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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ueberhebung („komm nur her, ich will Dir die Hörner schon brechen!“); Härte im physischen und moralischen Sinn; Abwehr (Amulett) gegen alles Böse, wobei die Hand vorgestreckt wird, gegen das Unheil im allgemeinen, gegen die Jettatura, den vermutlichen Jettatore und endlich gegen die Person, die man vor der bösen Wirkung des bösen Blicks beschützen möchte!

Genau die gleichen Bedeutungen hatte diese Gebärde bei den Griechen und Römern, wie zahlreiche Wandgemälde bezeugen.

In die Klasse der Verachtung ausdrückenden Gebärden, die aber gleichzeitig als Amulett dienen, gehört die „mano in fica“, d. i. die Hand zu einer Faust geballt, die Spitze des Daumens hervorragend zwischen Zeige- und Mittelfinger. Jetzt eine der häufigsten Gebärden im Verkehr des Volkes, die soviel wie ein Herausstecken der Zunge mit der Hand bedeutet, hatte sie im Altertum den Charakter tödlicher Beleidigung. So verhöhnte der Kaiser Caligula auf schwerste Weise den Tribunen seiner Leibwache, Cassius Chärea, indem er ihm die Hand zum Küssen in dieser Weise darbot. Dieser erbat sich später dafür die Ehre, den ersten Streich auf des Kaisers Haupt zu führen.

Auch diese Gebärde findet sich auf antiken Bilderwerken.

Gleichwertig, d. h. in Bezeigung von Verachtung, sind Daumen und Zeigefinger zum Kreis zusammengebogen. Beide Finger ganz zum Kreise geschlossen, wie Fig. 1 zeigt, haben vielfältige Bedeutung. Ursprünglich wies die Gebärde auf das Halten der Wage der Gerechtigkeit hin. Realistischer ist die Symbolik, wenn sie ausdrückt: „Ich werde Dich packen wie einen Floh“ – das ist auf unserem Mittelbild der Fall, wo der erste der beiden mit dem jungen Weib in Streit begriffenen Männer deren verächtliche Gebärde so beantwortet. Eine letzte Bedeutung ist Exaktheit, genau abgewogen, „stimmt“.

Wir haben im Deutschen die Redensart „Einen über die Achsel ansehen“ – sie ist der Gebärdensprache entnommen und bedeutet „ihn verachten“. Sie war auch bei den Römern schon im Schwange, wie ihnen auch die verachtende Gebärde des Deutens mit dem bloßen Daumen auf einen zu Bezeichnenden bekannt war, einen Gestus, den Quintilian in seinem Werk über die Beredsamkeit den öffentlichen Rednern als gemein untersagte.

Hat man seiner Verachtung gründlich genug gethan, so wendet man dem Gegner und dem Ort den Rücken und schlägt zum Zeichen, daß alles aus ist, ein großes Kreuz gegen die nächste Wand oder noch wirksamer, indem man sich bückt, auf den Fußboden. „Hier ist Dein Leichenstein, Du bist tot für mich!“

Will ich ihm sagen: Was Du mir angethan, werde ich mir, unsrer deutschen Redensart gemäß, „hinter die Ohren“ schreiben, so mache ich die Gebärde der letzten Figur, rechts unten auf unserer Tafel, wobei die eine Hand wie ein Schirm über den aufgerichteten Zeigefinger der andern gebreitet wird. Das heißt: hier unten regnet’s nicht, was hier geschrieben steht, wäscht kein Regen weg, also das Gegenstück zu unserm „in den Rauchfang schreiben“.

Die Gebärden des Spottes sind zahllos. Die kindliche des Zungenausstreckens ist uralt und geht über die ganze Welt, sie wird am Nordpol wie am Aequator geübt, und im Propheten Jesaias kann man lesen: „Ueber wen wollt ihr nun das Maul aufsperren und die Zunge herausrecken?“ Ebenso verbreitet ist: die geöffnete Hand mit dem Daumen an die Nase gesetzt und in fächernden Schwingungen bewegt; an die dem andern durch eine traurige Ueberraschung schon länger gewordene Nase will man noch „un palmo di naso“ hinzufügen. Fig. 6 will noch etwas mehr besagen. Der Daumen ans Ohr oder an die Schläfe gesetzt, die andern Finger aufgerichtet, will andeuten: „Du bist ein Esel“; beide Hände in dieser Weise gebraucht: „Du bist ein großer Esel“; beide Hände ebenso, aber schlapp nach vorn überhängend: „Du bist ein Quadrat- oder Erzesel“. Der Esel aber im Super-Superlativ ist der Esel auf dem Piedestal der rechten Hand, wie ihn der Bursche links im Mittelbilde ausstellt.

