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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Haus Beetzen.

Roman von W. Heimburg.
(4. Fortsetzung.)


In der guten Stube der Mutter Busch brennt eine Lampe. Ditscha sitzt auf dem Sofa, Hans geht im Zimmer auf und ab, keines spricht ein Wort. Sie wagt nicht, die Augen aufzuschlagen, sie hat weiter keine Gedanken, als daß sie etwas thut, was sie nicht darf und das sie doch thun muß.

Er kommt endlich herüber und kniet vor ihr nieder. „Ditscha, ich danke Dir, ich weiß, wie schwer Dir diese Heimlichkeit wird, aber verlaß mich nicht! Du ahnest nicht, was ich in diesen Tagen gelitten habe.“

„Wirklich?“ fragt sie.

„Ich habe nichts vornehmen können, nicht arbeiten, nicht ruhen, immer in dem einen Gedanken, sie liebt dich nicht – sie liebt dich nicht! Ach, ich hätte Lethe trinken mögen, um Dich zu vergessen, oder, da der edle Stoff leider nicht mehr verzapft wird auf dieser jämmerlichen Welt – Wein, Wein!“

Sie faltet plötzlich die Hände. „O, thue das nicht,“ bittet sie kindlich, „thue nur das nicht, es ist ja fürchterlich, und – ich bin so verzweifelt gewesen, als ich erfuhr, daß Du in Bützow so –“

Er lächelt, als er aber in ihr Gesicht blickt, versteht er sie und wird ernst und düster. „Wenn der gute Engel sein Antlitz fortwendet –“ murmelt er.

„Was soll nun werden?“ fragt sie nach einer langen Pause, während welcher er ihre beiden Hände abwechselnd an die Lippen drückt.

„Ich weiß es nicht,“ antwortet er, „alles hängt von Dir ab. – Wenn Du mir gut bleibst, wenn ich Dich sehen darf zuweilen, Deine Hand küssen darf, dann will ich so brav, so fleißig, so zufrieden sein, Ditscha!“

„Um Gotteswillen – wo soll ich Dich sehen? Ich kann doch nicht wie eine Baunerndirne Dich abends auf der Straße treffen!“

„Nein, das kannst Du nicht, und es wird auch Winter.“

„Onkel erlaubt nicht, daß Du kommst – ach, und jetzt um Weihnacht herum erst gar nicht. Unser Haus ist wie ein Grab, mich schaudert’s, wenn ich daran denke, daß es wieder Weihnacht wird.“

„Ich sage Dir, Ditscha, ich muß Dich sehen!“ ruft er heftig.

Sie zuckt die Schultern unmerklich und blickt ihn ratlos an.

Hier würde es doch gehen, Ditscha?“ „Hier? Nein – nein! Diese Grete Busch betrachtet mich mit so wunderlichen Augen. – Ich kann sie nicht leiden, ich glaube, sie muß schlecht sein. – Bitte, nicht hier!“

„Aber sie ist nun einmal eingeweiht!“ ruft er aus.

„Und wer that das?“ fragt sie heftig.

Du, mein Närrchen, mein liebes! Oder glaubst Du, diese Grete ist auf den Kopf gefallen? Wenn ein schönes Mädchen ihr einen Brief an einen jungen Herrn übergiebt, da soll sie wohl denken, es handelt sich um – ja, um was denn gleich – um ein Stickmuster oder dergleichen?“

Ditscha senkt den Kopf und beißt sich auf die Lippen.

„O, Du liebst mich nicht, Ditscha, zwinge Dich nicht!“ seufzt er und stellt sich an den Thonofen, in dem ein bißchen Torf glimmt. „Weißt Du, solche Geschichte ist schlechterdings nicht möglich durchzuführen ohne eine Helferin. Sie ist ein fideles Haus, diese Grete. – Und was sie sich denkt? Gar nicht viel, eben nur, daß wir zwei Menschen sind, die sich liebhaben, die nicht zusammenkommen sollen und nicht voneinander lassen können, und wenn sie noch was denkt, so ist’s: ‚Arme Seelen, ich will Euch helfen, damit Ihr nicht untergeht in Sehnsucht und Verzweiflung‘; und das thäten wir ja, Ditscha – das heißt ich, von Dir weiß ich’s ja nicht, glaube es fast nicht – aber ich – Teufel, mir ist das Leben keinen Pfifferling wert ohne Dich!“

„Bitte, sage das nicht.“

„Ich sage es aber doch!“ stößt er hervor und wirft die Reitpeitsche auf den Tisch, „ich sage es doch, denn es ist die Wahrheit; und verläßt Du mich – na – Du weißt ja –“

Ditscha denkt an Onkel Joachim, an den trunkenen Onkel Joachim. „Hier, hier also – ich werde kommen – aber –“

„Kein Aber!“ Und er kniet wiederum nieder und gebärdet sich wie närrisch vor Glück und Dankbarkeit, während dem Mädchen ein paar große Tropfen aus den Augen laufen und ihre Hände auf seinem Kopfe ruhen, eine Situation, so matronenhaft wie möglich, als ob eine Mutter ihren scheidenden Sohn segnet.

