Seite:Die Gartenlaube (1895) 276.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Gemeinsamkeit. Von Hamburg kommend, wo sie sich gesammelt hatten, trafen sie mittags um 1 Uhr, gerade als die Professoren empfangen wurden, in Friedrichsruh ein, und nun begann unter den festlichen Klängen der Musik der Aufzug vor der Terrasse des Herrenhauses, voran die Chargierten in Wichs, das gold- und silbergestickte Cerevis oder das federumwallte Barett auf dem Haupte, den blinkenden Schläger in der Hand, über der Brust die bunten Schärpen in den Farben ihrer Verbindung. Die Banner sämtlicher Universitäten flatterten im Sonnenlicht in einer besonderen Aufstellung. An die Verdienste der Burschenschaft um die Pflege des vaterländischen Gedankens in trüber Zeit erinnerte es, als ein Burschenschafter, der Bonner Alemanne Bruch, das Wort ergriff, um namens dieser glänzenden Vertretung von Deutschlands akademischer Jugend dem Fürsten Bismarck, als er nun mit seinen anderen Gästen und den Familienangehörigen auf der Terrasse erschien, den Glückwunsch darzubringen. Und jetzt kam direkt von den Lippen der Jugend der Schwur, festzuhalten an dem Reich, das unter so schweren Kämpfen errungen wurde. Diesem Schwure entsprechend klang die bedeutungsvolle Erwiderung des Fürsten in der Mahnung aus. Ohne Kampf kein Leben... Nur muß man in allen Kämpfen einen Sammelpunkt haben. Der Sammelpunkt ist für uns das Reich!

Aus der Fülle farbenprächtiger, von Begeisterung und frischester Lebenslust durchglühter Scenen, welche sich später aus dem Verkehr zwischen Bismarck und seinen jugendlichen Gästen ergaben, hat der Zeichner unsres Bildes eine festgehalten. Beim Klange der alten Studentenlieder, beim Anblick der fröhlichen Zecher ringsum überkam den greisen Jubilar, der einst selber in froher Jugendzeit bei Klang und Sang und vollen Bechern von ganzem Herzen Student gewesen ist, die alte Lebensfreudigkeit, die, seit es für ihn so einsam in Friedrichsruh wurde, dort nur noch ein seltener Gast ist. Nach dem Gesange des Schmiedenschen Festlieds hatte er sich von seinem Stande herunterbegeben, die Chargierten begrüßt und, die Reihen abschreitend, einzelne mit freundlichen Fragen und Bemerkungen bedacht. Dann kehrte er auf die Terrasse zurück und hier wurde ihm das erste Glas mit dem Ehrentrunke gereicht, den eines der Fässer spendete, die als Geburtstagsgeschenke in Friedrichsruh so zahlreich eingetroffen waren. Er hob es grüßend gegen die jubelnde Versammlung, dann leerte er es auf einen Zug mit einem Hoch auf die deutsche Studentenschaft. Sie hat es in der That au diesem Tage vortrefflich verstanden, durch ihre Einmütigkeit ein Bild deutscher Einheit dem Mann vorzuführen, dem es gelungen ist, unter möglichster Schonung der Sonderinteressen der einzelnen deutschen Stämme, ein einiges Deutsches Reich neuzubegründen.

Der Anfang eines Romans. (Zu dem Bilde S. 265) Bücher haben nicht nur ihre Schicksale, sie gestalten auch Schicksale. An Homers Heldenliedern entzündete sich der Thatendrang Alexanders des Großen: von kleinen Büchlein ging der Anstoß zu so mancher Bewegung aus, die auf das Kulturleben ganzer Völker und Zeiten umgestaltend gewirkt hat. Schlummernde Neigungen und Leidenschaften bringt der Eindruck einer Dichtung dem Lesenden zum Bewußtsein, aus Romanen und Dramen wachsen der Jugend Ideale und Idole für das eigene Wollen und Streben entgegen. Eine der schönsten Episoden in Dantes „Göttlicher Komödie“ erzählt uns, wie sich über der Lektüre des „Romans von Lancelot“ die Herzen des edlen Paolo Malatesta und der unglücklichen Francesca von Rimini fanden – „in jener Stunde lasen sie nicht weiter“, und moderne Dichter haben wieder den Eindruck dieser Erzählung des Dante auf moderne Menschen zum Motiv neuer Liebesromane gemacht. So werden alte Romane zum Vermittler für die Liebesneigung junger Herzen und regen zu neuen Romanen an – erdichteten und erlebten. Ja, die Dichter sind treue Helfer in allen Herzensnöten und ein Geständnis, das direkt nicht von den Lippen will, läßt sich leicht in Dichterworte kleiden, die gar mächtig wirken, wenn man sie vorliest am rechten Ort und zur rechten Zeit.