Denn alle Gebärden haben auch ihre grammaakalischen Steigerungem Positiv, Komparativ, Superlativ. Ich will den Teil einer Sache und lege den rechten Zeigefinger wie ein schneidendes Messer horizontal über den linken. Ich will mehr und stelle die Rechte auf die Schneide in das linke Armgelenk hinein. Ich will alles und fahre mit dieser Hand bis über die Schulterhöhe. Bei „wenig“ und „weniger“ fährt man zurück bis auf die Handwurzel und schneidet nun mit dem Zeigefinger kleine Portiönchen vom Daumen oder vom andern Zeigefinger ab, und das gilt ebensowohl für einen Salami wie für Talent, Liebe und Aehnliches. Nur für Flüssigkeiten giebt es ein andres Maß: der geradeausgestreckte Zeigefinger besagt einen Finger hoch Wein, und so fügt man, die Hand wie auf der Schneide, einen Finger nach dem andern zu und der einen Hand die andre. Die Gruppe der drei Alten rechts unten stellt die beim niedern und hauptsächlich beim Bettlervolk am meisten geübten Gebärden dar. Der Hemdärmelige öffnet weit wie einen Geierschnabel Daumen und Zeigefinger der Rechten und fackelt damit vor dem geöffneten Munde hin und her, was er meist mit den Worten: „fa acqua ’n pipp’“, ich rauche Wasser auf der Pfeife, oder „pass’ ’a vacc’“, die Kuh geht vorüber (ich habe kein Geld, die Milch zu kaufen) begleitet und sagen will: ich bin ein grundarmer Teufel. Sein Nachbar deutet durch seine nach dem Munde geführte Hand, die aussieht, als ob sie einen Bissen hielte, seinen Hunger an. Führte er sie mit demselben Fingerschlusse hoch über den Kopf gehalten gegen den Mund, so würde er sein Maccaroniverlangen andeuten. Der Dritte im Bunde der Heischenden formt seine Hand zu einer Flasche: er will trinken.

Der Lastträger, der dir, ohne Schweiß, die Köfferchen getragen, macht alle drei Bewegungen und fährt, um zu zeigen, daß er der großen Anstrengung wegen einen guten Lohn verdient, mit dem Nagel des Daumens über die Stirn, die rinnenden Schweißtropfen abzuleiten (Fig. 4).

Leichter verdient sein Geld jener Bankdirektor, über den sich die beiden Facchini links unten unterhalten. Die rechte Hand des Einen sagt „Stehlen“, die Linke deutet voll Verachtung nach ihm, das Gegenüber sagt: „Aber fein hat er’s angefangen.“ Die bessere Gesellschaft warnt vor ihm durch die Geste von Fig. 8: „Macht die Augen auf! Hütet Euch! Er ist sehr listig!“ Aehnliches bedeutet Fig. 5: „Er betrügt, aber mein Schlund (durch den Halskragen angedeutet) ist zu eng, solche Bissen durchzulassen.“ „Seine Wege sind wie die der Meerkrabbe“, deren Gestalt und Bewegung durch Fig. 2 versinnlicht wird, „krumm und kreuz und quer und unberechenbar“, „aber endlich kommt der Tag, wo er die Sonne als Schachbrett, d. h. durch Gefängnisgitter sehen wird“ – das deutet Fig. 9 an, die im Deutschen etwa „durch die Finger sehen“, also fast das Gegenteil, besagen würde.

Höchsten Zorn gegen sich und andere (aber auch Bedrohung: „so werde ich Dein Herz zerfleischen“) drückt das ohnmächtige Zerbeißen der Finger aus (Fig. 10).

Eine schier endlose Reihe von Gebärden zieht an meinem Auge vorüber, ich muß mit dieser Auswahl mich begnügen, denn von den beiden Alten rechts oben warnt mich der eine mit den flach ausgestreckten, langsam sich auf- und niederbewegenden Händen. „Nur langsam voran, langsam –“ und gebietet der andre mir, mit seiner flach ausgestreckten Hand eine Mauerfläche versinnbildlichend, ein wohlgemeintes „Halt!“, worin er von dem kleinen Gänsejungen, links unten, einer in Pompeji gefundenen Brunnenfigur, unterstützt wird.

Die Abrollungen von zwei antiken griechischen Vasenbildern auf unserer Bildertafel sollen gleich dieser Figur das schon oben besprochene Alter dieser Gebärdensprache des Südländers veranschaulichen. Das obere Vasenbild zeigt Minerva im Kriegsrat, inmitten zweier verschiedenen Parteien. Derjenigen zu ihrer Rechten deutet ihre erhobene linke Hand die Notwendigkeit an, rasch nach links zur Hilfe zu eilen. Sie stößt auf Widerspruch, denn die Hand des sitzenden Alten, vor der weiblichen Person, empfiehlt ruhige Ueberlegung: „Nur langsam.“ So sagt auch die erhobene Linke des hinter ihm stehenden Weibes: „Halt! Warte! Mir steigen Zweifel auf.“ Das Gegenteil sagt die Gruppe zur Linken der Göttin; sie stimmt dieser bei. Des sitzenden Alten Hand sagt: „Was wollt Ihr? Alles schon erwogen.“ Vorwurfsvoll lebhaft schreitet der andere vor, er ahmt fast die Bewegung der Minerva nach, doch sagt seine Gebärde: „Schweigt und macht Euch sofort auf!“

Auf dem untern Bild ist die männliche Gestalt mit dem Thyrsusstab Bacchus – trotz seiner Passivität. Die Handlung ist ein Privatzank zwischen zwei Frauen. Die zur Linken erhebt den Zeigefinger der Rechten zu einem eifersüchtig tadelnden „Du!“ Daß es tadelnd geschieht, erhellt aus der Gebärde der Gegnerin, die beide Arme ausstreckt als Zeichen der Abwehr und der Verneinung, ebenso den Oberleib in demselben Sinne zurückwirft. Die linke Hand der Klägerin deutet an, daß es sich um eine Liebe handelt. Der Gegenstand dieser Liebe ist der Flötist. Bacchus, der Gott der Lebenslust, soll entscheiden. So lassen sich auf Grund der noch heute üblichen Gebärden die antiken Bildwerke enträtseln, ohne den Aufwand an Scharfsinn, den auf dem kleinen Relief der rätsellösende Oedipus vor der Sphinx mit seinem gegen die Stirn gehobenen Zeigefinger andeutet.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_287.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2021)