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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Innern zu suchen, schien ein abgleichendes Wort vorausschicken zu wollen …

„Nein!“ stieß sie endlich hervor.

„Das heißt,“ setzte sie nach einer atemlosen Pause hastig hinzu, „ich glaubte damals, ihn zu lieben. So schlimm meine Lage war, niemals hätte ich mich um äußerer Gründe willen entschließen können, die Frau eines ungeliebten Mannes zu werden. Frau Schrader, die ich in jener Zeit oft sah, könnte es Ihnen bestätigen, daß es lange dauerte, bevor … daß Hartmann mehr als einmal … verzeihen Sie mir, es muß häßlich klingen, was ich Ihnen sage, aber ich will die Wahrheit sprechen, die volle Wahrheit. Sie sollen wissen, ehe wir von einander scheiden, wer ich war und wer ich jetzt bin!“

„Ich weiß,“ sagte Röder halblaut, „daß Ihr Gatte mehrmals um Sie werben mußte, daß er Sie leidenschaftlich liebte und daß Sie zum Nachgeben nicht zuletzt durch den Gedanken bestimmt wurden, es könnte bei seinem erregbaren Temperament ein Unglück geschehen!“

„Also hat Frau Leopoldine es Ihnen gesagt? Sie hatte recht, es war so. Er war ein leidenschaftlicher Mann, eifersüchtig – und so liebte er mich – ganz rasch war alles gekommen, mir viel zu rasch, zu plötzlich. Ich konnte sein Gefühl nicht erwidern, es war mir beklommen zu Mut in seiner Nähe, mir fehlte das Vertrauen zu ihm. Wenn er neben mir saß, mich aus seinen heißen Augen ansah, dann kam es wie Angst über mich, ich konnte kein rechtes Herz zu ihm fassen, und ich sagte ihm das. Er wollte warten, wiederkommen, alles thun, was ich wollte, aber seine stürmische Liebe ließ das nicht zu. Er konnte bitten, flehen, überreden – mein Gott!“

Wie überwältigt legte Gabriele eine kleine Weile die Hand über die Augen.

„Er war auch beim Theater, er hatte eine wunderschöne Stimme. Ich sollte nicht mehr zur Bühne, ich sollte nichts mehr sehen und hören von der Oper, wenn ich nicht wollte, ich sollte leben wie eine Prinzessin, jeden Wunsch würde er mir erfüllen! Er könne nicht mehr leben, wenn ich ihn nicht erhörte, sein ganzes Dasein sei zerstört, ob ich dafür die Verantwortung tragen könne? Nein, ich konnte es nicht, ich war gerührt, besorgt um ihn, ich sagte mir, eine solche Liebe fände sich nicht zum zweitenmal, eine Liebe, die zugleich mein Rettungsanker wurde … und ich sagte Ja!“

„Wurden Sie glücklich, Gabriele?“

Sie schüttelte langsam und traurig den Kopf.

„Er hat mich verwöhnt und geliebt, aber auch gequält und gepeinigt mit Mißtrauen, mit Eifersucht, mit Vorwürfen über meine Lieblosigkeit und Kälte; ich kam nie zur Ruhe neben ihm. Wir hatten Stunden der Freude und des Genusses – Stunden des Glücks aber, die habe ich nicht gehabt. Ich klage ihn nicht an, denn er konnte nichts für sein ungestüm wallendes Blut, aber ich kann auch mich nicht anklagen, da ich mich redlich bemühte, ihn glücklich zu machen und selbst glücklich zu sein. Wir paßten nicht zu einander, das war alles. Sein ewiges Mißtrauen verletzte mich zu sehr; ich habe manchen Fehler, das aber weiß ich, daß man mir vertrauen kann. Und das Leben, das wir führten, nur von Sängern und Schauspielern umgeben, so ganz nur im Rahmen des Theaters – es widerte mich mehr und mehr an, trotzdem ich selbst nicht mehr aufzutreten brauchte. Und als Willibald dann starb nach langem entsetzlichen Kampf, ich ihm die müden Augen endlich zudrücken durfte, da waren es doch wieder diese gutherzigen Menschen des Theaters, die mich über Wasser hielten, die mir halfen, soviel es in ihren Kräften stand. Darum bin ich ihnen Dank schuldig, ob ich auch vieles an ihnen mißbilligen muß, und darum danke ich auch Ihnen, der Sie, ohne zu fragen und zu klagen, diesen allen Ihr Haus geöffnet und eine schöne frohe Zeit bereitet haben. Ich – wenn ich nun gehe, werde es nie vergessen, was Sie mir gewesen sind …“

Gabrielens Stimme wurde unsicher, sie setzte noch einmal zum Sprechen an, aber es war umsonst.

„Und warum wollen Sie fort?“ fragte der Doktor leise.

