,“ sprach sie langsam, „daß die Langenwalder sich für den alten Nordmann noch heute totschlagen ließen und die, deren Lehrer er war und die jetzt herangewachsen sind, erst recht. Das Andenken Nordmanns da droben ist gut – trotz allem.“

„Das Pack hält’s allemal mit solchen,“ antwortete er. „’s ist der Geist der Zeit, daß man gegen die anständigen Menschen Partei nimmt. Und nun ’mal heraus mit der Sprache – was will der Bengel in Deutschland?“

„Seiner Militärpflicht genügen.“

„Was? Wie?“ Er lachte auf. „Das sieht der Sippe ähnlich! Immer den Mantel der Gottesfurcht und der Vaterlandsliebe über das, was faul ist! Das wird ja den Langenwaldern rasend imponiert haben, wenn er da in Uniform einherstolziert ist. Ja

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_794.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2022)