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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


doch gewaltig ab. Blitzgeschwind mußte sie zwischendurch an ihr gutes Vaterl in Salzburg denken, der so „delikat“ in seinen Gefühlen war. Was der wohl dazu sagen würde?

„Ich habe gemeint,“ sagte sie mit geröteten Wangen und etwas spitz, „für die Künstler ist erst die Kunst die Hauptsache und lang’ nachher kommt das Geld. Es scheint, das ändert sich auch mit der Mode!“

„Na,“ sagte Volkhard, indem er die Cigarrenasche in eine schön getriebene Metallschale streifte, „die Mode ist schon ziemlich alt, wir haben sie nur in Deutschland ein bissel spät von den anderen überkommen. Uebrigens, Kunst und Geld gehören zusammen, Tonerl. Da braucht’s kein Nacheinander zu geben, das Miteinander ist immer das Beste.“

„Wie Figura zeigt,“ lachte Scholz mit einer bezeichnenden Rundbewegung seiner Hand gegen das Zimmer.

„Passiert!“ erwiderte Volkhard gleichmütig. „Was man eben zum Leben braucht. Aber da geht einmal zu dem Pereda und betrachtet Euch seine neuen Prunkgemächer, so ’was habt Ihr hier noch nicht gesehen von indischem und persischem Zeug. Ganz famos!“

„Ja,“ erwiderte Hachinger in einem aus Bewunderung und Neid gemischten Ton, „der mit seinen orientalischen Aquarellen, der kann freilich Preise machen.“

„Er kann Bilder machen,“ ergänzte Volkhard, „und überhaupt ist er ein Prachtkerl. So lange wir noch ein paar solche haben, so lange kann man lachen zu dem Gewinsel um den ‚Niedergang der Kunst‘.“

Toni hörte ohne besonderen Anteil diesen Reden zu. Sie wußte noch nichts von dem in München neuerdings aufgegangenen Stern, dem jungen Niederländer spanischer Herkunft, dessen große Aquarelle, Meisterstücke der Technik und zugleich Manifestationen einer machtvollen künstlerischen Persönlichkeit, ihrem Urheber rasch den Platz unter den anerkanntesten Größen der Kunststadt verschafft hatten. Unter die gesellschaftlichen reihte er sich selbst kurzer Hand ein und war bereits vor Ablauf des Winters Gegenstand des allgemeinsten Interesses geworden. Wer ihn nicht persönlich kannte, hatte ihn wenigstens einmal auf prächtigem Pferd neben schönen Damen reiten sehen oder hatte von dem sündhaften Luxus seines Junggesellenheims reden hören, vielleicht auch sonst noch allerhand – kurz, der Name: Adrian Pereda hallte von vielen Lippen wieder, ohne daß sein Träger sich scheinbar im geringsten darum kümmerte.

Dies alles wurde, als bekannt, im Verlauf des begonnenen Gesprächs nicht erwähnt, die Herren kamen vielmehr ausschließlich auf Peredas Bilder zu sprechen und die Damen fingen an, an andere Sachen zu denken.

Toni hatte schon während der letzten Minuten aufmerksam der seltsamen Hantierung zugesehen, welche Frau Resi nach eigenommenem Kaffee vorgenommen hatte und eifrig betrieb. Sie hatte eine Anzahl großer Knopfformen mit Goldfaden überhäkelt, nun zog sie die Schale mit Zigarrenasche über den Tisch zu sich her und fing an, die glänzenden Knöpfe darin zu reiben, bis sie ganz stumpf wurden.

„Damit sie alt aussehen!“ beantwortete sie die stumme Frage in Tonis erstaunten Augen. „Das neue Gold würde zu gemein glänzen. Den Sammet zu meinem Mieder hab’ ich auch famos hergerichtet, erst gewaschen, dann mit einer scharfen Bürste bearbeitet, daß er die schönsten Spiegel bekam. Das war ein guter Rat, Hachinger! Jetzt sieht er ungeheuer echt aus, so ein schöner verschossener alter Purpur!“

„Uebrigens“ – fuhr sie lebhaft fort, „weil wir doch gerade beisammen sind: zieh’ doch einmal das Bauernkleid an, Toni, daß man sieht, wie Dir’s steht, ich hab’s einen Tag lang gelüftet,“ wandte sie sich lachend an ihren Mann. „Der Dachauer Truhengeruch war mir doch ein bissel gar zu natürlich. Komm, Toni, ich will Dir helfen, es muß Dir prächtig stehen!“

Dies alles fiel wie Blitz und Donner auf die arme Toni nieder. Sie machte freilich noch einen letzten Versuch, auf das beiseite gesetzte Bauernkostüm zurückzukommen, hörte dasselbe aber alsbald von der Schwester mit Ausdrücken charakterisieren, die ihre letzte Hoffnung niederschlugen, und ergab sich also resigniert in ihr Schicksal.