„Warum? Weil ich es nicht länger mit ansehen kann, wie Ihnen Stimmung, Arbeitsfreudigkeit, Zeit und Lebensgenuß geraubt wird! Weil ich weiß, daß das Dasein, das Sie jetzt führen, für eine Natur wie die Ihrige gar kein Dasein genannt werden kann. Und da ich überzeugt bin, daß kein einziger von allen denen, die jetzt Ihre Gastfreundschaft genießen, Miene machen würde, zu gehen, so lange ich noch hier bin … nun gut, so muß ich mit jenen zusammen gehen, zu denen ich doch fortan wieder gehöre!“

„Gabriele! Sie können, nach allem, was Sie mir soeben mitgeteilt haben, ernstlich daran denken, zur Bühne zurückzukehren?“

„Muß ich denn nicht? Bleibt mir eine andere Wahl? Ein Beruf, den man ohne Neigung ausübt, bleibt freilich immer ein trauriger Notbehelf, aber ich kann ja nicht anders. Ein Leben, wie es meinem Sinn und meiner Neigung entspricht, kann ich nicht führen –“

„Und welch ein Leben wäre das?“ fiel Röder ihr ungestüm ins Wort.

„Ein friedliches ruhiges Dasein voll geistigen Strebens und stiller Erholung in der Natur, ein Leben, nach dem niemand in der großen Welt fragt, von dem niemand weiß – ach, Sie wissen, Sie wissen, was ich meine: ein Leben, wie ich es hier in ‚Buen Retiro‘ führen durfte in der ersten Zeit.“

„Und meinen Sie, das würde Ihnen auf die Dauer genügen?“

„Genügt es Ihnen denn nicht?“

„Sie dürfen sich mit mir nicht vergleichen. Ich habe mich, wenn ich so sagen darf, ausgelebt – gottlob ist weder mein Geist noch mein Gemüt erstorben, ich vermag noch vieles zu genießen, mich für einiges zu begeistern, ich kann noch Liebe und Freundschaft empfinden – ich meine aber, die Freuden, welche die Welt mir bieten kann, die habe ich ausgekostet, ich habe sie durstig genossen und habe finden müssen, daß eine Natur wie die meine bald davon satt wird. Ich darf mein inneres Gleichgewicht nicht verlieren, und als ich fühlte, daß Gefahr dazu vorhanden war, bin ich hierher nach ‚Buen Retiro‘ gegangen mit der Absicht, hier mein Leben zu verbringen. Die Fäden, die mich mit der Welt verknüpfen, sind nicht abgeschnitten, aber sie liegen lose in meiner Hand, und, wie ich einmal bin, werde ich sie mir wohl niemals ganz entgleiten lassen, jedoch auch nie wieder sie so fest anziehen, daß eine dauernde Verbindung entsteht. Sie aber, Gabriele, Sie sind so jung noch – was hat Ihnen das Leben bisher gebracht, das Sie zu einem solchen Verzicht berechtigt?“

„Mehr als genug, übergenug! Ich habe geselliges Treiben und Verkehr gehabt zum Ueberdruß, in Batavia sowohl als auch bei den Verwandten in Brüssel, ich habe mehr Festlichkeiten in einem Monat besucht als andere deutsche junge Mädchen in einem Jahr, ich habe zahllose Menschen gesehen und gesprochen, mein Verstand verdankt ihnen manches, meine Erfahrung vieles, mehr, als es meinen jungen Jahren gut ist … doch was haben sie meinem Herzen gegeben? Und in der kurzen Zeit meiner Ehe – meinen Sie nicht, ich hatte mehr Gelegenheit, Welt und Leben kennenzulernen als hundert Frauen meines Alters? Ich bin keine Menschenfeindin, da sei Gott vor, aber ich bin nicht die Natur, die der Stürme, der Vergnügungen und Aufregungen bedarf. Das Schicksal hat es nicht gut mit mir gemeint, es wirft mich steuerlos auf hoher See umher, und ich sehne mich nach dem Hafen.“

„Wäre ich zehn Jahre jünger, als ich es bin, Gabriele, ich spräche Ihnen von allem was mein Herz bewegt, und ich böte Ihnen ein Heim am ruhigen Ufer.“

Röder sagte es langsam, wie aus einem Traum sprechend, ohne Erregung – es mußte klar werden zwischen ihm und ihr.

„Ich könnte Ihnen ja anbieten,“ fuhr er fort, als sie nichts erwiderte, „bei mir zu bleiben, es zu versuchen, wie lange Sie das Stillleben, das mir zum Bedürfnis geworden ist, teilen könnten. Aber das darf ich nicht, um meiner Ruhe willen nicht, ich müßte Sie denn bitten, allein in ‚Buen Retiro‘ zu bleiben und mich wieder hinauswandern zu lassen in die Welt. Denn wenn wir zusammen hier blieben, Gabriele, dann müßten Sie mein Eigen werden, da ich Sie liebe – nein, nein, erschrecken Sie nicht – ich wollte Ihnen nur erklären, warum ich ungastlich erscheinen muß – ich weiß ja, es ist nicht möglich –“

Was war nicht möglich? In demselben Augenblick, da er es aussprach, war das Unmögliche geschehen, hielt er Gabriele in seinen Armen. – –

Sie haben oft beide später gemeinsam darüber nachgesonnen, wie es doch eigentlich kam, daß sie sich gefunden hatten, aber die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_106.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2021)