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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Hilfreiche Menschen brachten den Hans Sepp mit der Leiche seines Vaters heim; ein Hund war ihnen gefolgt, ein ruppiger, langhaariger Schäferhund, und als sein Besitzer wieder heim wollte, hing sich das Kind an das Tier und wollte es nicht fort lassen, indem es unter Thränen behauptete: „Ich habe ja sonst niemand auf der Welt!“ Das rührte den Mann, und er zog ab und ließ seinen Hund zurück.

Der Hans Sepp blieb mit seinem Fex im väterlichen Hause wohnen; er wollte es so, und dagegen kam nicht einmal der Herr Kurat auf. Bei der Witwe nebenan ging der kleine selbständige Mensch in die Kost; da jedoch das, was die Frau kochte, nicht auch den Hund satt machte, so klopfte der Hans Sepp mit seinem Zinnteller an allen zehn Höfen des Thales an, überall ein paar Brocken für seinen Kameraden heischend. Dabei wurde dieser mit glühender Eifersucht bewacht, durfte nichts von einer andern als seines Herrn Hand annehmen und keinem, der ihn rief, Folge leisten.

Da nun aber zur Zeit der Fex der einzige Hund im Dorfe war, so gab’s für ihn der Anfechtungen gar viele, und wehe ihm, wenn er einer solchen zum Opfer fiel. Der Hans Sepp kannte im Strafen keine Grenzen und hieb zu, daß das Jammergeheul des Tieres das ganze Thal erfüllte. Und so war und blieb er der „Böse“, dem jedes Kind aus dem Wege ging, und der sich auch von keinem Großen wollte meistern lassen.

Es war nicht nur für den Hans Sepp eine Erlösung, als er mit zwölf Jahren der dumpfen Schulstube entwachsen war; der Herr Kurat trabte noch einmal so vergnügt über seine hügeligen Wiesen hin, seit er von dem störrischen Buben befreit war, der von allen Dingen, die da gelehrt wurden, Grund und Ursache wissen wollte und ohne Beweisführung den Glauben verweigerte.

Er that ein Uebriges, indem er den Buben zu seinem Hirten machte und ihm dafür die Kleidung stellte; für die Kost kam die Gemeinde auf.

Der Aloisl aber hütete die paar Kühe seiner Mutter, und so hatten die jungen Kameraden ihr Reich für sich – das ganze hintere Thal, vom brausenden Suldenbach aufwärts durch den sich lang hinstreckenden Lärchenwald bis dahin, wo in Geröll und Felsgestein jeder Graswuchs aufhört. Aber der Hirten Leben war kein friedliches; der arme kleine beschauliche Aloisl, der so gern still seiner Wege ging oder auf einem Baumstamm sitzend, sich selber unbewußt die Morgenstille einsog – wenn er sich noch so geborgen wähnte, eh’ er sich’s versah, erscholl des Kameraden Stimme aus der Höhe, und der Hans Sepp kam heruntergerast, seine Augen sprühten, und er lachte aus voller Brust dem Aloisl entgegen: „Gelt, gelt aber, ich habe Dich gefunden!“

So war es immer; er konnte nicht ohne den Aloisl sein, und hatte er ihn gefunden, dann quälte er ihn. Wie auf der Lauer saß er, mit Augen, die ohne Unterlaß vom Aloisl zum Fex wanderten und wieder zurück. Er war überzeugt, zwischen den beiden bestand eine geheime Liebe, und darum mußte ihnen aufgepaßt werden. Der Fex durfte nur ihm die Hand lecken, nur an ihm mit stürmischer Freude emporspringen; der andere ging ihn nichts an. Die geringste Liebkosung für diesen, nur ein freudiges Aufbellen trug dem armen Fex erbarmungslose Schläge ein. Als sich einmal der Aloisl voll Mitleid dazwischen werfen wollte, bekam er eines mit der Peitsche übers Gesicht, daß er ein blutiges Zeichen davontrug. „Du hast Deine Mutter, und der Fex gehört mir,“ wurde ihm bedeutet.

