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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Nun, ich dächte, den ironischen Ton, den Sie soeben anschlagen, könnten Sie weglassen; bis jetzt haben Sie weich und warm hier gesessen.“

Ich schwieg. Für Naturen wie die seine mußte es ja alles sein, wenn man zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopfe hatte, und alle diese Dinge möglichst luxuriös.

„Ja, das können Sie nun nicht ableugnen, nicht wahr? Und besonders, wenn Sie die Witwentage Ihrer Mutter in Betracht ziehen, ist’s doch am Ende nicht so übel unter Wollmeyers Schutz – wie?“

„Wovon sprachen wir doch, Herr Wollmeyer?“

„Weichen Sie mir nicht aus! Ich hoffe, Sie verstehen mich, wenn anders Sie der Ausbund von Klugheit sind, für den Ihre gute Mama Sie hält, und wenn Sie verstehen wollen.“

„Ich werde mir jedenfalls Mühe geben, denn Klarheit ist ja das einzige Mittel, um aus diesem Zwiespalt herauszukommen.“

„Nun also! Wenn Sie sich weigern, Frau von Brankwitz zu werden, so hat das die eingreifendsten pekuniären Verluste für mich im Gefolge und natürlich auch für Ihre Mutter und für Sie.“

„Ich verstehe das nicht, das ist gar nicht möglich!“

„Brankwitz trennt sich dann geschäftlich von mir. Ich kann Ihnen das nicht so auseinandersetzen mit ein paar Worten, aber ich – ich –“

„Weil ich ihn nicht heiraten will, trennt er sich von Ihnen, seinem väterlichen Freund?“

„Ja! Er würde es mir nie vergeben, daß meine Tochter ihn ausschlägt.“

„So! Hat er Ihnen das mitgeteilt?“

„Allerdings!“

„Mit welchem Rechte droht er Ihnen?“ fragte ich langsam und sah ihn groß an.

„Mit welchem Recht? Mit dem Recht des beleidigten zurückgesetzten Mannes, der Sie grenzenlos liebt. Liebende sind unberechenbar, sie sind zu allem fähig.“

Sie stoßen ihn doch nicht zurück!“

Er trat mit dem Fuße auf. „Kurz und bündig,“ rief er, „unsere guten Beziehungen gehen in die Brüche, denn er wird die Schuld mir zuschieben!“

„Verzeihen Sie – an einen so niedrig denkenden rachsüchtigen Menschen wollen Sie mich verhandeln, um Ihres Vorteils willen?“

Eine schwüle Pause entstand. Ich hörte nur sein tiefes aufgeregtes Atemholen.

„Ich will nichts mehr wissen von dieser Geschichte,“ sagte ich endlich, „und bedaure, wenn Sie durch meine Weigerung Unannehmlichkeiten haben. An Ihrer Stelle ließe ich einen Menschen, der so gesinnungslos ist, Sie etwas entgelten zu lassen, woran Sie schuldlos sind, einfach laufen; er ist kein Gewinn für Sie.“

„Sparen Sie Ihre Schulmädchenweisheit!“ hörte ich ihn keuchen, und sein blutrotes Gesicht war plötzlich dicht vor mir. Ich sah die zornigen Augen und die Schweißperlen, die auf seiner Stirn flimmerten. Er hatte meine Schulter gefaßt. „Wollen Sie Ihre Mutter zur Frau eines Bettlers machen?“ fragte er fast heiser.

„Lassen Sie mich los!“ forderte ich, denn die große Hand drückte mich fast zu Boden. „Ich bin überzeugt, Mama bettelt lieber, als daß sie mich unglücklich sieht.“ Und mit Gewalt schüttelte ich seine Hand ab und lief nach der Thür. Da riß er mich am Arm, um mich zum Bleiben zu zwingen, mit solcher Gewalt, daß ich zurücktaumelte und meinen Kopf schwer an den geschnitzten Pfeiler des Bücherschranks schlug. Der Schmerz war so heftig, daß ich laut aufschrie.

Da plötzlich flog die Thür auf und Mama stürzte herein; außer sich, mit erhobenen Händen stand sie vor dem Mann. „Was hast Du gethan?“ stieß sie hervor. Und als ich mich aufraffte und zu ihr hinübereilte, um sie zu beruhigen, schob sie mich heftig zur Seite. „Du hast es gewagt, sie anzurühren?“ rief sie dem Wütenden zu. „Ist es nicht genug, daß Du mich behandelst, wie nur ein roher Mensch seine Frau behandeln kann, mußt Du die Hand auch noch erheben gegen mein Kind?“

Er faßte sie bei den Schultern, daß sie aufstöhnte vor Schreck. „Ruhig!“ flüsterte er ihr zu. „Soll das ganze Haus vor der Thür zusammenlaufen, Helene? Anneliese stieß sich an dem Schrank, ich habe ihr nichts gethan – Du weißt nicht, was Du sprichst. Habe ich Sie geschlagen?“ herrschte er mich mit gedämpfter Stimme an. „Ja oder nein?“

„Nein!“ sagte ich verächtlich.

