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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

dazu, ein unverschämter, listig blinzelnder Bursch, das Gegenteil seines Liedes – der übliche Teppichfetzen wird auf das nackte Erdreich vor der Schenke gebreitet und mir die Summe meiner Vergangenheit, Gegenwart und mutmaßlichen Zukunft gezogen in einer – mag man’s nehmen, wie man will! – stellenweise unheimlich zutreffenden Art! Nicht aus den Linien der Hand wahrsagt Lalé, sondern aus den dürren Bohnen. Die alte Zigeunermutter bringt sie ihr in einem schmutzigen Musselinsäckchen; sie befragt mich vor allem nach meinem Taufnamen, wiederholt ihn sofort laut und völlig dialektfrei und nimmt nun aus ihrem Säckchen soviel der dürren braunen Bohnen, wie er Buchstaben nach türkischem Alphabete zählt. Zwischen die braunen Bohnen mischt sie eine silberne für die guten Tage, eine schwarze Tonkabohne für die bösen. Damit treibt sie nun das anmutigste Spiel und begleitet es mit einer erstaunlichen Lebhaftigkeit der Gebärden. Bald lächelt sie mich verstohlen an und schlägt zwinkernd die Wimpern auf und nieder, bald schreckt sie zurück, indem sie die leicht hingeworfenen Bohnen sichtet, legt, schiebt und – die kleine dunkle Hand halb gegen die kurze Stirn geschmiegt, halb in den rabenschwarzen Lockenwust geschoben – betrachtet. Dann hebt sie die Lider langsam – die größte Tragödin könnte das nicht schöner und studiert natürlicher machen – senkt einen feuchten schmelzenden Blick in den meinigen, bis sie meine Aufmerksamkeit völlig an sich gezogen hat, und dann streckt sie mir die Hand hin mit unverkennbarer Geste: „Bak, madama! aman, Madama!“ Das ist des Pudels Kern! Immer noch ein Silberstück soll ihr die Hand kreuzen, ein Brotbringer, ein Schmuckspender für Lalé, „ein Glückbringer für mich, für meine Kinder und Kindeskinder, bis ins vierte Glied, für die Mutter, die mich geboren hat, und für den Vater, dessen Stolz ich bin bis in sein hohes Alter.“

„Er lebt schon lange nicht mehr!“

„So wird er für Deinen Platz sorgen dort, wo Du nach Deinem Tode weiter zu leben meinst! Gieb mir noch einen Beschlik (5 Piaster), Madama, und laß mich sehen, ob Du Glück hast mit dem Manne, den Du liebst!“

Ich schüttle den Kopf und stecke meine Börse ein. „Deine Bohnen irren sich – ich bin Witwe – seit Jahren.“

Sie hebt die silberne Bohne und lacht wie eine Tolle. „Du lügst! Du bist ein Weib und ich auch! Wir leben mit der Liebe, wir sterben mit der Liebe, Blumen blühen aus unserem Staube, Disteln der Rache, Nesseln der Eifersucht. Eine wie alle! Ihr kalten Weißen verschweigt es – wir andern genießen es! Gieb – gieb und achte nicht auf jenen, der Dein Sohn sein kann und Dich meistern möchte!“

Mein Chiot zupft mich am Aermel und macht die Hand der prophezeienden Circe los, die mich an den Kleiderfalten zurückhält. Sie schimpft hinter uns drein und hetzt uns die wilde kleine Koboldschar nach, mitsamt ihrem gestohlenen Tamburin und dem drolligen Handtrommelchen. Das eine von ihnen verliert sein erbärmliches Lumpenkittelchen, das ihm nur noch über der einen Schulter hing, von zwei oder drei morschen Fäden zusammengehalten. Er schlüpft heraus, läßt’s mitten im Gassenschmutz liegen und stiebt, sowie ihn Gott erschaffen hat, hinter uns drein, sein „Rom“ gellend, die Zigeunersprache. Noch als wir die ersten Häuser des Fanar bereits zur Seite haben, hören wir es deutlich. Es verklingt erst, als wir um die Ecke biegen und den Klopfer gegen eine saubere, hellgraue Gartenthür fallen lassen. Hier ist mein Chiot daheim und die wilde Poesie geht in ein stilles und schlichtes Idyll über, das in seiner ruhigen Anmut von feinsten Reize ist.

Kesselflicker im Balat.   Zigeunerin.

