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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Sie hörten oft, wie Glück und Glas zerbricht,
Wie früh der Liebe junge Freuden enden,
Doch Glück und Glas – bei ihnen brach es nicht,
Sie trugen es mit still bescheidnen Händen.
Noch fuhr der Märzsturm brausend durch das Land,
Da scholl die Lust und wehten Hochzeitsschleier,
Da bogen Myrten sich zur heil’gen Feier
Und am Altäre gab sich Hand in Hand.
Der alte Pastor segnete sie ein,
Das alte Kirchlein sah die Braut heut’ beten,
Darin sie einst in frommen Kinderreih’n,
Selbst noch ein Kind, zum Tisch des Herrn getreten.
Nur schlug das Herz heut’ unterm Hochzeitskleid
Noch voller fast, als damals es geschlagen:
Mas ihr beschert, sie wollt’ es tapfer tragen,
Mit ihm vereint, in Zeit und Ewigkeit.
Die nächsten Tage dann – sie wußt’ es kaum,
Daß sie vergingen, daß die Uhren schlugen,
Daß andre Menschen Not und Sorge trugen,
Die Wimper fiel – ihr war es wie ein Traum.
Und Hand in Hand, in Gattenglück und -stolz,
Sahn sie die Stürme brausend gehn von Norden
Und sahn, wie sacht, als Ostern es geworden,
Am Gartensteg der letzte Schneemann schmolz.
Dann kam der Frühling; mit bekränztem Haar
Und blauen Augen saß er an den Wegen,
Und wanderfroh zog eine Kinderschar
Mit Weidenflöten seinem Glanz entgegen.
Rings rankten Blüten über Kraut und Dorn,
Der Juniwind zog schläfrig seine Pfade,
Die Amsel sang – bald füllte sich das Korn
Und in den Scheunen wuchs die goldne Gnade.
Dann klang die Tenne, und die Welt ward grau,
Sein Nest verließ des Sommers letzter Sänger,
Auf feuchten Wiesen schlief die Nebelfrau,
Die Trauben reiften und die Nacht ward länger.
Doch: als das Christkind wieder dann durchs Land
Gezogen kam, da hielt es ein im Fliegen
Und ließ ein Püppchen in der Wiege liegen,
Ein Weihnachtspüppchen –, lächelte –- und schwand.
Das war ein Kerl! Wog seine sieben Pfund!
Schien für sein Alter ungemein verständig,
That sein Erscheinen wie ein Großer kund
Und machte gleich das ganze Haus lebendig!
Und mit der Brille kam die Großmama
Und schrie: potztausend, das ist ’mal ein Bengel!
So wunderhübsch und ganz wie der Papa,
Und Backen hat er wie Posaunenengel!

Der Vater aber bog in stillem Dank
Auf seines Weibes bleiche Stirn sich nieder,
Sein Mund blieb stumm, nur seine Seele klang,
Doch was die sprach – wie gäb’ ein Wort das wieder!
Ein fröhlich Herz voll Lebensseligkeit
Trug sie auch später über Alltagssorgen.
Ein jeder Tag war wie ein Hochzeitsmorgen,
Und manchesmal geschah’s zur Dämmerzeit,
Da stand sie auf und sprach: „Wenn ich so denk’,“
– Derweil in Treuen sie sich an ihn schmiegte
Und glückverklärt ihr holdes Köpfchen wiegte –
„Du warst ja doch mein bestes Christgeschenk!“

 *  *  *

Es ist ein Knistern im Kamin erwacht,
Das Kätzchen horcht, die Uhr holt aus zum Schlage,
Fern singen Kinder durch die heil’ge Nacht
Und rasch verwehn die Bilder früh’rer Tage.
Die Klingel tönt. Bist du’s? – Wer sollt’ es sein?
Und wie Knecht Ruprecht, pelzvermummt bis oben,
Die warme Mütze übers Ohr geschoben,
Den Bart bereift –- so tritt er pustend ein.
Und während sie noch nach dem Karpfenschmaus
Ein bißchen sieht, geht er rasch durch die Stuben
Und packt vergnügt die Heimlichkeiten aus
Für sie, für sich – das meiste für den Buben.
Dann brennt der Baum – sie schleppt das Kind herbei
Und freut sich selbst mit reinem Kinderherzen,
Und Fritzchen kräht mit hellem Jubelschrei
Und Füßestrampeln in den Glanz der Kerzen.
Sie sieht ihn an und winkt ihm lächelnd Ruh’,
Beginnt dann fromm den Festchoral zu singen;
Der kleine Fritz horcht auf das hohe Klingen,
Der große aber brummt den Baß dazu.
So feiern fröhlich sie den Heil’gen Christ,
In Kindereinfalt freu’n sie sich der Gaben
Und sagen sich, wie sie so lieb sich haben
Und wie die Welt voll Glück und Frieden ist.

Allmählich dann mit seinem Hampelmann
Schläft Fritzchen ein – es wird ganz still im Raume,
Und nur ein Licht tropft manchmal noch am Baume
Und eine Nadel knistert dann und wann.
Doch auch ein Rauschen scheint von fern und nah
Sie zu umziehn wie seliges Glockenläuten –
Wo kommt es her? Es kann sich’s keiner deuten –
Ich aber weiß: es waren Engel da!


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_823.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)