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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Selbst Mamsellchen brachte ihren Argwohn mit dem Trostspruch zur Ruhe: „Er wird doch nicht solch’ einen schlechten Geschmack haben und sich in diese Trauerweide verlieben? Immer grau angezogen und kein Leben, kein Färbchen im Gesicht, und schleicht in unsers Herrgotts schöner Natur und in meines Doktors schönem Haus wie so ’n blasses Gespenst herum! Nein, Gott schütz’ und behüt’ – wenn er sich denn doch durchaus noch ’mal verlieben soll, dann müssen dazu doch andere Leute kommen!“

Mamsellchens Kritik war nicht schmeichelhaft und ihr Hauptärger war, daß derjenige, gegen den sie dieselbe äußerte, nämlich Ewert – gegen wen sollte sie sich sonst wohl aussprechen? – ihr gar nicht recht geben wollte.

„Ja, hören Sie, Mamsellchen, ich weiß doch nicht! Sie sind die ältere und haben die Erfahrung vor mir voraus, aber nehmen Sie ’s nicht übel, ob ’ne weibliche Person hübsch ist oder nicht, na, das kann unsereins, ich mein’ Mannsleute, doch am besten beurteilen! Diese hier – nein, ’ne Schönheit ist das nicht, aber die Figur kann sich sehen lassen, obschon sie etwas dünn aussieht – und das Gesicht, ich sag’ Ihnen, lassen Sie die bloß ’mal erst gesund werden und rote Backen kriegen und blanke Augen – dann wollen wir uns wieder sprechen. Und ’was Apartes hat Sie, und ’was Vornehmes hat sie –“

„Haben Sie denn die aparten und die vornehmen Damen ausstudiert, Ewert?“

„Gewiß hab’ ich, und was für welche! Ich bin nicht umsonst Offiziersbursch’ gewesen! Sie hätten ’mal sollen meine gnädige Gräfin Steinbach sehen, und die junge Baroneß Zehrendorff und die Frau von meinem Major, die auch ein geborenes Freifräulein war! Alle durch die Bank vornehm – und mit Ahnen, sag’ ich Ihnen, bis in die Puppen – und das ist das Höchste! So ’was könnt’ hier unsere junge Gnädige auch dreist vorstellen, das Zeug dazu hat sie! Das ist ’was Feines, wenn die so an einem vorbeikommt – ich schlag’ auch nicht für umsonst jedesmal meine Hacken vor ihr zusammen und mach’ Front, als wenn gleich der Herr Oberst ankäme. Das hat alles bei mir seine Gründe, Mamsellchen, und für ’ne gewöhnliche Dame thu’ ich so ’was nicht. Und sie sieht aus wie ’ne Ausländische und sie spricht wie ’ne Ausländische, und, sehen Sie, so ’was gefällt uns Männern auch!“

„Mir nicht! Mir ist das so egal, aber auch so egal!“

„Glaub’ ich Ihnen! Aber unser Herr ist eben ein Herr, und dem wird es nicht egal sein, darauf nehm’ ich Ihnen Gift!“

Mamsellchen ärgerte sich schwer über solche Reden, beruhigte sich aber immer mit dem Gedanken, daß Ewert am Ende nur ein ungebildeter Mensch, ihr Doktor aber ein „ausstudierter Herr“ sei, da könne der Geschmack unmöglich übereinstimmen, und was ihrem Herrn zusage, das müsse ihr doch auch gefallen.

Vielleicht aber unterhielt sich die junge Frau gut mit dem Doktor! Mamsellchen war nicht immer zugegen, zumal des Abends nicht, und ein so kluger Mann würde sicher auf Geist und Unterhaltungsgabe Gewicht legen. Vor allen Dingen brannte der alte Hausgeist darauf, recht viel aus Gabrielens Vergangenheit zu erfahren, von ihrem Gatten, von seinem Beruf, von ihrem Leben nach seinem Dahinscheiden – das alles interessierte sie lebhaft, und sie benutzte ein ruhiges Stündchen vor dem Abendessen, als die junge Frau auf ihrem gewöhnlichen Platz am Weiher und der Hausherr müßig in einer Zeitschrift blätternd in seinem Zimmer war, um letzteren ein wenig auszuforschen. Sie setzte ihm sein Glas Milch recht auffällig und mit Nachdruck auf den Tisch, stellte sich neben ihn und räusperte sich vorbereitend.

Der Doktor that einen kräftigen Zug aus dem Glase und fragte: „Nun?“

„Sie sind klüger als ich,“ eröffnete Mamsellchen diplomatisch ihre Rede, „und so werden Sie mir wohl auch sagen können, was das zu bedeuten hat! Sie trägt Tag aus Tag ein dasselbe graue Kleid, so, als wenn sie gar nichts anderes auf Gottes Welt anzuziehen hätte, und dabei sind drei Tage nach ihrer Ankunft hier mit Fracht ein paar Koffer erschienen – so hoch!“ Die Rednerin zeigte nach dem Ofen.

Röder lachte.