Er ließ Mama los. „Wahnsinniges albernes Weibervolk – dumme Edelmannsmucken!“

Mama stand da, noch immer zitternd und kampfbereit. „Anneliese wird Brankwitz nicht heiraten, weil ich es nicht dulde!“ rief sie schrill. „Einmal habe ich mich einschüchtern lassen durch Dich und war auf dem Punkte, mein Kind und seine Liebe zu verlieren – jetzt nicht mehr. Hörst Du, ich will nicht – ich –“

Er zuckte die Achseln und sah sie höhnisch lächelnd an. „Echauffiere Dich nicht, Helene, Ihr werdet noch alle Zwei wollen, gern wollen – wartet nur!“

„Nie!“ rief Mama.

„Gehen Sie hinunter!“ befahl er mir.

„Ich lasse Mama jetzt nicht allein – komm’ mit, Mama!“

„Sie bleibt hier!“ donnerte er jetzt, nicht mehr Herr seiner selbst, unb wies mir die Thür.

„Geh!“ sagte Mama.

Er kam mir nach bis zur Treppe, als wollte er sich überzeugen, daß ich wirklich gehe.

Ich kam, von Sorge und Angst durchschüttelt, unten an. Die Base saß vor dem Tisch und steckte Kerzen auf eine Unzahl Leuchter.

„Heiliger Gott, was ist mit Ihnen?“ rief sie.

„Ich habe mich gestoßen, Base,“ sagte ich und ließ mich auf den nächsten Stuhl fallen, „um Gotteswillen, schweigen Sie, Base – horchen Sie doch –“

Ueber uns flog krachend eine Thür und erklangen schwere Schritte. Die alte Frau richtete starr den Blick nach oben.

„Base, ich bitte Sie, gehen Sie hinauf,“ flehte ich, „beschützen Sie Mama!“

Sie senkte den Kopf und rührte sich nicht. Ich hörte Mamas hohes, gellendes, von Schluchzen unterbrochenes Sprechen bis hier herunter, von Wollmeyer nur immer das hastige Hinundherwandern und das gelegentliche Verrücken eines Möbels, das, ihm im Wege stehend, einen Stoß erhielt.

„Bleiben Sie nur ganz ruhig, Annelieseken,“ murmelte sie. „Ich darf nicht hinauf. Sie kennen ihn nicht; es wäre Oel ins Feuer.“

Und zitternd, den Kopf in meinen Armen geborgen, blieb ich sitzen, der Verzweiflung nahe. Plötzlich verstummte droben auch die Stimme Mamas, als ob sie zu Ende sei mit ihrer Kraft, und nun blieb alles still. Ruhig hantierte die Base weiter an ihren Kandelabern von Silber und Bronce, als ob es das wichtigste Geschäft von der Welt wäre, die blaßrosa Kerzen aufzurichten, die dem Feste leuchten sollten. Kein Wort, keine Frage; wie ein lebendig gewordenes Rätsel saß sie da.

Endlich war ihre Arbeit beendet und sie ergriff zwei der Leuchter. „Ich werde sie selbst hinauftragen, Annelieseken, Friedrich ist zu ungeschickt.“ Es war etwas Entschlossenes in ihrem Gesicht. Sie ging; ich meinte, sie bleibe eine Ewigkeit aus. Als sie wieder kam, hatte sie ein Tuch über die Schultern und den Kopf gebunden und brachte einen Strom eisiger frischer Luft mit herein. An ihren thränenden Augen und der roten Nase sah ich, daß sie im Freien gewesen war.

„Ich hab’ Ihnen nur rasch ein wenig Heftpflaster geholt, Annelieseken,“ sagte sie, „damit man übermorgen die garstige Stelle an der Schläfe nicht sieht.“

Sie holte wirklich ein Röllchen Pflaster aus der Tasche. Ich starrte sie ungläubig an; daran konnte sie jetzt denken? „Was, und sogar in der Mohrenapotheke waren Sie, dort unten an der Post?“ fragte ich.

„Ja, da giebt’s das beste Pflaster,“ erklärte sie und suchte mit ihren alten klammen Fingern nach einer Schere.

„Base, Sie sagen nicht die Wahrheit!“

„Meiner Seele, ich war in der Mohrenapotheke!“ beteuerte sie ernsthaft, und damit befestigte sie kunstgerecht das Pflaster. „Legen Sie sich zu Bett, Annelieseken; ich bleibe noch auf, ich hab’ heute noch viel zu thun.“


Am andern Morgen nach tiefem traumlosen Schlaf erwachte ich mit furchtbarem Kopfweh und einem solchen Unglücksgefühl, daß ich wie gebrochen dalag. Die Base wies meinen Stiefvater ab, der mich in aller Morgenfrühe sprechen wollte; ich wäre auch schlechterdings zu nichts fähig gewesen. Mama fand ich an meinem Bett sitzen, als ich mittags zwölf Uhr uach einem schmerzstillenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_807.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2022)