Eine Anwandlung von Verzweiflung erfaßte sie indessen gleich darauf, als sie im Volkhardschen Schlafzimmer das rasch herbeigeschaffte „G’wand“ der Frau Base vor sich ausgebreitet sah: den faßartigen Tuchrock, die fürchterlichen Keulenärmel, die Haube, unter welcher ihr schönes braunes Haar bis aufs letzte Fädchen verschwinden sollte; und die schlimme Empfindung wich nicht, trotzdem Resi beim Anlegen jedes neuen Stückes: Ausgezeichnet! Wunderschön! rief. Diese drückte ihr zum Schluß noch einen Eierkorb und einen großen roten Regenschirm in die Hände, führte die ganz Vernichtete ins Eßzimmer binunter und rief unter der Thüre triumphierend aus: „Da schaut einmal her! Ist das nicht echt?“

Die Männer sprangen auf. „Famos!“ rief Hachinger. „Schauts nur die braunen Augen unter den Haubenspitzen hervor, wie das zu einander steht!“

Und Volkhard setzte hinzu. „Tonerl, so mußt Du mir sitzen, wenn das Fest vorbei ist, das giebt ein nettes Bild.“

„Fein!“ sagte Scholz. „Ganz fein!“

Toni ließ zwischen den Bewundernden durch, die sie umstanden, die Blicke in den gegenüberhängenden großen Spiegel fallen, ob etwa ein geheimes Wunder in ihrem Aussehen geschehen sei? – Ach nein, da stand sie so gerade wie droben, kurz, dick, krummbucklig in dem gräßlichen Mieder, ein kläglicher Anblick! Aber was war das? … Ueber ihrem eigenen Kopf spiegelte sich ein zweiter, fremder, mit sonderbaren dunklen Augen – sie fuhr herum und mit ihr die anderen, als im gleichen Augenblick eine tiefe Stimme sagte:

„Guten Abend, meine Verehrten. Und Verzeihung, wenn ich ohne ‚herein‘ eintrete: ich habe redlich angeklopft. Darf man die Kostümprobe mit ansehen?“

„Pereda!“ rief Volkhard erfreut und streckte diesem die Hand hin. Auch Frau Resi begrüßte den schlanken, vornehm aussehenden Mann mit beflissenerer Höflichkeit, als es sonst ihre Art war, und die anderen folgten ihrem Beispiel. Nur die arme Dachauerin wider Willen stand stumm, vernichtet unter der Last der ihr auferlegten Häßlichkeit und sah kaum vom Boden auf, als Resi, ihre Hand ergreifend, sagte:

„Wir ziehen gerade mein Schwesterchen Toni zum Künstlerfest an.“

„Oh!“ – es konnte ebensogut Mitleid als Bewunderung sein, was in diesem langgezogenen Tone klang. Toni fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, und jetzt hob sie ihre Augen und funkelte den Fremden mit einem so großen zornvoll leuchtenden Blick an, daß dieser sofort einen der Beachtung werten Gegenstand unter diesem Berg von muffigem Tuch und altem Leinenzeug zu ahnen begann.

„Aber gnädige Frau,“ wandte er sich an Resi, „warum stecken Sie denn das Fräulein in solch ein plumpes Bauernkleid? Das ist doch wahrhaft schade – gestatten Sie mir die freimütige Bemerkung.“

Die Stimme eines Retters vom Himmel!

Toni horchte mit Entzücken auf ihren vibrierenden Klang, auf die etwas fremdartige Betonung der Worte. Und als sie jetzt noch einen raschen Blick auf dies beherrschende Gesicht warf, dessen dunkle eindringliche Augen und kräftig gewölbte Lippen zu dem Ausdruck großer Energie der übrigen Züge das ihrige beitrugen, da ging ihr eine starke Hoffnung der Erlösung auf.

„Es ist so echt,“ wandte mittlerweile ihre Schwester ein, „und wir finden, es paßt so gut zu der Kleinen.“

„Darüber eine Ansicht zu haben, ist mir vor der Hand unmöglich,“ versetzte Pereda, indem er einen zweiten forschenden Blick unter die überhängenden Haubenspitzen bohrte, „– man sieht ja von dem Fräulein selbst so gut wie gar nichts.“

Jetzt aber faßte Toni rasch ihren Entschluß. Mit einer kurzen Bewegung nahm sie Korb und Schirm zusammen, sagte sehr entschieden: „Da Ihr mich nun hinreichend gesehen habt, kann ich wohl gehen, mich umzuziehen!“ und war im nächsten Augenblick zur Thüre hinaus.

Die Zurückbleibenden setzten sich nieder, Pereda nahm Kaffee und Cigarre an, dann wandte er sich an Volkhard und sagte:

„Ihr Münchener seid schrecklich mit Eurer Echtheit. Stecken Sie doch das hübsche Kind in irgend etwas Nettes – es giebt ja doch noch allerhand Graziöses in dem Zug: Blumen, Libellen, Zigeunerin, wenn Sie wollen, aber doch nicht in solch einen barbarischen Bauernrock, den man ohne Schauder nicht ansehen kann!“

Die Hausfrau machte ein säuerliches Gesicht. Das fehlte gerade

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_135.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)