Seite:Die Gartenlaube (1895) 375.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

und bestellt eine Flasche Rheinwein, setzt sich wieder und kommt dabei zu dem Schluß: I der Deubel, wozu soll denn der das überhaupt wissen, so feierlich aufgebauscht, daß eine lächerliche, längst vergessene Kindergeschichte, wie sie alle Mädels ’mal haben – wenn auch nicht – na ja – – mag sie’s ihm selbst erzählen, wenn sie erst verheiratet ist, und zu einer Stunde, wo sie ’mal gegenseitig aufgelegt sind zu einer Beichte – Schockschwerenot! Das Ding kriegt ja einen ganz eigentümlichen Anstrich, wenn ich jetzt erzähle: Ihre Liebste war ’mal auf dem Punkt durchzubrennen! Und er schreit, des Entschlusses froh, den eintretenden Friedrich an: „Sagen Sie Fräulein Sophie, ich lasse sie bitten, zu mir zu kommen.“

Indes führt er den jungen Mann vor den Stammbaum der Kronens, der fast die ganze Wand einnimmt, und bemerkt: „Die Erste von uns, die einen Bürgerlichen freit – nehmen Sie nicht übel, daß ich das erwähne, denn ich füge hinzu, ich freue mich über die Wahl meiner Nichte, es ist mir eine Ehre.“

„Herr Baron,“ sagt der Bräutigam, „unseres großen Bismarck Mutter war auch eine Bürgerliche –“

Der alte Herr schlägt ihm lachend auf die Schulter und meint, er habe nichts dagegen, wenn ihm ebenfalls ein so glückliches Ergebnis aus adlig und bürgerlich Blut präsentiert werde.

Und dann kommt Ditscha. – Sie sieht erbarmungswürdig aus. Alles Leben liegt in ihren Augen, die mit der Bitte um Verzeihung in die ihres Verlobten blicken. Und er lächelt gerührt, sein ganzes hübsches Gesicht lächelt, und den Arm um sie schlingend, sagt er: „Ich will sie lieben und ehren, wie nur je eine Frau geliebt und geehrt worden ist, Herr Baron“ – Dann haben sie Gläser in der Hand und stoßen an auf eine glückliche Zukunft, und Joachim von Kronen laufen wieder die Thränen aus den Augen, als er Ditscha küßt. Seinen Foulard ziehend, verläßt er das Zimmer, er hat etwas gemurmelt von Cilly und Anna.

Die Beiden sind allein.

„Hast Du mich noch ebenso lieb wie gestern?“ fragt sie leise.

Aber er versteht es nicht. Er ist so überglücklich, er preßt sie an sich, er küßt sie, daß ihre Worte ersticken, die er ja nicht begreift. Und sie weint, sie glaubt mit einem Mal an die große alles überwindende selige Macht der Liebe.

Im linken Flügel schlägt die in aller Gemütsruhe von Joachim vorgetragene Verlobungsanzeige wie eine Bombe ein. Cilly hat hell aufgelacht, Tante Anna ist empört, so empört, daß sie von „Verrücktheit“ redet.

„Was soll nur aus Dir werden, Joachim, ohne das Mädchen?“ fragt sie.

„Ich werde nicht ewig leben, Schwester, und Ditscha ist doch auch nicht gerade für mich auf die Welt gekommen.“

Ob denn durchaus geheiratet sein müsse?

„Durchaus nicht, aber wenn ein paar Menschen sich lieben und zusammen passen –“

Ob denn Jochen mit dem glücklichen Bräutigam – das „glücklich“ dreifach betont – gesprochen habe.

„Zwei Stunden lang!“

Und ob denn der mit allem einverstanden sei.

„Vollständig!“ sagt er, innerlich wütend über das Benehmen seiner Schwester.

Na, das könne auch nur so einer, der durchaus in den Adel hineinheiraten wolle.

„So! Und Cilly erzählte mir, daß ihn unsere sämtlichen Komtessen genommen hätten, wenn er nur Miene gemacht hätte dazu.“

„Ja,“ gesteht die junge Frau ehrlich, „das glaube ich auch noch, aber – wie er gerade auf Sophie kommt?“

„Wie Klaus auf Dich kam!“

Sie lacht wieder und fragt plötzlich höchst interessiert, wann denn die Hochzeit sei.

„Vermutlich bald.“

„Ich gehe nächsten Monat in mein Stift,“ erklärt Tante Anna.

Onkel Joachim überhört es. „Das Brautpaar wird sich Euch zeigen wollen –.“

„Ich habe Migräne heute,“ antwortet sie und erhebt sich.

„Du kannst doch nicht immerfort Migräne haben, bis Du ins Stift reist?“ ruft Cilly lachend. Aber Tante Anna schreitet mit stolz erhobenem Haupt aus dem Zimmer.