So hat auch der Held des Romans gedacht, dessen reizvollen Anfang unser Bild uns belauschen läßt. In einem Buche hat er ein Kapitel gefunden, das mit hinreißender Kraft die Gefühle schildert, die sein Herz so machtvoll bewegen, seit er die Eine kennt, die ihm heute Erlaubnis gewährt hat, sie auf einem Spaziergang in den nahen Wald zu begleiten. Er hat das Buch mit auf den Weg genommen und draußen in lauschiger Einsamkeit, da fand er auch den rechten Ort und die rechte Zeit. Voll Eifer liest er ihr vor, was in fremden Worten sein eignes Empfinden bekennt, und mit frohem Lächeln hört sie zwischen den fremden Worten sein eigenes Herz reden. Aus dem Anfang des erdichten Romans erblüht den glücklichen Beiden der Anfang eines neuen, ihres eigenen Romans, den das Leben dichtet. Möchte das Ende desselben dem schönen Anfang gleichen! Pr.     

Eine nordamerikanische Schenkstube. (Zu dem Bilde S. 269.) Es ist wenig mehr als ein Jahrzehnt her, daß in Berlin und anderen großen Städten Deutschlands die sogenannten „Stehbierhallen“ aufkamen. Die Idee dazu brachte irgend ein findiger Geschäftsmann von „drüben“, aus Amerika oder aus England, dem klassischen Lande dieser Schankbüffette, die man im Englischen „bars“ nennt. Jedenfalls dauerte es nicht lange, und die Stehbierhallen waren Kneipen wie andere Kneipen auch. Daß man in ihnen Bier für zehn Pfennig und desgleichen für zehn Pfennig appetitlich zubereitete Frühstücksbrötchen bekam, die man sich direkt vom Büffetttisch holte, war nichts eigentlich Neues: der Arbeiter und der Droschkenkutscher bekam in den „Destillen“ sein Glas Bier, seine Stulle, seine Wurst, seinen Klops, Hering oder Käse längst „for’n Groschen“. Die Stehbierhalle war nichts weiter als die „Destille“ für die wohlhabenderen Gesellschaftsschichten, für Bürger und Studenten. Im übrigen ging’s in ihnen zu wie sonst in deutschen Kneipen. Deutschem Gemüte gemäß ist es ja, beim Biere behäbig zu sitzen, dabei zu politisieren, Skat zu spielen, gemächlich seinen Frühstücks- oder Abendimbiß herunterzugabeln.

Wie ganz anders die amerikanische Bar. Da ist der Gast wirklich genötigt, seine Erfrischung stehend einzunehmen. In der Art des englischen Geschäftslebens, der Einteilung des Arbeitstages liegt ihre Notwendigkeit begründet. Der Angestellte, der Kaufmann und sonstige Geschäftstreibende tritt morgens seinen Dienst an und bis zum „dinner“ das er um sechs Uhr einnimmt, geht er seinem Berufe nach. Unterwegs, während er irgend einen Geschäftsgang macht, tritt er in eine solche „Bar“ ein und nimmt so im Vorübergehen sein „lunch“ ein, da es eine richtige Frühstückspause für ihn kaum giebt. So prägt sich das „time is money“, das als Wahl- und Wahrspruch des Amerikanertums gilt, auch in dem Wesen einer „Bar“ aus. Schweigend, allenfalls mit einem stummen Kopfnicken, das einen Gruß bedeuten soll, jedenfalls aber mit allen Zeichen der Geschäftseile, betritt der Besucher die Bar. Die Hände in den Hosentaschen, den Hut auf dem Kopfe, tritt er an den Schanktisch. Der Büffetier errät schon aus der Ellbogenbewegung, was der Gast wünscht, aus welchem Hahn das Bier gezapft oder ob ein Whisky gereicht werden soll. In manchen Bars giebt’s ein sogenanntes „free lunch“: belegte Brötchen, Käse, kaltes Fleisch, Shrimps (Crevetten) etc. stehen auf dem Büffett umher zur beliebigen Verfügung der Barbesucher, die für diesen Imbiß nichts zu bezahlen haben. Desto teurer sind dafür die „drinks“. Ein kleines Gläschen Bier bezahlt man mit zehn Cents, vierzig Pfennig nach unserem Gelde, ein Glas Whisky oft mit einer Mark. Während der Yankee so seinen Durst stehend stillt und dazu ein paar Gratisbrötchen hastig verzehrt, sieht er noch schnell und ebenfalls stehend die neuesten Börsenkurse ein, dann greift er wieder in die Hosentasche, holt ein paar Geldstücke heraus, die er mit gleichgültiger Handbewegung dem Büffetier, dem „Barkeeper“ zuwirft, und hinaus ist er, schweigend, wie er gekommen. Daß es in einer solchen amerikanischen Bar bunt genug zugeht, sieht der Leser auf unserem Bilde, auf dem ein Nigger lebhaft mit den charakteristischen Yankeeköpfen hinter ihm kontrastiert. N.     