Hinter dem grauen Thore ein altmodisch angelegtes Gärtchen voll der geliebten altmodischen Blumen aus meiner eigenen Jugendzeit, Goldlack, Sternblumen, Eisenhut, Levkojen und streifige, zerflatternde Bandrosen, hohe Lilien in Fülle. Dazwischen – sehr fremdartig erscheinend – eine schöne Musa, und die Beete von vollblühendem Lavendel und silberner Levantina, einem würzigsüß duftenden Kraute, eingefaßt. Im Garten ein niedriges und doch luftiges Häuschen, blitzblank, man hätte von Fußböden und Treppenstufen speisen können, nichts Einladenderes nach dem „Höllenbreughel“ im Balat als diese wohlgehaltenen, hellbezogenen Diwans an den Wänden des Wohnzimmers entlang.

Da ist sie ja, „des schönen Sohnes schönere Mutter“! Dies Wort trifft wahrlich zu! Die uns entgegentritt, ist eine prachtvolle Greisin, ein Kameenkopf mit seiner edlen, geraden Nase, die, nach dem Vorbilde antiker Büsten, eine Linie mit der niedrigen und doch nicht unbedeutenden Stirn bildet. Die Uebermacht des grauen Haares hängt, von schwarzem Kopftuche gebändigt, starkgelockt darunter hervor in den Rücken, und das bezaubernde Lächeln der hochgeschürzten Lippen, das mich willkommen heißt, die tiefen schwarzen Augen, deren Blick an des Sohnes schlanker Höhe voll Wohlgefallen und Stolz hängen, haben sich mir eingeprägt zum Nievergessen. In Konstantinopel und seiner Umgebung habe ich bis jetzt die schönsten Menschenkinder gesehen.

Ich werde in eines der Erkerchen geführt – es hat einen zauberischen Ausblick aufs Goldene Horn hinaus – meiner Wirtin jungverheiratete Tochter kommt herein. auch eine abgeschwächte Kopie ihrer Mutter, rund und lieblich, eine naive Schönheit. Und nun bewirten sie mich mit dem Allerbesten aus ihrer Vorratskammer, mit starkem Kaffee und Chokoladekonfitüren, schwarzen Oliven, frischem Wasser, safttriefenden Citronenscheiben dazu, und zum Schluß die unvermeidliche Cigarette. Dabei lispeln sie ihr Neugriechisch und fragen mich mit rührender Beflissenheit und rührender Geistesunschuld nach „Europa“ aus, und irgend einer ihrer gütigen Götter, der meiner harmlosen Muse vielleicht noch ein bißchen verwandt ist, giebt mir’s ein, daß ich den Sinn des weichen Gelispels ungefähr erfasse und mich mit „malista“ und „occhi“ – „ja“ und „nein“, mit „efcharisto“ und „sasperikalo“ – „bitte“ und „danke“ und einigen ähnlichen Stich- und Schlagworten aufs angenehmste in die Unterhaltung mische.

Kurzum, wir sind ein sehr heiteres und liebevoll vereintes vierblätteriges Kleeblatt, und als nun gar die Enkelkinder vorgeführt werden: ein stämmiger, dreijähriger Petro und eine goldige zweijährige Chrysso, da erreicht die Seelenharmonie ihren Gipfel. Denn die Herzblättchen zeigen sich zutraulich – „und sie sind sonst so scheu wie Täubchen vor dem Habicht, Kyria (Herrin)!“ versichert mich die Großmutter – sie sitzen zwischen uns auf dem Diwan, baumeln mit den dicken Beinchen und erhöhen das allgemeine Vergnügen. – Endlich aber heißt es doch Ade! Die Sonne wird schon rötlich und die Kaïks dort drunten fliegen mit verdoppelter Schnelligkeit über die Wasser dahin, deren Blau sich allgemach in ein entzückendes Rosa-Violett verwandelt. Noch eine kurze halbe Stunde und der Muezzinruf zum Abendgebete wird von den Minaretgalerien ertönen. Wir lassen unser Idyll im Rücken und durcheilen die merkwürdig schweigsamen und melancholischen Straßen des alten Fanar. Vor einem der palastartigen Häuser steht ein uniformierter Grieche in der Fustanella, deren schneeiges Weiß sonderbar gegen die düstere Umgebung absticht. Sonst begegnen wir keiner Seele. Einen Augenblick treten wir noch in eine uralte kleine Kirche byzantinischen Stils mit romanischen Anklängen, reich an Säulen und goldenem Schnitzwerk, voller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_172.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)