Seite:Die Gartenlaube (1895) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Kleinhändler stellen ihre Waren auf den Ständen aus. Alte Lindenbäume aus der Zeit vor der Stadterweiterung spenden ihren Schatten. Nicht weit davon befindet sich der Fischmarkt, ehemals ein unsauberer mit Standln und Buden besetzter Platz hart an der Stadtmauer, gegenwärtig jedoch näher an den Donaukanal gerückt. Die neuen reinlichen Holzbauten, in denen jetzt die Verkaufsstände untergebracht sind, haben dem Bilde allerdings viel von seiner einstigen Urwüchsigkeit genommen, und die Fischweiber, obgleich noch lange nicht so stumm wie ihre Karpfen, befleißigen sich eines anständigeren Tones im Verkehr mit ihren Kunden. Nur am Karfreitag, wo ganz Wien als katholische Stadt seine Fastenspeise auf dem Fischmarkt holt, lassen sie ihrer Zunge freien Lauf und sind mit ihren Kundeu so „hoppatatschig“ und grob wie der Hausmeister, nachdem er sein Neujahrsgeld bekommen hat. Am Karfreitag und am ersten Weihnachtstage werden in Wien mehr Fische verkauft als in irgend einem Monat des Jahres. Die Donau und die Schwarzenbergschen Teiche in Böhmen liefern den Hauptbedarf hierzu. Merkwürdig ist der verschwindend geringe Verbrauch von Seefischen, der nicht so sehr in der Schwierigkeit der Beschaffung wie in dem konservativen Sinn der Bevölkerung seine Erklärung findet. Außer dem Stockfisch, der übrigens auch mehr Verächter als Bewunderer hat, kommen Seefische fast ausschließlich nur auf den Tafeln der Reichen vor. Der billige Schellfisch, der in anderen Städten ein so wichtiges Nahrungsmittel der Bevölkerung bildet, findet in Wien nur geringen Absatz.

Der Wildbretmarkt, die Fortsetzung des Bauernmarktes in der innern Stadt, zeigt wieder ein anderes Gesicht. Obwohl auch die andern Lebensmittelmärkte eine Abteilung für Wildbret enthalten, ist doch hier der Großhandel zu Hause und in seinen Verkaufsgewölben findet man die stattlichsten Exemplare von Hirschen, Rehen Gemsen, Wildschweinen, ja selbst Bärenschinken und -tatzen gehören nicht zu den Seltenheiten.

Der Blumen- und Kränzeverkauf „am Hof“.

Das buntbefiederte Geflügel, Goldfasan, Wildente, Schneehühner, der prächtige Auerhahn, der Birkhahn, die Wildtaube, das Rebhuhn und die Schnepfe, bildet, zu einzelnen Gruppen gebunden, malerische Stillleben. Die zahlreichen Wildgehege aus den großen Herrschaften in Ungarn, Steiermark, Böhmen und Niederösterreich liefern zu jeder Jahreszeit einen großen Reichtum an Wild. Meister Lampe wird zur Schießzeit in ungeheuren Mengen auf den Markt gebracht und liefert in den Wintermonaten einen verhältnismäßig billigen Braten. Die Singvögel, welche auf den italienischen Märkten in großer Zahl als „uccellini“ verkauft und von den grausamen Italienern zur Polenta verspeist werden, sind in Wien glücklicherweise durch ein Gesetz vor der Mordlust der Bewohner gesichert. Der Wildbretmarkt ist auch das verschämte Rendezvous aller Sonntagsjäger, die hier ihre Beute „erlegen“ – aber bar.

Bevor wir unsern Rundgang durch die Wiener Märkte schließen, sei noch ein specielles Wort über die Blumenmärkte „am Hof“, „auf der Freiung“ und am Hohen Markt gesagt. Der Wiener, obwohl ihm der fabelhafte Blumenluxus, wie er beispielsweise in Paris getrieben wird, bis vor wenigen Jahren fremd geblieben war, hat doch stets gerne seine Sinne an den duftenden Kindern Floras erlabt, und die Tausende, welche an Sonntagen in die blühenden Auen und Wiesengelände des Wiener Waldes hinausziehen, kehren abends mit einem mehr oder minder umfangreichen Strauß von bescheidenen Feldblumen heim, den sie zu Hause mit Wasser und Sonnenschein versorgen, damit er ihnen die lange Woche hidurch von seiner Heimat, von Freiheit und Waldesluft erzähle. Und wenn die kleine Bürgersfrau ihre Einkäufe auf einem der Märkte besorgt hat, so gönnt sie sich häufig eine Luxusausgabe und bringt ein Stückchen Reseda, einen Topf mit Stiefmütterchen, Nelken und Monatsrosen in ihr bescheidenes Heim, wo es dann den ganzen Sommer über am Fenster paradiert. Das ist ein billiger und bescheidener Genuß. In den Blumenhandlungen der Ringstraße und der inneren Stadt sieht man wahre Wunder der Bindekunst, die stolze Farbenpracht der Riviera und die duftenden Kinder der Alpenwelt in prächtigen, bändergeschmückten Körben oder zu kunstvollen Phantasiegebilden vereint. Das ist nun allerdings auf den genannten Märkten nicht zu finden. Doch macht die große Menge und Buntheit der blühenden Pflanzen auf den Beschauer einen freundlichen Eindruck. Nur einmal im Jahre, um die Allerseelenzeit, wird dieser Eindruck durch den Gedanken an die Vergänglichkeit getrübt. Die Stände und Buden sind um diese Zeit fast ausschließlich mit Kränzen beladen, die als Zeichen liebevoller Erinnerung auf den Gräbern der Verstorbenen niedergelegt werden sollen.

Außer den oben geschilderten Marktbildern, welche vornehmlich dem Nahrungsbedürfnis dienen, wären noch manche andere zu erwähnen, deren Schilderung jedoch den Rahmen dieser Skizze überschreiten würde. Von diesen zeigen das eigenartigste Gepräge der „Christkindlmarkt“ am Hof und der „Tandelmarkt“ (Trödelmarkt) in der ehemaligen Vorstadt Roßau, welcher letztere schon früher in der „Gartenlaube“ geschildert wurde.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_351.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2019)