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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


verschiedensten Art und der verschiedensten Größe. Ihr Hauptgebiet sind die großen Flußthäler des Mississippi in seinem oberen Lauf, des Missouri und des Ohio. Ganz besonders häufig sind sie im Staate Ohio, wo man allein über 10000 Denkmäler dieser Art zählt! Erde und lose übereinandergeschichtete Steine sind das Material dieser Bauten, die Steine bilden den festen Kern, über den die Erde aufgeschüttet ist. Bald sind es einfache Hügel, bald terrassen- und pyramidenförmige Anlagen, bald Wälle und andere Erdwerke von der verschiedensten Form, viereckig, kreisrund, oval etc. Manche erheben sich kaum einen Meter über die Erdoberfläche, andere sind bis zu 40 und 50 Meter hoch und haben mehrere hundert Meter Umfang und einen Rauminhalt, der nach Hunderttausenden von Kubikmetern zählt. Unsere Abbildung des 32 Meter hohen Manard Mound in Arkansas (Fig. 1) giebt ein Beispiel der imposanten Größe und der seltsamen Form mancher dieser Erdbauten. Wie viele Menschen mögen an diesen Werken gearbeitet haben und wie lange mag die Arbeit gedauert haben! Andere ziehen sich als Erdwälle von mäßiger Höhe meilenlang hin, und eine besonders merkwürdige Art sind Werke in Tier- oder Menschengestalt (siehe Fig. 2 und 9). Da sind riesengroße Bilder von Vögeln und Fischen, von Bären, Eidechsen, Schildkröten und anderen Tieren in charakteristischen und deutlich erkennbaren Umrissen. Nur solche Tiere sind dargestellt, die in der Neuen Welt einheimisch waren, keines der Tiere kommt vor, die erst durch die Europäer in Amerika eingeführt sind, wie das Pferd, das Rind oder das Schaf. Auf einem Hügel in Adams County in Ohio ringelt sich eine ungeheure Schlange von über 300 Metern Länge, aus einem Erdwall naturwahr nachgebildet.

Fig. 1. Der Manard Mound in Arkansas.

Welchen Zweck diese Erdwercke hatten, ist bei einer großen Anzahl leicht zu erkennen. Ein Teil von ihnen sind Grabstätten und bildet somit ein Seitenstück zu den „Hünen-“, bezw. „Hügelgräbern“ in Europa. In ihrem Innern findet man Skelette in steinernen Grabkammern, oft in beträchtlicher Menge, bis zu mehreren Hunderten, vielleicht im Kampfe gefallene Krieger, und mit ihnen die verschiedenen Gegenstände, die auch jene unbekannten Völker gleich vielen andern ihren Toten mit ins Grab zu geben pflegten. Andere Erdwerke haben unzweifelhaft als Befestigungen gedient und lassen in ihrer Anlage erkennen, daß die alten Moundbuilders bedeutende strategische Geschicklichkeit besaßen. Wieder andere sind anscheinend Tempel, Opferstätten oder Versammlungsplätze gewesen, und die Mounds in Tier- und Menschengestalt haben jedenfalls eine religiöse und symbolische Bedeutung gehabt.

Fig. 2. Charakteristische Formen
der Mounds.

