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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Unter den 144 bekannten Vogelarten von Formosa finden sich keine besonders bemerkenswerten Formen, sie sind teils identisch, teils nahe verwandt mit indischen und südchinesischen Arten, nur eine einzige Gattung ist für die Insel charakteristisch.

Ueber die Reptilien, Amphibien, Weichtiere und Insekten ist wenig bekannt geworden, sie scheinen sich nahe an die Species der Liu-Kiu-Inseln anzuschließen, für welch letztere der Reichtum an Eidechsen und Schlangen sowie an prächtigen Schmetterlingen meist zu indischen und himalayanischen Arten gehörig, charakteristisch ist.

Was nun die menschlichen Bewohner von Formosa betrifft, so zerfallen diese, wie bereits erwähnt, in zwei verschiedene Elemente, die eingeborenen malayischen Stämme und die chinesischen Eindringlinge.

Formosa war den Chinesen schon von alter Zeit her bekannt; bereits im Jahre 605 v. Chr. wurde ein Mandarin beauftragt, die Insel zu erforschen. In nähere Berührung mit Formosa kamen dann die Chinesen im Jahre 1430 durch Schiffbrüchige ihres Volkes, und seit der Zeit haben wahrscheinlich kleinere Ansiedelungen von ihnen auf dieser Insel bestanden. Zahlreiche Kolonisten kamen indes erst herüber, als die Mandschu im Jahre 1644 die chinesische Mingdynastie über den Haufen warfen und Peking einnahmen. Damals flohen viele Chinesen nach dem sichern Formosa, ließen sich zunächst an der Westküste nieder, verwandelten die Wildnis in fruchtbare Plantagen und drangen immer weiter ins Innere vor, die eigentlichen Besitzer der Insel, die Malayen, die übrigens auch in alten Zeiten von Süden her eingewandert sind, gegen die Ostküste und in das Gebirge zurückdrängend.

Gegenwärtig finden wir die letzteren, wie schon gesagt, nur noch in der gebirgigen östlichen Hälfte der Insel. Sie leben hier in stetem Kriege untereinander, einig sind sie nur in einem Gefühl, und das ist der glühende Haß gegen die Eindringlinge. Gelingt es ihnen, einmal einen Chinesen gefangen zu nehmen und in ihre Berge zu schleppen, so ist ein qualvoller Tod diesem gewiß. Nur am Westabhang der Gebirgskette sind die Eingeborenen etwas civilisierter, sie bebauen hier, untermischt mit Chinesen, die Aecker und häufig finden auch Mischehen zwischen beiden Völkern statt, wobei sich wiederum stets die Richtigkeit der alten oft gemachten Erfahrung bewährt, daß die diesen Mischehen entsprossenen Kinder immer mehr Merkmale des chinesischen Typus als des malayischen besitzen.

Hier in den Grenzgebieten zeigt sich natürlich überall mehr oder weniger der Einfluß der chinesischen Kultur. Die wild gebliebenen Stammesgenossen dagegen leben noch heute unter denselben Verhältnissen wie schon vor Jahrhunderten; ihre strohbedeckten Hütten bestehen aus Rohr und Bambus, Speer, Bogen und Pfeil sind ihre Hauptwaffen und ihre Nahrung liefern ihnen Jagd, Fischfang und – allerdings in sehr geringem Umfange – der Ackerbau.

Die neuen Ansiedler, die Chinesen, haben, wie nicht anders zu erwarten war, oft genug Versuche gemacht, die Bergstämme zu unterwerfen, ohne daß es ihnen jemals gelungen wäre.

Die Chinesen, welche Formosa oder „Taiwan“, wie sie es nennen, bewohnen, unterscheiden sich in nichts von ihren Landsleuten aus dem Mutterlande. Der Erwähnung wert dürfte höchstens die Angabe sein, daß die formosanischen Chinesen sich verhältnismäßig gut zu Soldaten eignen sollen.

In dem Zusammenhang, in welchem wir hier die Insel betrachten, sind ihre Produkte von hervorragender Bedeutung. Da ist in erster Linie der Reis, welcher als ganz besonders vortrefflich gilt, und der Zucker. Japan deckt seinen Zuckerbedarf fast ganz aus Formosa, und zwar sind es besonders deutsche Schiffe, die den Transport vermitteln. Der Hauptausfuhrhafen ist Taiwanfu für beide Produkte, zu diesen kommen noch Bohnen, Oel u. a. m. Fast ebenso bedeutend, wie der Handel von Taiwanfu, ist der von Takao, das nur wenig weiter südlich gelegen ist und in kürzester Zeit durch eine Eisenbahn mit ersterem Hafen und der Landeshauptstadt verbunden sein wird. Zu Reis und Zucker kommen hier als Exportartikel noch Südfrüchte hinzu. Das in der Nähe der Hauptstadt gelegene Tamsui exportiert neben den schon genannten Produkten vortrefflichen Thee, Kampfer und namentlich in großer Menge Schwefel aus den unweit gelegenen Minen von Hobei, ferner Indigo, Hanf und Petroleum. Von großer Wichtigkeit ist endlich noch die vierte im Nordosten gelegene Hafenstadt Kilung wegen der bedeutenden in der Nähe befindlichen Steinkohlenwerke. 1884 machten im französisch-chinesischen Kriege die Franzosen einen Versuch, die Gruben zu nehmen, der aber fehlschlug, sie erlitten vielmehr selbst vor Tamsui eine Niederlage. Vorstehende kurze Aufzählung dürfte genügen, den Wert, den Formosa für die Japaner haben würde, hinlänglich zu illustrieren.

