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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

das Gute und Aussichtsvolle zu nehmen, wo es sich nur immer bietet, so müssen auch wir Deutschen im Binnenlande dem Seemannsstand schon mehr Aufmerksamkeit schenken als früher, wo man dieses Feld getrost den Bewohnern der Küstenländer allein überlassen konnte.

Soweit nur die Handelsmarine in Betracht kommt, könnte man das, allgemein genommen, auch jetzt noch. Die Leute in den Hafenstädten sind mit den Verhältnissen der Seefahrt völlig verwachsen, sie wissen auch, daß der Seemannsberuf sich nur für sie eignet, solange sie im Vollbesitz ihrer Gesundheit und Manneskraft sind. Werden sie erst einmal Halb- oder Ganzinvaliden, so müssen sie sehen, mit Hilfe des Ersparten am Lande einen anderen Beruf zu ergreifen, denn zum Rentner bringen es doch nur sehr wenige Glückliche, denen es gelungen ist, als Schiffsführer ein bescheidenes Vermögen zu sammeln. Diese Fälle sind aber zu selten, um hiermit irgendwie rechnen zu können, weit häufiger kommt es vor, daß irgend ein Unfall, eine Krankheit den Seemann zu weiterem Schiffsdienst untauglich macht, oder daß ein Schiffsführer, der sein Fahrzeug auf der See verliert, für immer brotlos wird. Mag er auch völlig schuldlos sein am Verlust des Schiffes, so betrachtet man ihn immerhin als „Pechvogel“, und bei dem Andrang von Kandidaten stellt der Reeder lieber einen anderen an. Da bleibt dann dem in doppelter Beziehung Schiffbrüchigen nur übrig, zu sehen, wie er auf dem Lande fortkommt, naturgemäß in den Hafenstädten, in den der Schiffahrt verwandten Gewerben, in welchen der dort Heimische mit seinen Beziehungen zu entsprechenden Kreisen am ehesten auf Erfolg hoffen darf. Diese Beziehungen und Protektionen stehen dem Hafenstädter auch viel leichter zu Gebote für das Vorwärtskommen als Offizier (Steuermann) und Kapitän der Handelsmarine als dem in Seemannskreisen gewissermaßen nur als Eindringling angesehenen Binnenländer, dem das Seeleben – schon als Schiffsjungen oft – bedeutend schwerer gemacht wird als dem „vollberechtigten“ Plattdeutschen.

In der Kriegsmarine liegen die Sachen ganz anders. Ihre ununterbrochene Vermehrung, die ja noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat, erfordert von Jahr zu Jahr mehr Kräfte, intelligente und thatkräftige junge Leute, denen bei guter Schulbildung oder tüchtiger Fachbildung als Maschinenbauer, Schlosser und dergleichen eine hoffnungsvolle Zukunft blüht. Bei wirklicher Tüchtigkeit kommen sie schnell vorwärts und in späteren Jahren in Beamtenstellen die ihnen mehr bieten als die meisten Erwerbszweige in anderen abhängigen Verhältnissen.

Die Einführung in die Marinelaufbahn (vom eigentlichen Seeoffizier sprechen wir später) kann in verschiedener Weise geschehen. Da haben wir zuerst die Schiffsjungenabteilung der Kriegsmarine. Aufgenommen werden nach Verhältnis der vorhandenen Vakanzen Knaben mit guter Elementarschulbildung im Alter von – nach den neuesten Bestimmungen – 16 Jahren. Sie müssen kräftig von Wuchs, von guter Gesundheit sein, mit fehlerfreiem Gehör und Gesicht (auch nicht farbenblind) und guten Sprachorganen. Wurden sie bei der Untersuchung (aus irgend einem Bezirkskommando) für tauglich befunden, so werden sie notiert und bei nächster Gelegenheit mit den nötigen Papieren, als Schulzeugnis, Geburtsschein und väterlicher Erlaubnis, nach Kiel geschickt, wo sie bisher drei, seit Einführung des neuen Dienstreglements in diesem Jahr aber nur zwei Jahre als Schiffsjunge zu lernen haben. Den ersten, etwa sechs Monate dauernden Unterricht erhalten sie in der Kaserne, dann auf einer etwa ebensolangen Sommerfahrt in unseren Küstengewässern. Darauf geht es auf eine längere Reise auf einem großen Schulschiff, das gewöhnlich mit 400 bis 500 Schiffsjungen bemannt ist, in die Oceane hinaus. Bei der Rückkehr ist der nun zum Matrosen oder Obermatrosen Ernannte verpflichtet, weitere sieben statt der bisherigen neun Jahre in der Kriegsmarine zu dienen. Drei Jahre entsprechen seiner Militärdienstpflicht, die weiteren vier Jahre gelten als Gegenleistung an den Staat für die empfangene Ausbildung. Nach diesen sieben Jahren erhält er mit dem Civilversorgungsschein die Berechtigung, als Beamter angestellt zu werden, und je nach seiner Befähigung und den erworbenen Kenntnissen in irgend einem Specialfache, zum Beispiel als Zahlmeister, im Feuerwerks- oder Werftdienst, sucht er nun ein Amt, kann daran denken, eine Familie zu gründen, und sich ein sorgenfreies Alter schaffen.