Allerlei Gebrauchsgegenstände aus dem Zeitalter der Moundkultur sind in Menge aus diesen Erdwerken zu Tage gefördert worden, und sie geben uns ein ziemlich klares Bild der Kulturverhältnisse jener entlegenen Zeit. Vor allem sind es recht geschickt und geschmackvoll gearbeitete Thonwaren, Vasen, Schüsseln, Becher, Krüge und andere Trinkgefäße, in deren Herstellung diese unbekannten Völker eine besondere Kunstfertigkeit gehabt zu haben scheinen. Dann hat man zahlreiche Pfeifenköpfe, aus Thon geformt oder aus verschiedenen Steinarten wie Marmor, Schiefer, Porphyr geschnitzt, vorgefunden, die ebenfalls dafür Zeugnis ablegen, daß die Moundbuilders in der Herstellung von plastischen Gegenständen vielen Kunstsinn besaßen und über die rohen Nachahmungsversuche der Wilden weit hinaus waren. Ganz besonderes Geschick bethätigten sie in der Wiedergabe von Tieren, sie müssen gute Naturbeobachter gewesen sein. In wunderbar sorgfältiger Arbeit und überraschender Naturtreue verfertigten sie Pfeifenköpfe in Gestalt von Vögeln, Schildkröten, Bären und anderen Tieren (s. Fig. 3), ja auch menschliche Köpfe stellten sie mit charakteristischem Ausdruck und lebendiger Wiedergabe der Wirklichkeit dar. Gute Beispiele davon sind das in Figur 4 abgebildete Thongefäß in Form eines menschlichen Kopfes und die Pfeifenköpfe Figur 5 und 6, dieselben zeigen uns auch den Typus jenes unbekannten Volkes und lassen erkennen, daß es der Sitte des Tätowierens huldigte. Auch die Kunst des Webens war den Moundbuilders bekannt, wie die Reste von Stoff zeigen, die man hin und wieder in den Mounds fand.

Daß die Moundbuilders harte Steine so geschickt zu bearbeiten verstanden, ist um so bewunderungswürdiger, als ihnen, ebenso wie den hochcivilisierten Völkern Mittelamerikas, das Eisen gänzlich unbekannt war. Ihre Werkzeuge bestanden zum größten Teil aus Stein, von den Metallen bearbeiteten sie fast nur Silber und Kupfer. Reines Kupfer namentlich wurde vielfach zu Waffen zu Schmuck und anderen Gegenständen verarbeitet, und zwar in kaltem Zustande, durch mühsames Hämmern, da sich gediegenes Kupfer zum Schmelzen nicht eignet. Sie gewannen es aus Bergwerken, die man an den Ufern des Oberen Sees (Lake Superior) wieder entdeckt hat, und die einen überzeugenden Beweis davon liefern, daß die Moundbuilders in einem keineswegs niedrigen Kulturzustande lebten. Es ist höchst auffallend, daß die ältesten Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in diesem großen Gebiet der Vereinigten Staaten ihn gleich im Besitz des Metalls zeigen, während bekanntlich in Europa ein langer Abschnitt, das Steinzeitalter, vorhergeht, in welchem der urgeschichtliche Mensch lediglich den Stein als Werkzeug benutzte. Muß nicht auch den Moundbuilders eine ähnliche frühere Entwicklungsstufe vorangegangen sein? Aber wo sind ihre Spuren geblieben?

Fig. 3. Thonpfeife in Gestalt
einer Wildkatze.

In der That lassen alle Ueberbleibsel aus dem Zeitalter der Moundbuilders klar erkennen, daß sie auf einer höheren Kulturstufe standen als die heutigen Indianer. Freilich steht ihre Gesittung immer noch weit zurück hinter der jener Völker Centralamerikas, der Mayas oder der Azteken, von denen in den „Altamerikanischen Kulturbilderm“ (im Jahrg. 1892 der „Gartenlaube“) die Rede war, die Moundbuilders waren nur im Besitz einer Halbkultur. Immerhin waren sie jedenfalls keine Nomaden- und Jägervölker, die, in kleine Stämme zersplittert, ohne feste Ansiedelungen umherschweifen, sondern sie müssen ein einheitliches großes Volk gebildet haben, das feste Wohnsitze hatte und den Ackerbau betrieb. Denn ihre Niederlassungen sind am zahlreichsten in den fruchtbaren Flußthälern, und manche Anzeichen sprechen dafür, daß dort große volkreiche Wohnstätten bestanden haben, und daß die Moundbuilders ihre Ländereien gegen die Ueberschwemmungen der Flüsse durch Dämme zu schützen wußten. Auch Handel müssen sie getrieben haben, denn das Kupfer aus den Bergwerken am Oberen See kann nur im Wege des Handels bis nach Florida hin, über deutsche Meilen, verbreitet worden sein, wo es überall in den Mounds vorkommt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_077.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2020)