„Darf ich’s meiner Mutter schreiben?“ fragt er. Und wie sein bildhübsches Gesicht zu ihr aufschaut mit den kecken blitzenden Augen, nickt sie.

„Thue es und grüße sie von mir, Hans!“

Dann erhebt sie sich und sucht nach ihrem Mantel. Den üblichen Abschiedsküssen zu entfliehen, gelingt ihr nicht. Sie verläßt vor ihm das Haus, er hat’s übernommen, Grete zu verständigen.

Grete lacht, als er ihr auseinandersetzt, daß seine Braut und er sich hier treffen wollen. „O je,“ sagt sie, „das gnädige Fräulein – na ja – ’s ist überall dasselbe, ein Mensch ist wie der andere, immer die gleiche Geschichte, na – mir kann’s recht sein.“

„Werden Sie nicht unbescheiden, mein Kind,“ sagt er gönnerhaft und nachlässig, „es ist nicht immer dasselbe, wenn sich’s auch gleich ansieht.“ Er hat seine Mütze aufgestülpt, nickt ihr nochmal zu und verläßt die Stube. Ihr spöttisches Kichern schallt hinter ihm her, und als er sich umwendet, sieht er, wie sie ihm eine Nase macht.

„Tolle Person!“ spricht er vor sich hin, ohne sich weiter darum zu kümmern.




Im Herrenhause geht alles seinen alten Gang. Die Tage werden kurz, die Abende endlos, draußen bleibt’s beim naßkalten Wetter.

„Grüne Weihnacht!“ murmelt Onkel Jochen, „’s könnte immer grüne Weihnacht sein, dann wär’ niemals Eis gefroren und – dann – ja dann –“

Tante Klementine beobachtet Ditscha so viel sie kann, und Hanne muß spionieren. „Sie scheint sich die Unglücksaffaire endgültig aus dem Kopfe geschlagen zu haben,“ ist das Resultat dieser Beobachtungen.

Ditscha ist stiller und träumerischer als je, nur manchmal hat sie Momente, wo sie wie von innerer Unruhe förmlich umher gejagt zu werden scheint. Tante Klementine hat unsägliches Mitleid mit dem Kinde, das in dieser Atmosphäre von Gram und Wärmelosigkeit leben muß. Sie beschließt, ihr auf eigne Faust und ganz heimlich eine kleine Weihnachtsfeier zu bereiten, denn, wenn auch ein Weihnachtsbaum nicht ins Haus kommen soll, hier oben bei ihr darf er gewiß erstrahlen.

„Hanne, Du läßt mir ein hübsches Bäumchen aus der Schonung holen und besorgst Lichter,“ befiehlt sie, „denn in diesem Jahre ist’s doppelt trübselig für unser Kind. Hanne, ich meine doch, es wäre viel weniger schwer für Ditscha, diese traurige Weihnacht zu ertragen, wenn ihr jemand die Wahrheit sagte. Ich verstehe die dumme Prüderie nicht, Hanne,“ fügt sie hinzu, „ich bin überzeugt, wenn Ditscha wüßte, daß sie ein Geschwisterchen haben soll, es würde sie mit größter Freude erfüllen.“

„Ja, natürlich, gnä’ Fröln,“ pflichtet Hanne bei, „aber wenn’s der Herr Papa nu’ mal partout nicht will, daß sie’s wissen soll?“

Ach, wie recht hatte Tante Klementine! Was hätten sie verhindern können, wenn diesem einsamen jungen Geschöpf gesagt worden wäre: „Es wird etwas da sein um Weihnacht, das Du lieben darfst von ganzer Seele, mit der ganzen großen Liebesfähigkeit Deines Herzens. Nicht aus irgend einem nichtigen Grunde wirst Du fern gehalten vom Vaterhause.“ – Wie oft hat Tante Klementine bereut, nicht Ditschas Hand genommen zu haben, um ihr zu sagen: „Freu’ Dich, Ditscha, in diesem Jahre wird Dir ein Bruder geboren oder eine Schwester.“

Tante Klementine hofft so viel, so außerordentlich viel von diesem kleinen Künftigen. Erstens hofft sie, daß es ein Junge sei. Jochens wegen und Beetzens wegen, ein Erbe, ein Ersatz. Joachim mit seinem kinderguten Herzen würde ja für einen kleinen Baron Kronen doch ein wärmeres Interesse haben, wenn er auch den Liebling seines Herzens nie vergessen könnte. Und dann hofft sie für Ditscha und für das ganze alte Haus; sie ersehnt das Kleine, wie die nächtliche Erde die Sonne ersehnt, denn es soll Licht und Wärme bringen und neues Leben. Vorläufig freilich hat die Nachricht von der Erwartung eines Erben bei Jochen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_294.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)