„Nun, und was folgt daraus?“

„Das sollen Sie mir doch eben sagen! Garderobe ist drin, darauf wett’ ich meinen Kopf! Wenn sie aber drin ist, warum zieht sie sie nicht an?“

„Frag’ sie doch danach, wenn’s Dich so ungeheuer interessiert!“

Mamsellchen streckte abwehrend die Hände aus. „Ich und fragen! Das ist ebenso, als wenn Sie mir rieten: geh’ hin und sprich den Kaiser an! Die Dame wendet ja kein Wort an mich, kaum daß sie mir die Tageszeit bietet, es ist so, als ob unsereins gar nicht für sie auf der Welt wär’! Und ich bin immer so höflich!“

„Dabei bitte ich zu bleiben! Wenn Frau Hartmann schweigsam ist, so hat sie sicher ihre Gründe dafür; überdies ist sie krank!“

„Ja, ja, sie sieht aus wie das Leiden Christi. Ob sie sich so um ihren Mann grämen mag?“

„Das weiß ich nicht.“

„Was ist er denn gewesen, ich mein’, so von Amt und Beruf?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wie lange war sie denn mit ihm verheiratet? Und ob sie wohl ein Kindchen gehabt hat? Und ob er ihr gar kein Vermögen mag hinterlassen haben?“

Der Doktor erhob sich, trank sein Glas Milch aus und setzte das leere Glas hart auf den Tisch nieder.

„Du bist der wahre Fragebogen, Mamsellchen. Jetzt merk’ Dir’s ein für allemal, damit Du mich in Zukunft mit ähnlichen Quälereien verschonst: ich frage Frau Hartmann grundsätzlich mit keiner Silbe nach ihrer Vergangenheit, ebensowenig nach ihren Zukunftsplänen. Ich weiß nichts von ihrem Mann, ihrem Vermögen und ihren Kleidern, und ich will auch nichts davon wissen, es sei denn, daß sie mir von selbst etwas darüber mitteilt. Sie soll hier leben, wie sie es will, und bleiben, solange es ihr gefällt, unbehelligt und unbefragt, und damit Punktum!“

Mamsellchen sah ihren Cornelius mit großen entsetzten Augen an. Gott im Himmel, was war ihm denn nur in die Krone gefahren, daß er sich derartig ereiferte? Ewerts Bemerkungen von vornehm und apart und fremdländischem Wesen wirbelten ihr im Kopf herum – hatte der dumme junge Naseweis am Ende doch recht mit seinen Behauptungen, die Männer hätten so ziemlich alle denselben Geschmack?

Der Doktor strich freundlich beruhigend über das erschrockene alte Gesicht. „Du brauchst nicht so ängstlich auszusehen, meine Alte! Aber sieh sie Dir doch an, wie elend und hilflos sie ist! Thut sie Dir denn nicht leid, wie sie mir leid thut? Es ist ja ein Jammer um das arme junge Geschöpf – und da soll ich ihr auch noch mit tausend Fragen kommen wie ein Untersuchungsrichter? Daß Frauen immer so neugierig sein müssen! Nimm Dir ein Beispiel an mir: ich bin keine Spur neugierig!“

„Ich frag’ ja bloß aus Teilnahme,“ verteidigte sich Mamsellchen in kläglichem Ton, „und wo werd’ ich denn kein Mitleid haben mit ’was Krankem? Ich möcht’ bloß wissen, von wem denn all’ die Briefe kommen – immer verschiedene Handschriften – und sie hat erst einen einzigen geschrieben, den sie dem Postboten selbst in die Hand gab!“

„Das geht uns alles nichts an! Ich besorge meine litterarischen Arbeiten, Du besorgst Deine Küche, und Frau Hartmann besorgt ihre Korrespondenzen. Ist Dir das klar oder nicht?“

„Was wird es mir nicht klar sein! So einfältig bin ich auch nicht! Aber daß ich auf meine alten Tage soll ganz zum Dienstboten gemacht werden, wo es früher immer gehießen hat, ich wär’ wie eine Freundin im Haus –“

Meine Freundin, Mamsellchen, meine bist Du gewesen und bleibst es auch! Da, die Hand drauf! Und kein Mensch in der weiten Welt soll jemals diese alte Freundschaft stören!“

„Ach, Doktor, Sie können einem das Herz im Leib herumdrehen! Ich bin jetzt auch still und sag’ gar nichts mehr, und wenn die junge Frau das ganze Haus auf den Kopf stellt!“

Damit streichelte Mamsellchen dem Doktor die Schulter, er klopfte sie freundlich auf die Wange, und der Friede war hergestellt.

Das geschah an einem schwülen Juniabend. Die Sonne sandte sengende Strahlen herab, die Schwalben flogen in unruhigem Zickzack und so niedrig, daß ihre Schwingen fast die Erde streiften, am Himmel stand eine schieferblaue Wetterwand, und eine schwere drückende Atmosphäre lastete auf der Erde. Dem Doktor perlten die hellen Schweißtropfen auf der Stirn, unmutig warf er die Arbeit beiseite und ging hinaus in den Garten, vielleicht war es dort erträglicher.

Er ging selbstverständlich zum Weiher, dort war es fast immer kühl und schattig. Stumm ruhte die dunkelklare Flut, kein Blatt an den Eschen bewegte sich, kein Vogellaut wurde hörbar,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1895, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_040.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)