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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Freie gewährte, hinter sich zu und kam näher, um ihrem Herrn das bewußte Licht „aufzustecken“.

„Hm?“ machte der Doktor fragend, aber so billigen Kaufs wollte Mamsellchen ihn nicht davonkommen lassen.

„Guten Tag, Doktor!“ sagte sie ruhig.

Er seufzte ein wenig.

„Nun, was willst Du von mir, Alte? Geld?“

„Diesmal nicht. Ich denke, von dem Artikel hab’ ich Ihnen die letzte Zeit genug losgemacht! Nein, ich will bloß etwas fragen: werden die alle, die Fremden mein’ ich, noch lange hier bleiben?“

„Ich weiß nicht.“

„Haben sie nie ein Wort vom Abreisen gesagt?“

„Nein.“

„Dann bleiben sie auch hier, solange wir schön’ Wetter behalten, und das kann bis in den Oktober dauern.“

„Schon möglich.“

„Und wenn das so kommt, was werden Sie dabei thun?“

„Selbstverständlich nichts, Mamsellchen.“

„Sie werden es also leiden?“

„Ohne Zweifel.“

„So? Und die Wissenschaften? Und Ihre Arbeiten? Und Ihr Buch? Was soll daraus werden?“

„Das alles muß warten, bis es wieder still um mich ist!“ Damit setzte der Doktor das letzte Begonientöpfchen weg und begann bedächtig, von der Trittleiter herunterzusteigen.

„Können Sie sich aber denn über solche Gäste freuen? Können Ihnen die lieb sein? Leben Sie nicht in einer ganz andern Welt als all’ die Possenreißer?“

Wie zur Illustration von Mamsellchens Worten ging soeben Herr Trelow draußen würdevoll auf zwei hohen Stelzen vorüber. Er gewahrte die beiden hinter der Glasthür nicht und gab seinen Zuschauern eine unfreiwillige Schaustellung zum besten, indem er eine Stelze plötzlich fallen ließ und auf der andern weiterhüpfte, wozu er den Refrain eines bekannten Gassenhauers sang. Lautes Beifallsgeschrei, das aus der Tiefe des Gartens herüberscholl, belohnte ihn für diese Kunstleistung.

Doktor Röders Augen begegneten denen Mamsellchens, in welchen eine ausdrucksvolle Kritik zu lesen war. Sein Gesicht war sehr ernst. „Meine gute Alte, Du weißt, wie heilig meinen verstorbenen Eltern das Gastrecht war –“

„Gewiß, Doktor, ich weiß! Aber dann waren es gute Freunde oder Bekannte – sind das Ihre Freunde? Sie sind durch Frau Gabriele hierhergekommen –“

„Eben darum!“ fiel er nachdrücklich ein. „Es soll ihnen wohl hier sein, und sie sollen bleiben, so lange sie wollen. Frau Hartmann soll nicht denken, daß ich ihre Freunde nicht gern und willig bei mir aufnehme!“

„Glauben Sie, Doktor, daß unsere junge Frau, so apart und vornehm wie sie ist, mit denen befreundet sein kann? Das glauben Sie ja selbst nicht!“

Er schwieg eine kleine Weile, dann ermannte er sich. „Dem sei nun, wie ihm wolle – hier bleibt alles, wie es ist!“

„Aber wenn ich nun sehen muß, wie mein Herr nicht mehr arbeiten und nicht mehr Spazierengehen kann und nichts mehr thun, was ihn freut! Und sein ganzes schönes stilles Leben, das er sich so gewünscht hat, ist hin, unser ruhiges feines Haus wie ein Taubenschlag – und was für ’ne Sorte fliegt da aus und ein, – Herr Doktor werden doch wissen, daß das alles Leute vom Theater sind?“

„Woher hast Du das?“

„Gott, ich! Man braucht ja bloß ’nen Blick hinzuthun, dann hat man das weg! Und jetzt fällt es mir ein, damals wußt’ ich mir’s nicht recht zu deuten, aber einmal hab’ ich mit angehört, wie der Herr Schrader Frau Gabriele seine ‚liebe Kollegin‘ nannte und sie fragte, ob sie denn nie mehr zu ihrem Beruf –“

Weiter kam Mamsellchen nicht. Röder schnitt ihr mit einer energischen Gebärde das Wort ab. „Sprich nicht weiter, Mamsellchen! Ich wünsche nichts mehr davon zu hören. Das, was Du zufällig belauscht hast, ist weder für Dich noch für mich bestimmt gewesen, wir haben also nicht weiter darüber zu reden.“

„Aber können Sie das bloß glauben? Ich kann es nicht – nein, unsere zarte feine junge Frau – und eine vom Theater!“

„Was ich glaube und was Du denkst, fällt hierbei nicht ins Gewicht! Hattest Du sonst noch etwas zu fragen oder zu wünschen?“

„Ich? Gott, nein, wie sollt’ ich auch? Es war mir ja bloß darum zu thun –“

„Du kannst mir helfen, die Begonientöpfe in den Garten zu tragen – darum ist es mir jetzt zu thun!“

