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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


bringen. Diese Gichtketten, zweifellos nahe verwandt mit den C. Winterschen Gichtketten, welche die „Gartenlaube“ schon vor 16 Jahren festgenagelt hat, und erwiesenermaßen gleichbedeutend mit dem „Talisman“, der neuerdings sein Wesen in der Presse trieb, sind aber trotz ihrer „Verbesserung“ durchaus ungeeignet zur Behandlung Kranker, zudem unverhältnismäßig teuer. Genau ebenso verhält es sich mit den „neu verbesserten Gesundheitsketten Modell 1893“ von Ernst Kordenat in Stettin. Ein außerordentlich lehrreiches Beispiel für den Wechsel der Namen und Bezeichnungen ist das folgende: In einer mit dem Stichwort „Nervenleidenden“ versehenen Anzeige verspricht ein gewisser W. Liebert in Leipzig kostenfreie Auskunft über ein sicher wirkendes Mittel. Wendet man sich nun an diesen freundlichen Herrn W. Liebert, so erhält man – ein lithographiertes Schreiben, welches für „Dr. Dressels Nervenfluid“ Reklame macht. Dieses „Dr. Dressels Nervenfluid“ aber ist seinerseits lediglich eine neue Auflage des „Roman Weismannschen Schlagwassers“, also ein durchaus schwindelhaftes Mittel, vor dem in der „Gartenlaube“ schon wiederholt und eindringlich gewarnt worden ist.

Noch ist in diesem Zusammenhang der „galvano-elektro-magnetisch wirkende Frottierheilapparat“ von H. T. Biermanns in Frankfurt a. M. zu nennen. Dieser Apparat, der gegen Gicht, Rheumatismus, Nervenschwäche, Neuralgie, Ischias, Magenschwäche, Kongestionen, Lähmung, Rückenmarksschwäche helfen soll, besteht aus einer sogenannten Voltaschen Kette, welche mit einer gewöhnlichen Bürste verbunden ist. Die Kette soll eine regulierbare Stromstärke von 300 Milli-Ampères besitzen, während in Wirklichkeit bei sachverständiger Handhabung mit derselben nur ein Strom von 1 Milli-Ampère zu erzielen ist. Eine Uebertragung des schwachen Stroms auf den menschlichen Körper mittels der Frottierbürste ist aber, nach dem Urteil des Karlsruher Gesundheitsrats, bei der fehlerhaften Anordnung der Leitung vollkommen ausgeschlossen, es kann daher auch nicht von irgend welcher „elektromagnetischen Heilwirkung“ des Apparates die Rede sein. Der Preis von 20 Mark ist unverhältnismäßig hoch.

An eine andere Klasse von Kranken wenden sich die Gebrüder Welter in Hamburg mit ihrem „Universalmagensalz“; es soll „binnen kurzem alle Magenstörungen beseitigen“. Thatsächlich ist es nichts weiter als doppeltkohlensaures Natron von nicht besonderer Reinheit, sein Gebrauch in vielen Fällen nutzlos oder geradezu unzweckmäßig, sein Preis fünfzehnmal so hoch als derjenige, um den man dieselbe Sorte doppeltkohlensaures Natron im Handel beziehen kann. Aus demselben Stoff, versetzt mit einigen weiteren Ingredienzien, besteht auch P. F. W. BarellasUniversalmagenpulver“; es besitzt ebensowenig wie das vorher genannte die ihm nachgerühmte universelle Heilkraft, und sein Preis ist doppelt so hoch, als er nach der Arzneitaxe in den Apotheken gefordert werden dürfte. Bezeichnend für den Verfertiger dieses Mittels ist noch die Thatsache, daß er in Berlin nicht nur wiederholt wegen unerlaubten Feilhaltens von Arzneien, sondern einmal auch wegen unberechtigter Führung eines Adelsprädikats bestraft wurde. Er nannte sich nämlich ebenso schön wie unglaubwürdig „Prinz Friedrich Wilhelm Barella“. Ein gewisser J. B. Molfenter, Buchhalter in Ulm a. D., preist ein chemisches Präparat an zur gründlichen Entfernung von Balggeschwülsten, Warzen, Linsen und sonstigen Hautauswüchsen. Dieses Präparat erwies sich als nichts weiter denn rohe, unreine Salzsäure. Nun unterliegt es ja keinem Zweifel, daß Warzen und ähnliche kleine Hautgebilde durch ein starkes Aetzmittel wie Salzsäure entfernt werden können; dagegen lassen sich die größeren derartigen Bildungen, namentlich die Balggeschwülste der Kopfhaut, durch ein Aetzmittel nur entfernen vermittelst einer langwierigen und unter Umständen recht gefährlichen und schmerzhaften Entzündung und Eiterung. Ueberdies ist es entschieden bedenklich, mit Salzsäure im Gesicht, in der Nähe der Augen zu wirtschaften. Für das Präparat, das ihn einige Pfennige kostet, läßt sich der auf die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit des Publikums spekulierende Verkäufer sechs Mark bezahlen!

