Seite:Die Gartenlaube (1894) 886.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

und festzuhalten. Na, von diesen Dingen verstand ich ja nun nichts, jedenfalls soll man einem Künstler nie die Möglichkeit versagen, in Stimmung zu geraten, und so kam er seitdem wieder, durchschnittlich alle Wochen einmal, ließ sich still in dies Zimmer geleiten und beschäftigte sich eine Weile damit, einsam und ungestört sich von der Weinschenkin zurechtstimmen zu lassen. Zuletzt fing er sogar an, eine kleine Kohlenskizze nach dem Bilde zu zeichnen, ein höchst trauriges Machwerk, das aber erschrecklich viel Zeit in Anspruch nahm und eigentlich nie fertig wurde.

Selbstverständlich sorgte ich dafür, daß meine Tochter bei ihren Besuchen nie mit dem Stimmungsjäger, der sich äußerlich als ein sehr netter gewandter Mensch darstellte, zusammenkam. Man kann nicht vorsichtig genug mit den jungen Leuten sein, zumal wenn sie schon in der Begeisterung für ein und denselben Gegenstand zusammentreffen. Gar zu leicht kommt es dann zu einer Verwechslung, sie glauben noch immer ihren gemeinsamen Liebling anzuschwärmen und schwärmen anstatt dessen einander an. Uebrigens mochte der junge Mann etwas von meinen Befürchtungen nach dieser Seite gemerkt haben oder litt er an einer gewissen Schüchternheit während seiner Stimmungsjägerei, jedenfalls war er taktvoll genug, auch seinerseits eine Begegnung mit meiner Tochter vor dem Bilde möglichst zu vermeiden. Ueberhaupt machte er einen ganz gebildeten Eindruck, und wie ich gelegentlich von einem Freund aus Berlin erfuhr, besaß er dort in litterarischen Kreisen bereits einen guten Ruf.

Nun, es mochten so etwa vier Wochen seit der Flucht jenes schuftigen Weingauners verflossen sein, an einem ziemlich klaren Novembermorgen – ich erwartete just an dem Tage mein Töchterchen – da meldete sich bei mir ein halbwüchsiges Wäschermädchen aus dem Städtchen drunten mit einer schönen Empfehlung vom Herrn Maler Franz Hahn und ob ich ihm nicht die große Güte erweisen wolle, ihn einmal aufzusuchen; er selber habe leider das Podagra und könne nicht gut gehen.

Ich hatte von diesem Maler Franz Hahn schon hin und wieder gehört. Als junger Mann war er vor einigen vierzig Jahren in das Städtchen gekommen, hatte sich dort in ein hübsches Mädchen aus geringem Stande vergafft, sich mit ihr verheiratet und war schließlich zu einem jener verkommenen Genies herabgesunken, die Porträts von Fleischern und Bauernmädchen für einen Thaler und eine Flasche Wein malen oder Ladenschilder, Wirtsstuben und Scheunengiebel mit stilvollen Pinseleien ausschmücken. In Romanen und Novellen machen sich diese Leute ganz gut, in Wirklichkeit sind sie meist ein Greuel für jeden ruhigen und fleißigen Mann und zum mindesten ein betrübendes Schauspiel, da ihnen wie anderen verkommenen Menschen auf die Dauer auch das abgeht, was verkommene Häuser noch erträglich machen kann – nämlich das Malerische.

In dieser Hinsicht machte allerdings Franz Hahn eine Ausnahme. Als ich ihn ein paar Stunden später in dem ärmlichen Stübchen aufsuchte, welches er bei der Mutter seiner Botin bewohnte, war ich fast wider Willen angenehm berührt von dem gescheiten freundlichen Gesichte des Alten, aus welchem mich unter einer hochgewölbten Stirn ein Paar offenblickender kluger Maleraugen fast schalkhaft anlugte. Allerdings leuchtete unter diesen Augen eine Stumpfnase von einer ganz unerlaubten Röte, und ich gewahrte einige leere Flaschen auf dem unordentlich vollgekramten Tische, welche jedenfalls etwas anderes enthalten hatten als Mineralwasser oder kalten Kaffee. Uebrigens war der Alte fleißig gewesen; bei meinem Eintritt bedeckte er mit dem Tuche ein Bild, an welchem er, vor einer höchst baufälligen Staffelei mühsam sitzend und das dick umwickelte Bein weit ausgestreckt, malte.

Nachdem ich mir aus einer Ecke des Zimmerchens, welches eine wahre Blüte der Unaufgeräumtheit vorstellte, einen wackligen Stuhl herbeigeholt, der unter anderem auch als Waschtisch gedient zu haben schien, klagte mir Franz Hahn nach vielen Entschuldigungen sein Leid. Er habe sich an mich gewandt, weil er gehört habe, daß ich von Haus aus Jurist sei und ein Herz für Bilder, folglich vielleicht auch wohl für Maler habe. Vor sieben Monaten etwa sei jener Weinwirt zu ihm gekommen und habe ihn mit großer Härte an eine Zechschuld gemahnt, die allerdings schon seit Jahr und Tag fällig war. Schließlich habe ihn der Mann vor die Wahl gestellt, entweder gerichtliche Klage und Pfändung zu gewärtigen oder ihm gutwillig als Pfand ein Bild zu überlassen, welches er noch in jungen Jahren gemalt und als Andenken behalten habe. Es sei das Bildnis seiner Frau gewesen, so wie sie ihn zuerst an jenem Tage, wo ihn das Schicksal in dieses Städtchen geführt, als Kellnerin unter der Thür eines Wirtshauses begrüßte. Er habe es nach ihrem frühen Tode gemalt, unter vielen Entbehrungen und Schmerzen, und seitdem immer in Händen behalten, als eine teuere Erinnerung und zugleich, wie er meine, als sein bestes Bild. Da er nun aber gewärtigen mußte, durch gerichtliche Pfändung wegen Trinkschulden doch das Bild und zugleich auch die Aussicht auf die Unterstützung, welche ihm etwelche fromme und weichherzige Leute bisher dann und wann zukommen ließen, zu verlieren, so habe er es dem Gläubiger gelassen, nachdem dieser versprochen, das Faustpfand in Ehren zu halten und nicht zu veräußern. Er selbst habe dann versucht, durch Sparsamkeit und allerlei Handwerksarbcit die Summe – es waren etwa hundert Mark – zusammenzukargen, und zur Hälfte habe er sie auch schon zurückgelegt gehabt, als ihn leider das böse Podagra wieder befallen habe. Inzwischen sei nun jener schlechte Mann geflohen, dessen Verwandte wollten nie etwas von dem Bilde gehört haben und hätten ihn grob abgewiesen, und nun quäle ihn Tag und Nacht die Sorge um sein Bild, das letzte Andenken an seine kurze glückliche Ehe und an eine bessere Künstlerzeit. Ob ich ihm da nicht mit Ratschlägen und Nachforschungen helfen wolle?

Es war mir nicht zweifelhaft, daß es sich um das Bild dort handle, welches jener Wirt also einfach durch eine seiner Gaunereien an sich gebracht hatte, um ein paar hundert Mark an mir zu verdienen, und ich muß sagen, daß es mir eine rechte Freude war, den Alten über den Verbleib seines Werkes aufzuklären und

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 886. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_886.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)