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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ein Künstlerkleeblatt.

(Mit den Bildnissen auf S. 261.)


Wenn wir aus der Zahl der jüngeren Darsteller der deutschen Bühne, unter denen sich so viele anerkennenswerte Talente befinden, das auf der Vorderseite dieser Nummer abgebildete Künstlerkleeblatt herausheben, so geschieht es nicht nur deshalb, weil diese drei gegenwärtig zu den gefeiertsten Schauspielern zählen, sondern auch, weil sie thatsächlich für die Kunst der Gegenwart in ihrem Gebiet besonders hervorragende Vertreter sind. Es ist begreiflich, daß die Darsteller der feurigen Liebhaberrollen auf die empfänglichen Gemüter der Mädchen und Frauen den größten Eindruck machen; der Lebenskreis, in welchem sich ihre Gefühle und Gedanken bewegen, wird ja hauptsächlich von diesen Darstellern vertreten, und wenn jene für das hinreißende Dichterwort noch zugleich den Zauber einer anziehenden Persönlichkeit einsetzen, so müssen sie ja auf der ganzen Linie triumphieren. Daher kommt es, daß für unser Künstlerkleeblatt in der Frauenwelt ein besonders reges Interesse besteht, welches sogar bisweilen den gerechten Maßstab der Beurteilung etwas zu gunsten dieser „Jugendlichen“ verrückt hat. Wir kennen nicht die Geheimnisse der Schreibsekretäre, wir können nicht die Huldigungen in Vers und Prosa, nicht die Rosabriefchen und Schleifchen und Haarlöckchen kontrollieren, mit denen stille Bewunderung und leidenschaftliche Verzücktheit die Künstler heimgesucht hat; wir wissen nicht, in wie vielen Boudoirs die Bilder derselben zu andächtiger Verehrung aufgestellt sind, doch das wissen wir, daß nach den Aufführungen, in denen sie mitgewirkt haben, sich öfters das ganze weibliche Publikum in eine große Claque verwandelte und die Begeisterung desselben weit über das Maß hinausging, das an gewöhnlichen Theaterabenden üblich ist. Doch die Begeisterung für Kunst und Künstler, die wie jeder Enthusiasmus etwas Epidemisches hat, hängt mit den edelsten Strebungen und Richtungen unseres Gemütes zusammen und wenn sie auch einmal das rechte Maß überschreitet – wir möchten nicht wünschen, daß die Ansteckungsfähigkeit dafür je erlösche.

Der erste dieses Kleeblatts, Josef Kainz, hat, ganz abgesehen von seinen künstlerischen Leistungen, schon wiederholt von sich reden gemacht: einmal durch seine Beziehungen zu König Ludwig II. von Bayern, deren wir in unserem Blatte bereits gedacht haben (s. Jahrg. 1886, Nr. 27), dann durch seinen Konflikt mit dem Direktor des Berliner Theaters, Ludwig Barnay. Josef Kainz ist am 2. Januar 1858 zu Wieselburg in Ungarn geboren als einziger Sohn eines Staatseisenbahnbeamten; auf den Wunsch seines Vaters versuchte er sich als Schauspieler auf dem Wiener Sulkowskitheater und wurde dann Schüler der Wiener Hofburgschauspielerin Kupfer-Gomansky-Heigel. Ein Probegastspiel vor Dingelstedt und den Regisseuren des Burgtheaters hatte die Folge, daß er von August Förster für das Leipziger Stadttheater engagiert wurde, das dieser im Juli 1875 übernehmen sollte. Bei einem Gastspiel am Kasseler Hoftheater, welches Kainz in der Zwischenzeit unternommen, machte er trübe Erfahrungen; er wurde als völlig unreif entlassen. Und nicht besser erging es ihm in der Theaterstadt an der Pleiße; er debütierte mit wenig Erfolg und wurde, wie er selbst in seinen eigenen Aufzeichnungen sagt, eine Zielscheibe des Spottes für fast alle Theaterbesucher Leipzigs, wegen seiner affenartigen Gebärden als Liebhaber. Doch die Zeit der Niederlagen endete bald – und zu den ersten Siegen verhalfen ihm die „Meininger“. Er war im August 1876 am Hoftheater zu Meiningen als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ aufgetreten, wurde auf drei Jahre engagiert, zog mit ihnen durch die deutschen Lande und errang 1879 seine ersten großen Erfolge in Berlin als Prinz von Homburg und als Kosinsky in Schillers „Räubern“. Am Wiener Stadttheater spielte er dann den Melchthal mit solchem Gelingen, daß ihn Laube sofort engagierte, doch noch ehe Kainz die Stellung angetreten, legte Laube die Direktion nieder. Durch Possart an das Münchener Hoftheater berufen, machte er unter der genialen Leitung desselben große Fortschritte in seiner Kunst und wurde von ihm der „Societät“ des „Deutschen Theaters“ in Berlin empfohlen. Bei der Eröffnungsvorstellung am 19. September 1883 spielte er den Ferdinand in „Kabale und Liebe“, bald darauf den Don Carlos, eine Glanzleistung des Darstellers, die außergewöhnliches Interesse erregte. 1886 verheiratete er sich mit der deutsch-amerikanischen Schriftstellerin Sara Hutzler, die ihm 1893 durch den Tod entrissen wurde. 1889 trat er in den Verband des „Berliner Theaters“, ein Schritt, der für ihn schlimme Verwicklungen und trostlose Verhältnisse zur Folge hatte. Denn bei einem Konflikt zwischen ihm und dem Direktor Barnay gab das Schiedsgericht des Kartellverbandes dem letztere recht und Kainz wurde von allen Bühnen, die dem Verband angehören, geächtet. Er mußte durch Gastspiele an kleinen Theatern und durch Vorlesungen, zu denen in Berlin die begeisterte Frauenwelt strömte, sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Oskar Blumenthal, der nicht dem Verbaud des Bühnenvereins angehörte, öffnete ihm die Pforten des Lessingtheaters in Berlin und er spielte dort den Willy Janikow in „Sodoms Ende“. Dann reiste er nach Amerika zu einem Gastspiel, das ihn nach New York, Chicago und Milwaukee führte. Zurückgekehrt nach Berlin, wurde er von L’Arronge, der zu diesem Zweck aus dem Kartellverband ausgetreten war, wieder dem Deutschen Theater gewonnen, nachdem Kainz 20000 Mark an Barnay gezahlt hatte. Hier wagte er seinen ersten Versuch als Charakterdarsteller und spielte den Franz Moor mit gutem Erfolg. Auch in seinem Hamlet traten erfolgreich Eigenschaften seines Talents hervor, die im Charakterfach erst Gelegenheit zu voller Entfaltung haben. Unter der neuen Direktion des „Deutschen Theaters“, die im vorigen Jahre Otto Brahm übernahm, hat er sein Rollengebiet in dieser Richtung erweitert.

