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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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„Nun, dann müssen wir uns selbst helfen. Ich werde mir überlegen, wie es am besten einzurichten ist,“ fährt er fort, „es wird ein paar Tage Vorbereitungen brauchen, aber dann habe Mut, Ditscha, Du siehst selbst ein, daß es nicht so weiter geht. Entweder wir trennen uns jetzt und Du denkst nicht mehr über mich nach – oder wir vereinigen uns für immer, Sophie! – Ich will nicht drängen, mein liebes Herz – überleg’ Dir’s – ich für mein Teil bin fest. Gieb mir brieflich Antwort! – In solche Situationen, wie heute, darfst Du nicht wieder kommen.“

Er hat sich jetzt herüber getastet und schließt sie einen Moment in die Arme und küßt sie. Dann öffnet er geräuschlos das Fenster, hakt den Laden auf und schwingt sich gewandt hinaus. „Ditscha, mein alles, überlege!“ flüstert er noch einmal, während er den Laden von außen behutsam wieder anlegt.

Dann ist’s still um sie, furchtbar still, dunkel und einsam. Sie könnte schreien wie ein furchtsames Kind. Aber er hat den Ton getroffen, der ihr imponiert – heute abend liebt ihn Ditscha, oder – glaubt ihn zu lieben und ist entschlossen, sich seinen Entschließungen zu fügen, sein zu werden.

Nach einer halben Stunde verläßt Fräulein Anna das Zimmer nebenan. Auf dem Flur hält sie Grete noch eine Rede; Ditscha versteht jedes Wort:

„Ich freue mich, daß Du Dich bestrebst, in Deinem Aeußern zu Deiner alten Einfachheit zurückzukehren. In Dein Inneres kann ich nicht sehen – möchte es auch dort besser geworden sein! Aeußeres wie Inneres stehen immer im Zusammenhang, und Gott sieht das Herz. Sei Deinem Mann eine einfache sparsame Frau, das ist beglückender für ihn, als wenn er einen aufgedonnerten Zieraffen bekommt, und statt Rückenkissen mit Perlen, nähe ihm ein andermal ein ordentliches Hemd. Und gieb Mutter pünktlich die Tropfen und red’ ihr ein bißchen gütlich zu, sie soll Geduld haben – Geduld ist eine unserer christlichsten Tugenden – Gute Nacht!“

„Gute Nacht, gnä’ Fräulein!“ ruft Grete und ihre Schritte fliegen zurück zu Ditschas Thür; leise, leise steckt sie den Schlüssel ins Schloß und öffnet.

„Jetzt können Sie hinaus,“ flüstert sie kichernd, „Tante Anna ist fort und Vater sitzt ganz dösig im Lehnstuhl, so hat sie geredet.“

Sie streicht ein Zündhölzchen an und Ditscha sieht in dem zuckenden Schein ihre mutwilligen lachenden Augen. Es ist eine Situation nach Gretens Herzen, wie in einem tollen Lustspiel. Aber Ditscha geht so blaß und ernst an ihr vorüber, daß sie ihr Spitzbubenvergnügen etwas mäßigt.

„Gute Nacht, gnä’ Fräulein,“ sagt sie ernsthaft, „nur leise, daß Vater nicht kommt.“

Ditscha eilt heim.



Weihnacht ist für Tante Anna die Zeit, wo sie sich ganz in ihrem Element fühlt. Sie vertritt hier völlig den Bruder und die Schwägerin, die sich überhaupt nicht sehen lassen am Heiligen Abend und an den darauf folgenden Tagen.

Ja, Tante Anna ist die Seele des Hauses um diese Zeit. Ihre große starke Gestalt im schwarzen Kleide, über das sie eine mächtige weiße Schürze gebunden hat, auf dem noch immer blonden Haar ein schwarzes Spitzenhäubchen, Tante Berthas Schlüsselkorb am Arm, so schreitet sie würdevoll treppauf, treppab, ordnet die Gaben auf dem Tische und bereitet sich vor, am Abend vor dem Fest eines der Weihnachtsevangelien den Leuten vorzulesen, die sich in ihren Feiertagskleidern versammelt haben und der Rangordnung nach aufgestellt sind. Friedrich oben an, dann der noch ältere stattliche Kutscher nebst Frau, Hanne, die Köchin, und abwärts bis zum Aufwaschmädchen; ferner: Vater und Mutter Busch, seine Gehilfen und eine Menge Dorfkinder, die nur mit Müh’ und Not ihre Seligkeit verbergen können und ihr „Vom Himmel hoch da komm’ ich her –“ jubelnd hell singen, wenn es Tante Anna anstimmt. Was wissen sie von dem starren Schmerz, der sich in diesem Hause verbirgt!

Tante Anna aber vergißt nie zum Schluß zu sagen: „Und gedenkt auch derer, denen der heutige Tag ein schwerer ist, die keine Freude zu empfinden vermögen, weil Gott in seinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_297.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)