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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

schenkte er in dem alten verräucherten Stübchen einen guten Tropfen, und auch ich kehrte öfters dort ein. Da er alsbald meine Liebhaberei für Bilder kannte, so verriet er mir eines Tages mit seinem pfiffigsten Gesicht, daß er ein schönes Stück habe, um mäßigen Preis wolle er es mir lassen. Na, was er mir über den Erwerb des Bildes sagte – er behauptete, ein armer und selbstverständlich durstiger Maler habe es ihm zur Deckung seiner Trinkschulden gegeben – sehr Vertrauenswert klang das nicht, aber das Bild gefiel mir sogleich sehr, bei dem Weinzapf wäre es ja doch verkümmert, und – kurz, ich kaufte es ihm für ein paar hundert Mark ab.

„Sie wollen sich wohl für das Geld noch einige Zeitungen mehr anschaffen?“ fragte ich ihn; denn der Kerl hatte eine ganz merkwürdige Leidenschaft für allerlei Zeitungen, meist Lokalblätter aus ganz entlegenen Gegenden, die hier keinen Menschen interessieren konnten; er selbst studierte sie aber mit großem Eifer und abonnierte auf neue noch immer dazu. Als dann freilich später herauskam, weshalb er dieses sonderbare Preßstudium betrieb, da war es mit ihm aus, und er mußte schleunigst einen Luftwechsel vornehmen, um nicht dem Gericht oder gar einer Art Lynchjustiz seiner Weinbauenden und weinhandelnden Mitbürger zu verfallen. Der Bursche hatte nämlich jahrelang eine ganz eigenartige Gaunerei betrieben; er verkaufte Wein an Verstorbene. Wenn er in einem von seinen ostpreußischen oder pommerschen Lokalblättern die breitgeränderte Todesanzeige irgend eines Honoratioren fand, der anscheinend zahlungsfähige Erben hinterlassen hatte, so sandte er alsbald an die bisherige irdische Adresse des Seligen ein Faß miserablen Krätzers ab, den er auf irgend eine wohlklingende Marke taufte, mit Faktura „laut Ihrer werten Bestellung vom so und so vielten“, sagen wir acht Tage vor dem Todestag. Kam dann der Wein dort an, mitten in die Verwirrung der Trauer und Nachlaßordnung, so gab es gemeiniglich eine große Rührung: „Ach seht ’mal, den Wein hat Vater noch erst neulich bestellt, damit wollte er sich noch laben und uns eine Freude machen – den wollen wir in Ehren halten und verwahren, der soll auf den Tisch kommen, wenn dereinst auch einmal ein fröhlicher Anlaß die Familie wieder vereint,“ und so weiter. Die Rechnung wurde in den meisten Fällen quittiert, unser Gauner strich vergnügt seinen Raub ein, und nach Jahr und Tag wunderten sich die Leute da oben über den schlechten Geschmack ihres Verstorbenen, oder machten sich Vorwürfe, daß sie den edlen Wein nicht richtig behandelt hätten. Endlich ereilte den Kerl aber doch die Vergeltung, da er den Mißgriff that, auf eine ganz besonders große und Wohlstand verratende Todesanzeige hin ein gehöriges Faß Wein an die Adresse eines ostfriesischen Pastors zu schicken, der mit seiner Familie strenger Mäßigkeitsvereinler und obendrein seit zwei Jahren gelähmt gewesen war, mithin weder Weinbestellungen noch sonst etwas schreiben konnte. Die Verwandten witterten eine grausame Verhöhnung ihres enthaltsamen Vaters, sie ließen Ermittlungen anstellen, und so kam die Geschichte denn nach und nach heraus, worauf der Verbrecher schleunigst ins Ausland verschwand.

Solches geschah im Spätherbst, kurz nach der Weinlese und etwa ein halbes Jahr, nachdem ich das Bild erworben hatte. Mit besonderer Genugthuung betrachtete ich es nun, in dem Bewußtsein, es gerade noch zur rechten Zeit aus unwürdigen Händen befreit zu haben. Ich hatte es um der Beleuchtung willen, und weil ich es doch nicht drüben unter die echten Alten in meinem sogenannten Galeriezimmer einreihen wollte, hier aufhängen lassen, etwas höher, als es jetzt hängt, und mehr nach der Ecke dort, wo nun das geschnitzte Schränkchen steht. Meiner Tochter gefiel die rothaarige Weinschenkin ganz besonders. Allemal, wenn sie mich besuchte, war auch ihr Gang alsbald nach dem Bilde, und es war ordentlich, als wenn von dem lustigen gemalten Mädel ein voller Strahl des Frohsinns in ihr eigensinniges Braunköpfchen hinüberflöge, so heiter und liebevoll war sie gegen mich, wenn sie erst mit ihrem geliebten Bilde einsame Zwiesprach gepflogen hatte.

Es schien aber, daß dieser moderne „Rembrandt“ auch noch andere Leute förmlich bezauberte. Da lebte damals drunten im Städtchen ein junger Mann aus Berlin, ein Schriftsteller, der sich angeblich um der stillen und nervenstärkenden Luft willen in unser kleines Weinnest zurückgezogen hatte. Eines Tages – ich hatte ihn nur erst flüchtig kennengelernt – stellte er sich bei mir vor und bat, ihm das Bild zu zeigen. Er musterte es lange und aufmerksam, schien ganz ergriffen, that auch etliche tiefsinnige Bemerkungen über Rembrandt, Helldunkel und dergleichen, die unverkennbar nach einem frischen Studiengang in irgend einem Leitfaden der Kunstgeschichte schmeckten, und schließlich bat er um Erlaubnis, das Bild dann und wann in aller Stille, und wenn er mich nicht störe, wieder betrachten zu dürfen. Er möchte es als Motiv in einem Roman verwenden und sei überzeugt, daß er des häufigeren Anblicks bedürfe, um die Stimmung jedesmal wieder richtigzustellen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 885. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_885.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)