Viele hundert Japaner wandern jährlich nach den Sandwichinseln aus; wäre Formosa im Besitz Japans, so würde die japanische Auswanderung sich hierher wenden, und diese Kräfte würden dem Vaterlande erhalten bleiben. Die von den Chinesen eingeführte Kultur würde so wenig zerstört werden, wie dies auf den Liu-Kiu-Inseln geschehen ist, im Gegenteil: sie würde sich unter japanischer Leitung nur noch mehr heben. Und was der veralteten und verrotteten Bewaffnung und Kriegführung der Chinesen nie gelungen ist, das würde der japanischen Kriegstüchtigkeit gelingen: die Unterwerfung der Eingeborenen und die Erschließung des von ihnen bewohnten Gebietes.

Es liegt nahe, am Schluß dieser dem mutmaßlichen Siegespreis der Japaner gewidmeten Betrachtung noch der Frage näher zu treten, welche von beiden kriegführenden Parteien von uns als Europäern die größere Sympathie verdient. Ich sage: „von uns als Europäern“, denn als Angehörige des Deutschen Reiches haben wir keinen Grund, uns für das Wohl und Wehe einer der kriegführenden Nationen besonders zu erwärmen. In hervorragender Weise Gutes oder Böses haben uns weder die Chinesen noch die Japaner jemals zugefügt, unsere Handelsbeziehungen mit beiden Völkern sind sehr bedeutend, und Sieg oder Niederlage der einen oder andern Macht wird in dieser Beziehung nichts ändern. Koloniale Interessen endlich besitzen wir in jenen Gewässern keine.

Für den etwa in Yokohama oder Shanghai etablierten Kaufmann ist die Frage nach – sagen wir – Vorliebe oder Abneigung rasch abgethan; er antwortet ohne Besinnen: „dem Chinesen gebührt der Vorzug“, und von seinem Standpunkte hat ein solcher Beurteiler vollständig recht: der Chinese ist entschieden ein besserer, zuverlässigerer Kaufmann als der Japaner, und in Geschäftssachen ist mit dem ersteren weit leichter zu verkehren als mit dem letzteren. Diesem kaufmännischen Urteil haftet indes eine große Einseitigkeit an.

Unsere handelsbeflissenen Landsleute in den offenen chinesischen und japanischen Häfen kommen dort eben nur mit ihren mongolischen Berufsgenossen in den Hafenplätzen in Berührung und die Wenigsten haben die Gelegenheit oder geben sich die Mühe, das eigentliche Volk im Innern des Landes kennenzulernen. Dasselbe Schicksal teilt mit ihnen der sogenannte Globetrotter, der „Erdumtraber“, der vielleicht 3 bis 4 Tage in Yokohama und Kobe zugebracht hat und sich nun herausnimmt, in Wort und Schrift sein Urteil über den Charakter, das Familienleben, die Sitten etc. des japanischen Volkes abzugeben.

Die Chinesen sind in der That eine sehr intelligente Nation; in diesem Urteil sind alle einig, denen die Verhältnisse auch nur einigermaßen bekannt sind. Den Kompaß, das Schießpulver, die Buchdruckerkunst haben sie früher erfunden als wir Europäer. Sie sind tüchtige Arbeiter, denen keine Mühe zu groß ist, sofern sie nur bezahlt wird, und was Genügsamkeit anbetrifft, das erste Volk der Erde. Sie sind sparsam bis zum Geiz, welche Eigenschaft sie freilich nicht hindert, nach einem jahrelangen anstrengungs- und gewinnreichen Leben in Singapore oder San Francisko ihr erworbenes Vermögen bei der Ankunft in Shanghai oder Hongkong in der ersten besten Spielhölle in kürzester Zeit bis auf die letzte Kupfermünze wieder zu verlieren. In dieser Beziehung haben übrigens die Japaner viel Aehnlichkeit mit den Chinesen; daß in einer fidelen Nacht im Theehaus Haus und Hof verspielt wird, ist auch in Japan keine Seltenheit.

Den genannten guten Eigenschaften der Chinesen stehen aber manche schlechten gegenüber. Da ist zunächst ihre maßlose Unreinlichkeit zu nennen, die sich ebensowohl bei Vornehmen wie bei Geringen findet. Bekannt genug ist ferner die Mordlust, Grausamkeit und Tücke der Chinesen, die Bestechlichkeit ihrer Beamten vom Minister und Vicekönig bis zum Polizisten, die sklavische Gesinnung, der man in allen Volksklassen begegnet, endlich ihr diebischer, perfider Charakter, von dem jeder Reisende, der das Innere Chinas betreten hat, ein Lied zu singen weiß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_207.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)