Und nun zum Schluß noch ein Beispiel für jene eigene Art von Schiebungen, welche die Geheimmittelkrämer so gut verstehen. Vor einiger Zeit las man in Zeitungen von einem Mittel gegen Taubheit und Ohrensausen. Es war ein Herr M. Jakoby in Berlin, Grünstraße 17/18, der hiergegen das „Gehöröl von Oberstabsarzt Dr. Schmidt, verbessert von Dr. Deutsch,“ anpries. Nun ist dieses Oel eine Mischung von Cajeputöl, Kampferöl und Mandelöl, Substanzen, die zwar imstande sind, verhärtete Pfröpfe von Ohrenschmalz zu erweichen und ihre Entfernung vorzubereiten, dagegen bei tieferen Ohrenleiden und davon abhängigen Gehörstörungen völlig wirkungslos bleiben. Jakoby ließ sich für etwa 15 g dieses Gehöröls 4 Mark bezahlen, während der wirkliche Wert 20 bis 30 Pfennige beträgt. Gegen diese Ausbeutung erließ der Karlsruher Ortsgesundheitsrat eine Warnung, mit welchem Erfolg, das erfahren wir aus einer zweiten Bekanntmachung, welche etwa 5 Monate später von derselben Stelle ausging. Diese Bekanntmachung besagt: „In einer ‚Ohrenleidenden‘ überschriebenen Anzeige der ‚Badischen Presse‘ verspricht ein gewisser H. Wolter, Reichsbankbeamter a. D. in Charlottenburg, kostenlose Auskunft über ein vorzügliches Mittel, durch welches er von seinem langjährigen Leiden befreit wurde. Auf Anfrage erhält man ein Schreiben, in welchem für das ‚Oberstabsarzt Dr. Schmidtfche Gehöröl‘, verbessert durch Dr. M. Deutsch, zu beziehen aus der Kommandantenapotheke in Berlin, Reklame gemacht wird.“ Es war also einfach statt des Herrn Jakoby der Herr Wolter vorgeschoben.

Wenn diese Veröffentlichungen soviel erreichen, daß die namentlich aufgeführten Geheimmittel vom Markte verschwinden, weil sie keine Abnehmer mehr finden, so ist der Zweck nur halb erfüllt. Eigentlich sollte, und das ist unser Wunsch, die tiefere Wirkung erzielt werden, daß dieser ganze gemeinschädliche Schwindel ein für allemal den Boden im Lande verliert, daß jeder Zeitungsreklame, die irgend ein angeblich untrügerisches Heilmittel von dunkler Urheberschaft anpreist, ein unbedingtes Mißtrauen in allen Kreisen des Volkes entgegengesetzt wird. Dann erst werden jene Dunkelmänner, die so herz- und gewissenlos sind, der Menschheit Leiden für ihren Geldbeutel unter falschen Vorspiegelungen auszunützen, ihre Rechnung nicht mehr finden – das sicherste Mittel, sie zu vertilgen! ><     


Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte.[1]

Von Dr. P. Schellhas.
Die Moundbuilders in den Vereinigten Staaten.