Da die eigentlichen Kriegsschiffe (mit Ausnahme weniger Schulschiffe, die nur Segel führen) mit einer immer größer werdenden Anzahl von Maschinen ausgerüstet sind, wächst auch das hierzu notwendige technische Personal und damit die Aussichten für die schon bezeichneten Handwerker, die am vorteilhaftesten bei einem tüchtigen Maschinenschlosser lernen und bei erreichtem militärpflichtigen Alter freiwillig in die Marine eintreten und nach erlangter Anstellungsberechtigung ebenfalls den Weg offen haben zu Stellen im Aufsichts- und Verwaltungspersonal der Werften der Marine.

Wir wollen hierbei gleich bemerken, daß die Soldverhältnisse in der Marine auch vom Matrosen an bis zum „Deckoffizier“ (der im Rang etwa den Oberfeuerwerkern der Artillerie, den Zeugfeldwebeln, Wallmeistern etc. gleichsteht) sich bedeutend günstiger stellen als in der Landarmee. Wenn vom hohen Solde auch vielfache Abzüge für Kleider und Menage gemacht werden, kann der Chargierte der Marine doch bei einiger Sparsamkeit mit seinen Effekten, die sämtlich Eigentum des Betreffenden sind, einen Ueberschuß ansammeln. Auch giebt es noch für vielerlei Posten Nebeneinnahmen, die bei längeren Reisen zu ganz erklecklichen Beträgen anwachsen.

Das spätere Fortkommen in der Kriegsmarine kann aber auch eingeleitet werden durch den Dienst in der Handelsflotte, und zwar in folgender Weise. Der Knabe, von dem natürlich wieder vorausgesetzt werden muß, daß er körperlich und geistig zum Seemann geeignet ist, wird, mit den schon bezeichneten Papieren versehen, in eine Hafenstadt, zum Beispiel nach Hamburg, in das Seemannshaus gebracht. In diesen Anstalten – die Hamburger ist auf einer wallähnlichen Anhöhe unmittelbar am Elbstrom gelegen und bietet dank der Unterstützung von seiten der Seehandel treibenden Kreise Hamburgs dem am Lande weilenden Seemann gegen billiges Kostgeld gute und bequeme Unterkunft – wird auch in jeder Weise für die Knaben gesorgt, die sich dem Seemannsberuf widmen wollen. Im Seemannshause befindet sich nämlich auch die Musterungsbehörde, vor welcher die Heuerverträge (Dienstverträge) mit den Mannschaften abgeschlossen werden. Der die Engagements vermittelnde Agent (Heuerbaas) geht auch den Angehörigen der zukünftigen Seeleute mit sachverständigem Rate zur Hand, indem er letztere den empfehlenswertesten Schiffen zuweist und den Angehörigen gleichzeitig die nötigen Auskünfte über die Ausrüstung der Schiffsjungen giebt. Im Seemannshause stehen die Knaben bis zu ihrer Einschiffung unter einer zweckdienlichen Aufsicht; hier befinden sich das Seemannsspital, die Navigationsschule und andere seemännische Institute.

Am besten geht der Knabe sofort als Decksjunge zur See. Als solcher erhält er etwa 15 Mark monatliche Heuer (Gehalt) und lernt den Schiffsdienst gründlich. Nicht so empfehlenswert ist die Verheuerung als Kajütsjunge (Steward), weil er hier – besonders auf größeren Schiffen – vorzugsweise zur Bedienung des Kapitäns verwandt wird, also mehr Kellner als Seemann ist. Ueberdies ist hier die Heuer niedriger als beim Decksjungen.

Beim Verheuern hat auch der Schiffsjunge die Wahl, ob er es erst einmal mit einer kürzeren Reise von drei bis vier Monaten versuchen will oder ob er eine solche auf Jahre hinaus – nach Indien, China etc. – vorzieht. Empfehlenswert bleibt wohl das erstere, denn vom Lande aus sieht sich für den Unerfahrenen der Schiffsdienst doch immer weit harmloser und gemütlicher an, als er sich in der Wirklichkeit darstellt. Die erhoffte Romantik des Seefahrens schrumpft sehr zusammen bei der oft recht schweren und unsauberen Arbeit, den vom Schiffsdienst unzertrennlichen Entbehrungen an Nachtruhe bei einer wenn auch kräftigen, aber sehr einförmigen Kost und einer oft recht unsanften Behandlung von seiten der Vorgesetzten. Jedenfalls ist es besser, bei zu arger Enttäuschung nach einer kürzeren Seereise – deren Beendigung auch das Engagement aufhebt – den „verfehlten Beruf“ mit einem zusagenderen zu vertauschen. Der Schiffsjunge auf den Handelsschiffen hat, wie schon erwähnt, seine Ausrüstung selbst zu beschaffen. Da nun von einer eigentlichen Uniform hier nicht die Rede ist, so kann manches an Jacken und Hosen, die für derbe Arbeit sich eignen, und an wollenen langen Strümpfen und Unterkleidern von Hause aus mitgebracht werden. Im anderen Fall stellt sich die im Hafenort für eine dreijährige Reise zu beschaffende Ausrüstung, an der auch Bettzeug und Eßgeschirr nicht fehlen darf, auf 200 bis 300 Mark.

Nach zweijähriger Fahrzeit avanciert der Schiffsjunge zum Leichtmatrosen mit einer Heuer von 30 bis 40 Mark. Nach wieder zwei Jahren wird er Vollmatrose. Seiner gesellschaftlichen Stellung nach steht er nun jedem ausgelernten Handwerksgesellen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_274.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2021)