Also gaben sie sich die erdenklichste Mühe, der Fex und der Aloisl, das Wohlwollen, das sie für einander hegten, zu verbergen; nur ein unterdrücktes, wie ein Schluchzen klingendes Geheul entstieg der Hundekehle, wenn der Aloisl daherkam, der seinerseits, aber nur wenn er sich unbeachtet glaubte, schnell mit der Hand über den Kopf des Tieres fuhr. Der unglückselige Fex verriet aber dann immer die That des Aloisl durch das bodenlos schlechte Gewissen, das er zur Schau trug, und wenn er so einherschlich, mit eingeklemmtem Schwanz, und den funkelnden Blick seines jungen Herrn nicht auszuhalten vermochte, dann wußte dieser schon, wieviel die Glocke geschlagen hatte.

Hatte sich jedoch eine Kuh verstiegen und galt es, mit Gefahr des Lebens an schwindelnden Abhängen hinzuklettern, dann war der Hans Sepp an seinem Platz; denn nie war ihm wohler, als wenn er seine ganze Kraft an eine Sache setzen durfte, wenn sich’s um Aufregungen handelte, um Kampf und Gefahren, einerlei welcher Art. Nur im Frieden war er nicht zu gebrauchen.

Es machte ihn traurig, wenn er des Abends heimging durchs Thal, und die Kinder ihm scheu auswichen, oder wenn er mit dem Aloisl am Tisch der Witwe saß und sie freundliche Worte nur für ihren eigenen Buben hatte oder gar jammerte, daß der wieder ein Zeichen heimgebracht von der Hand des gewaltthätigen Kameraden. Zornig warf er dann seinen Löffel auf den Tisch und ging hinüber in sein verwahrlostes Heim, wo die Spinnen ihr Wesen trieben und die Fensterscheiben, vom Staub wie verschleiert, kaum ein gedämpftes Licht einließen. Da saß er in der Totenstille seiner Einsamkeit, die Arme um seinen Fex geschlungen, und haßte sie alle, die Menschen, haßte sie grenzenlos und nahm sich vor: „Ihnen zu leid bin ich bös’, denn sie alle miteinander verdienen’s nicht besser!“

Es war sein Schicksal, er mußte grausam sein auch gegen die, welche er liebte. Er riß im Schweiße seines Angesichtes junge Bäume aus dem Erdreich und schleppte sie hinunter zum Abhang, von wo er sie jauchzend dem tosenden Bach überlieferte; dann mußte der Fex herhalten und mit Gefahr seines Lebens dem reißenden Wasser den Raub abkämpfen, während der Aloisl droben vor Angst schrie und den Kameraden anflehte, von seinem Beginnen abzulassen. Da lachte der Hans Sepp und verhöhnte ihn, und obwohl ihm selbst das Herz vor Angst um seinen geliebten Fex zu zerspringen drohte, er gab nicht nach und hörte nicht auf mit Rufen und Befehlen, bis das Tier stolz erhobenen Hauptes ihm die Beute zu Füßen legte.

Eines Tages hatte sich eine von den Kühen des Aloisl verstiegen; der Hans Sepp, sofort bereit, das Tier herbeizuholen, befahl dem Fex, bei der Herde zu bleiben, und machte sich auf den Weg. Nachdem er seine Aufgabe gelöst und die Kuh auf einen gangbaren Weg gebracht hatte, setzte er sich einen Augenblick nieder, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen; plötzlich beugte er das Haupt weit vor und lauschte hinab; da unten, wo er den Fex gelassen, hörte er des Aloisl Stimme. Er schlich hinab, und durch eine Lichtung der Bäume sah er den Kameraden und zu dessen Füßen den Fex, mit dem Kopf auf des Buben Knien.

Wie der Blitz brach der Hans Sepp durch die Bäume und rutschte jählings über Wurzeln und Stoppeln zu den beiden hinab. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 849. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_849.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)