Die geographische Verteilung der Kulturgebiete im heutigen Amerika ist eine ganz andere als in den Zeiten vor der Entdeckung, und kein Erdteil bietet einen so interessanten Gegenstand für die Erforschung der Ursachen menschlicher Kulturentwicklung, kein Erdteil hat aber auch eine so dunkle und schwierige Vorgeschichte wie die Neue Welt. Während in vorkolumbischer Zeit der einheimische Mensch den Höhepunkt seiner Gesittung in den Ländern Centralamerikas und in einigen Gebieten Südamerikas erreichte, liegt heutzutage der Schwerpunkt amerikanischer Entwicklung in den nördlichen Ländern des Erdteils, in den Vereinigten Staaten mit ihrem glänzenden Aufschwung. Von Mittel- und Südamerika und ihren alten Kulturländern, von dem großen mächtigen Aztekenreich in Mexiko, von den Inkas in Peru weiß jeder Gebildete, und diese Völker gehören mit demselben Recht in die „Weltgeschichte“ wie die Völker der Alten Welt und des klassischen Altertums. Weniger bekannt ist die Vorzeit Nordamerikas. Welchen Standpunkt nahmen die ursprünglichen Bewohner jener gewaltigen Länderstrecken der Vereinigten Staaten in früheren Jahrhunderten vor der Ankunft des weißen Mannes ein? Nicht nur die zahlreichen Leser der „Gartenlaube“ in den Vereinigten Staaten, auch die europäischen Leser wird angesichts des modernen Nordamerika mit seiner staunenswerten Entwicklung, seinen Riesenstädten, die in wenigen Jahrzehnten gleichsam aus der Erde wuchsen, seinem Eisenbahnnetz, das überall die Wildnis erschlossen hat, die Beantwortung der Frage interessieren: welche Völker lebten dort, bevor der Europäer das Land betrat, was hat der amerikanische Mensch auf diesem reichen Boden aus eigenen Kräften geleistet? Und damit betreten wir wiederum ein dunkles Gebiet der Menschheitsgeschichte.

Wem fielen nicht bei dieser Frage zunächst die romantischen „Indianergeschichten“ ein, die „Lederstrumpf-Erzählungen“, die er im Kindesalter verschlungen hat? Ist es nicht der „rote Mann“ gewesen, der als wilder Nomade jagend und Krieg führend die Urwälder und Prärien Nordamerikas durchstreifte, seine angestammten Jagdgründe? War nicht Nordamerika vor der Ankunft der Europäer eine Wildnis, mit ungeheuren Urwäldern und Prärien, in denen Indianerstämme lebten, die von keiner Kultur berührt waren, und die der weiße Eindringling erst in blutigen Kämpfen zurückdrängen mußte?

Gewiß gilt das von vielen dieser Gegenden für die Zeit, da die ersten Europäer dorthin kamen. Indessen ist das nicht immer so gewesen. Auch der jungfräuliche Boden Nordamerikas birgt uralte Denkmäler der Vorzeit, Denkmäler von einer Bedeutung, wie wilde Nomaden und Jäger sie nicht zurücklassen, und aus denen wir schließen müssen, daß auch in den Vereinigten Staaten einst Völker wohnten, die eine gewisse Kulturstufe erreicht hatten und weit über den heutigen Indianern standen. Ihre Geschichte, ihr Alter und ihre Stammeszugehörigkeit freilich liegt in tiefem Dunkel, und da sie hauptsächlich zahlreiche und zum Teil sehr bedeutende Erdwerke (Hügel, englisch mounds) als Spüren ihres Daseins zurückgelassen haben, so nennt man sie die „Moundbuilders“, die Hügelerbauer.

In einem großen Teile der Vereinigten Staaten, vom Michigansee bis hinunter nach Texas, der Halbinsel Florida und Kalifornien, finden sich zahlreiche Erdwerke, insgesamt viele Tausende, von der

  1. Vergl. Jahrg. 1894, S. 156.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_076.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)