Nährwert der Eier. Ueber den Wert der Eier als menschliches Nahrungsmittel hört man im Leben oft Urteile, die durchaus nicht richtig sind. Weit verbreitet ist die Ansicht, Eier seien nahrhafter als Fleisch. Dem gegenüber muß folgendes erklärt werden: Ein Hühnerei hat etwa 50 g Inhalt: dieser ist aber stark wasserhaltig, und ein Ei liefert in Dotter und Eiweiß zusammen an Nährstoffen 7 g Eiweiß und 4 g Fett. Somit sind im Ei etwa 14% Eiweiß und 8% Fett enthalten. Nun haben vielfache Untersuchungen ergeben, daß das Fleisch eines mittelfetten Ochsen etwa 21% Eiweiß und 5% Fett enthält. Das Ei ist also durchaus nicht nahrhafter als Rindfleisch. Vergleichen wir es mit fettem Schweinefleisch, so finden wir, daß es auch diesem nachsteht: denn das Fleisch vom fetten Schwein besitzt denselben Eiweißgehalt von etwa 14%, aber dabei den weit höheren Fettgehalt von etwa 30% bis 40%.

Oft wird auch gestritten, was nahrhafter sei, das Gelbe oder das Weiße vom Ei. Im Dotter sind 3 g Eiweiß und 4 g Fett enthalten, im Eierweiß dagegen nur 4 g Eiweiß und kein Fett. Der Dotter ist also dem Eierweiß überlegen, denn er enthält Fett und fast dieselbe Menge Eiweiß, obwohl er im Durchschnitt nur 20 g wiegt, während das Eierweiß 30 g schwer ist.

Ein ganz vollkommenes Nahrungsmittel sind aber die Eier überhaupt nicht, denn es fehlen in ihnen die zu unserer Ernährung unenthbehrlichen Kohlenhydrate, wie Stärke, Zucker u. dergl. Der Nährwert der Eier wird schließlich durch die Zubereitung beeinflußt. Am besten werden rohe Eier ausgenutzt, namentlich wenn sie in Suppen oder Thee gemischt werden. Hartgesottene Eier sind dagegen schwer zu verdauen, namentlich, wenn sie in größeren Stücken verzehrt werden. Wir ersehen daraus, daß das ja sehr schmackhafte Ei dem Fleische doch keineswegs überlegen ist und daß man gewöhnlich, wenn Eier als Ersatz für Fleisch dienen sollen, ihre Menge zu gering bemißt. *      

Zum Sammeln. (Zu unserer Kunstbeilage.) Wie das Waldhorn in die Hände des jugendlichen Gänsehüters gekommen ist, darüber läßt uns der Künstler im Zweifel. Aber ganz sicher ist, daß jener es mit Ernst und Eifer handhabt, und ebenso ernst nehmen die Zuhörer seine Kunstleistung. Sie kommen in Scharen herbei und horchen aufmerksam den glücklicherweise fern von menschlichen Ohren in die geduldige Gottesluft hineingellenden Klängen. Denn die Gesetze der Harmonie sind auf diesem freien Wiesenhügel unbekannt und der Künstler sowie sein Publikum sind der Ansicht, daß „erlaubt ist, was gefällt“. Da noch außerdem aus den gepreßten Halb- und Dreiviertelstönen die Hoffnung auf den abendlichen Heimzug herausklingt, so schnattert das Auditorium ungeteilten Beifall, und der junge Virtuose nimmt ihn mit ebensoviel Selbstbewußtsein entgegen wie die berühmtesten musikalischen Wunderkinder das Händeklatschen eines begeisterten Konzertpublikums. Ihm genügt das seinige, und wer von beiden es, besser hat, das lehrt ein einziger Blick auf die barfüßige Freiheit und vollkommene Zufriedenheit des strammen Buben, welchen der Künstler so lebenswahr und erfreulich auf die Wiese zwischen seine Schnattergänse hingestellt hat, daß man ihn mit Vergnügen betrachtet. Bn.     



manicula 0 Hierzu Kunstbeilage V: „Zum Sammeln!“ Von Jos. Albrecht.

Inhalt: Ein Künstlerkleeblatt. Bildnisse. S. 261. – Haus Beetzen. Roman von W. Heimburg (2. Fortsetzung). S. 262. – Der Anfang eines Romans. Bild. S. 265. – Ein Künstlerkleeblatt. S. 266. Mit Bildnissen S. 261. – Schwester Brigitte. Novelle von Otto von Leitgeb. S. 268. – Nordamerikanische Schenkstube. Bild. S. 269. – Vor der Berufswahl. Warnungen und Ratschläge für unsere Großen. Der Seemannsberuf. Von Max Lay. S. 271. – Bismarcks Geburtstagsfeier in Friedrichsruh: die Huldigung der deutschen Studentenschaft. Bild. S. 272 und 273. – Blätter und Blüten: Bismarcks Geburtstagsfeier in Friedrichsruh. S. 275. (Zu dem Bilde S. 272 und 273.) – Der Anfang eines Romans. S. 276. (Zu dem Bilde S. 265.) – Eine nordamerikanische Schenkstube. S. 276. (Zu dem Bilde S. 269.) – Nährwert der Eier. S. 276. – Zum Sammeln! S. 276. (Zu unserer Kunstbeilage.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_276.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)