Josef Kainz hat keine Heldenfigur, das Heroische liegt ihm fern; aber schwärmerische Liebhaber, zartbesaitete Charaktere mit einem leidenschaftlichen Zug, von einer lebhaften Jugendlichkeit, in welcher bisweilen noch das Knabenhafte durchblickt, auch junge Helden, die von der bleichen Farbe der Reflexion angekränkelt oder die innerlich zerrüttet und schwankend sind, Rollen, welche dabei geistige Beherrschung und Durchdringung verlangen – das sind die Aufgaben, die er mit seiner Persönlichkeit deckt und in denen er Vorzügliches leistet. „Eine schlanke Gestalt, jede Bewegung geschmeidig und anmutig, ein blasses, nicht schönes, aber geistvolles, von nervöser Lebendigkeit durchzucktes Gesicht, in welchem ein Paar dunkler, jetzt schwärmerisch blickender, jetzt feurig aufleuchtender Augen eine wundervoll beredte Sprache führt, eine warme sonore Stimme, welche jeder seelischen Empfindung den überzeugendsten Ausdruck leiht,“ so hat ein deutschamerikanischer Kritiker die Erscheinung des Künstlers und die Mittel seiner Kunst treffend charakterisiert. Frei von allem Deklamatorischen, sucht er seinen Gestalten charakteristische Lebenswahrheit zu geben. Darin gelang ihm der glücklichste Wurf mit seinem Don Carlos, den er mit einer fast kindlichen Jugendlichkeit spielt, als einen unverdorbenen, aber auch unreifen Jüngling, der nervös überreizt in dem Banne der Leidenschaft liegt. Von dieser Auffassung ausgehend, stattet er seine Rolle mit einer großen Zahl von eigenartigen Zügen aus, von denen keiner aus dem Gesamtbilde herausfällt. Seine feurige Beredsamkeit an der Leiche Posas im letzten Akt hat etwas Hinreißendes. Auch sein Romeo hat eine scharf ausgeprägte Jugendlichkeit und wird ganz von seiner Leidenschaft wie von einer unwiderstehlichen dämonischen Macht beherrscht, er weiß seiner Darstellung einen so hinreißenden Zug zu geben, daß das Publikum diese Macht mitempfindet. Sein Prinz von Homburg, für dessen träumerisch nervöses Naturell Kainz wie geschaffen erscheint, der feurige, stürmische Ferdinand in „Kabale und Liebe“, der übermütige Prinz Heinz in „Heinrich IV.“, der Ernesto in Echegarays „Galeotto“, der von Akt zu Akt an Bedeutung wächst, der Marcus in „Arria und Messalina“ mit seiner Liebesglut und seinem innern Kampf, vor allem der König in Grillparzers „Jüdin von Toledo“ – jede dieser Rollen bedeutet für den Künstler einen als Bühnenereignis gewürdigten Triumph, den er auf der Bühne davongetragen.

Der zweite Künstler unseres Dreiblatts, Adalbert Matkowsky, preußischer Hofschauspieler, stammt von den baltischen Gestaden, er ist am 6. Dezember 1859 in Königsberg, der Stadt der „reinen Vernunft“, geboren und hat dort seine Gymnasialbildung erworben. Man erzählt sich, daß Alexander Strakosch, als sich Matkowsky ihm vorstellte und um ein Urteil über seine schauspielerische Befähigung bat, ihm jedes Talent absprach. Doch Matkowsky ließ sich durch dies ablehnende Urteil nicht entmutigen, er nahm in Berlin Unterricht und beteiligte sich an den Vorstellungen der Liebhabergesellschaft Urania. Ohne lange an kleinen Theatern Spießruten laufen zu müssen, fand er schon 1877 ein Engagement am Dresdner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_266.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2021)