Die Alte sah ihm ins Gesicht und wußte genug. Das Herz zog sich in ihrer Brust zusammen, als sie die trüben Augen und den schmerzlichen Zug um den Mund sah. Eine alte Befürchtung, die sie schon gehegt hatte, noch ehe Frau Gabriele ins Haus gekommen war, stieg mit erneuter Stärke in ihr auf. Das fehlte ihrem Doktor noch – eine unglückliche Liebe! Das heißt, für Mamsellchen war es außer allem Zweifel, daß die junge Frau, sobald sie etwas von diesem Gefühl ahnte, es erwiderte, aber, du lieber Himmel, der Doktor konnte doch nie und nimmermehr „eine vom Theater“ heiraten! Der Begriff, den der alte Hausgeist mit diesem Wort verband, war so ungeheuerlich, daß ihr ein solcher Heiratsgedanke keinen Augenblick im Ernst kam. Für sie waren Seiltänzer, Cirkusreiter und Leute vom Theater ganz dasselbe, einen Unterschied kannte sie nicht.

Und so nahm sie ihre Schürze vors Gesicht, damit ihr Liebling es ja nicht sehen sollte, wie ihr die Augen feucht geworden waren, und dann trug sie ein Begonientöpfchen um das andere hinaus in den grellen blendenden Sonnenschein. Wozu nur die Sonne so wundervoll zu scheinen hatte!




11.

Am Mittagstisch ging es diesmal noch lärmender zu als sonst. Herr und Frau Trelow, oder, wie man sie hier fast nur nannte, „Adolfchen“ und „die schöne Miranda“, hatten gestern zufällig in der Stadt einige alte Bekannte aus früherer Zeit angetroffen, die auch mit dem Ehepaar Schrader und mit Konsky auf Du und Du standen – es hatte eine stürmische Erkennungs- und Begrüßungsscene gegeben, und nun wollte man heute irgend etwas gemeinschaftlich unternehmen. Es war einer der letzten Augusttage und so köstliches Wetter, wennschon etwas heiß – wer konnte wissen, wie bald die Witterung umschlug?

Aber nun wohin? Es entspann sich eine lebhafte Erörterung, so lebhaft, daß „Adolfchen“, um sich Gehör zu verschaffen in seine Kindertrompete, die er beständig bei sich trug, stoßen mußte. Das wirkte. Die Herren räsonnierten, die Damen hielten sich die Ohren zu und baten um Gnade. Der Trompeter hatte das Wort.

Er wußte einen wunderhübschen Vergnügungsort hier in der Nähe, mitten im Walde, ein kleiner See dabei – in einer Viertelstunde zu erreichen – vorzügliches Restaurant, kurz, ideal! Jemand meinte, das alles könne man ja weit bequemer hier in „Buen Retiro“ haben, Wald, See, ausgezeichnete Verpflegung – man lasse die Bekannten einfach hierherkommen, und die Sache sei fertig.

Röder stimmte kurz, aber höflich bei und stellte sein Haus wie den Garten zur Verfügung, allein seltsamerweise wollte weder Adolfchen, noch die schöne Miranda etwas davon wissen. Thatsache war, daß sich das Ehepaar Trelow in Buen Retiro doch immer einigen Zwang auferlegen mußte und danach strebte, auch einmal ohne jede Rücksicht auf den verbindlichen, sich stets in guten Formen bewegenden Hausherrn und Gabriele Hartmann, „die immer die Prinzessin spielen wolle“, sich bewegen zu können. Die alten, neuerdings aufgetauchten Bekannten waren auch keine Leute, die in den Rahmen von „Buen Retiro“ paßten, dieser Rahmen hatte immer seine Grenzen, und man lechzte danach, einmal so recht „grenzenlos“ vergnügt zu sein. Als daher Röder erklärte, er habe sich im Treibhause bei der Hitze Kopfweh geholt und könne sich an dem Ausflug nicht beteiligen, da ward diese Kunde zwar mit äußerlichem Bedauern aufgenommen, von den meisten jedoch mit Fassung ertragen. Es ergab sich, daß Telegraphieren oder sonstiges Benachrichtigen der in der Stadt Wartenden unnütz war, da „Adolfchen“ schon für alle Fälle seine Freunde nach dem besprochenen Vergnügungsort hinbestellt hatte, spätestens um halb fünf Uhr wollte man an Ort und Stelle sein.

Gabriele hatte gleich zu Anfang der Verhandlungen ihre Gegenwart zugesagt und nur halb erschreckt einen Augenblick aufgesehen, als der Herr des Hauses erklärte, daheim bleiben zu wollen. Seitdem hatte sie sich mit keinem Wort an dem Gespräch beteiligt, was weiter nicht auffiel, da die übrigen so lustig waren, daß niemand von ihnen den Beobachter spielte. Auch der Doktor war lebhafter, als es sonst seine Art war, er beauftragte Ewert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_087.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)