„Nun, dann wird wohl Onkel Jochen Ehrendame spielen müssen,“ sagt er, „ein Grund mehr, die Hochzeit zu beschleunigen. Kommst Du zu Tisch, Cilly?“

„Aber, Goldjöching, ich bin ja heute bei Schlüchterns zum Karpfenessen! Du weißt doch, die fischen heute den See und machen mit der Beute ihre ganze gesellschaftlichen Pflichten ab.“

„Nun dann viel Pläsir!“

Onkel Jochen speist diesen Mittag allein mit dem kleinen Jochen.

Ditscha fährt nach Dombeck, um sich der alten Dame als Braut vorzustellen. Sie ist ganz allein, denn ihr Bräutigam reitet voraus, und außerdem wäre es gegen die Etikette, wollte sie mit ihm fahren, sie hat keinen, der die sogenannten Anstandspflichten übernimmt. Tante Anna sieht sie einsteigen und fortrollen und sieht sie allein wiederkommen, fühlt aber kein Mitleid. Ditscha ist ja schon einmal allein gefahren, ein großes Gehabe mit ihr würde nur Komödie sein!

Ditscha empfindet diese Behandlung tief, das Herz ist ihr sehr schwer, als sie abends ihr stilles Zimmer betritt. Und wie Hanne erscheint mit einem Sträußchen von Monatsrosen, Veilchen und Myrten und treuherzig verschämt gratuliert, da schlägt sie in leidenschaftlicher Aufregung die Arme um die alte treue Person und weint zum Herzbrechen.

Das ist Ditschas zweiter Verlobungstag!




Die alte Frau Rothe schreibt einige Tage später in ihrem behaglichen Zimmer auf dem Dombecker Schlosse an ihre jüngste, kürzlich verheiratete Tochter, deren Mann Offizier in den Reichslanden ist.

„Ich kann mir schon denken, wie neugierig Ihr seid, liebe Kinder, Näheres über Kurts Verlobung zu hören, und ich begreife vollkommen Dein Staunen, meine kleine Bertha, über seinen raschen Entschluß. Du kennst ja wie niemand sonst außer mir den großen Maßstab, den er an die Charaktereigenschaften einer Frau legt, besonders groß an diejenigen, die er an seiner künftigen Gattin beansprucht. Nun soll ich Dir schreiben, wie es geschehen ist, und vor allem, welchen Eindruck ich von seiner Braut gehabt habe! Er war vom erstenmal, wo er sie erblickte, hingerissen von ihr, trotzdem hat er mit Zweifeln gekämpft – wird sie die Rechte sein? Er schrieb an mich, bat mich, zu kommen, und ich konnte nur seine Wahl loben, als ich das schöne Mädchen kennenlernte. Aber ich gestehe Dir, daß auch mich Zweifel packte, und zwar: ob er von ihrer Familie das Jawort erhalten werde. Ob sie, die Tochter eines der ältesten schloßgesessenen Geschlechter der Mark, sich als einfache bürgerliche Gutsbesitzersfrau wohl fühlen werde. Es ist ja nur der Name, Kind, denn in allem übrigen kann es unser prächtiger Junge mit jedem Fürsten aufnehmen – na, Du verstehst mich, mein Herz!

Er teilte meine Befürchtungen, aber siehe da, eines Tages – nun vor einer Woche – sind sie heimlich Brautleute, und vierundzwanzig Stunden später erteilt der Onkel, der als riesig stolz bekannte Joachim von Kronen, in herzlichster Weise seinen Segen und noch denselben Nachmittag kommt Sophie zu mir nach Dombeck, von Kurt angemeldet, um, wie sie sagt, sich den Mutterkuß zu holen. Sie kam sonderbarerweise ganz allein! Sie schien glücklich, ja, aber still und zum Weinen geneigt; sie sagte auch etwas zur Entschuldigung – Jochen von Kronen gehe nirgends hin, seitdem er seinen Sohn auf so schreckliche Weise verloren, Tante Anna habe Migräne und die junge Frau sei irgendwo eingeladen. Gott verzeih mir! Ich hatte ein dumpfes Gefühl von Zurücksetzung, aber Kurt merkte nichts oder wollte nichts merken, und doch ist er sonst so empfindlich in dieser Hinsicht.

Kurt ist jetzt täglich drüben in Beetzen, auch ich bin mit ihm hinübergefahren. Der alte Herr ist von gleichbleibender Freundlichkeit, er scheint Ditscha sehr zu lieben. Ich gab bei den beiden Damen meine Karte ab, bevor wir zu Tisch gingen. Es war ein merkwürdiges Diner; von der Verlobung sprach niemand! Ich dachte, Joachim von Kronen würde auf das Glück des jungen Paares anstoßen – keine Spur! Die junge Frau war nett und heiter, die Tante mehr als zurückhaltend, sie verließ noch vor dem Dessert die Tafel.

Nach Tische wurde die Hochzeit von Joachim von Kronen auf den zweiten Januar festgesetzt, um Weihnacht wolle er nicht gern allein sein, sagte er, und Sophie küßte ihm dankbar die Hand.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_375.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)